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Rembrandt: Emmausmahl (um 1628/29); Paris, Musée Jacquemart-André |
Rembrandts Christus
in Emmaus (um 1628/29 entstanden) ist ein merkwürdiges Gemälde: Das
kleinformatige Bild (37,4 x 42,3 cm) ist so sehr von Schatten und dunklen
Gestalten beherrscht, dass man kaum etwas erkennen kann. Das Auge müht sich
vergeblich, die Finsternis zu durchdringen, Einzelheiten der Szene und Details zu erfassen. Wie eingehend man das Bild auch betrachtet, das
Wesentliche bleibt doch im Dunkeln.
Der junge Rembrandt (1666–1669), der sich erst
wenige Jahre zuvor in Leiden selbständig gemacht hatte, zeigt einen Innenraum,
der von schwachem Kerzenlicht kaum erhellt wird. Zu dem schlichten Ort führt
keine Tür; Fenster, die den Blick nach draußen lenken könnten, fehlen. So ist
das Auge ganz in dem engen Bildausschnitt gefangen. Im warmen Kerzenschein ist
ein einfaches Mahl auszumachen, zu dem sich drei Männer um einen Tisch
versammelt haben. Allerdings ist bei dieser Beleuchtung nur der hinter dem
Tisch Sitzende deutlich zu sehen, der in diesem Moment erschrocken zusammenfährt,
während der am rechten Kopfende Platzierte mit seinem Körper die Kerze verdeckt
und sich deshalb nur schemenhaft abzeichnet. Auch der dritte Mann, der von seinem
Stuhl aufgesprungen ist und sich auf seine Knie geworfen hat, ist so tief in
das unbeleuchtete Schwarz eingetaucht, dass er mit dem Dunkel beinahe
verschmilzt; nur das Haar auf seinem Hinterkopf hebt sich gegen das weiße
Tischtuch ab, mit einiger Mühe ist sein umgefallener Stuhl zu erkennen.
Hofft man, dass die im hinteren Raum brennende
Kerze mehr von ihrer Umgebung preisgibt, sieht man sich getäuscht. Wiederum hat
Rembrandt das Licht so platziert, dass die davor hantierende Frau nur als
dunkle Gestalt wahrnehmbar ist. So verbirgt das Bild mehr, als es zeigt – dem
Auge werden Umrisse, Schatten und Schemen dargeboten, unter denen allein ein
einziger beleuchteter Mann die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Tiefenzug des
Bildes mit der spärlich erleuchteten Küche im Hintergrund verstärkt dabei noch
die vorherrschende Dunkelheit der Szenerie, denn die Leuchtkraft der Kerze im
Vordergrund ragt nicht über die Tischkante hinaus, sodass dem schwachen
Lichtschein eine große dunkle Fläche gegenübersteht.
Anstelle der menschlichen Gestalten werden dem
Betrachter dagegen gut ausgeleuchtete Gegenstände unterschiedlichster Art präsentiert – wie etwa der bedeckte Tisch, auf dem ein schlichtes Mahl
aufgetragen wurde. Selbst die Bauart des Zimmers wird ihm detailgetreu vor
Augen geführt: Auf ein mächtiges Steinfundament ist eine Bretterwand gezimmert,
zu der die gewaltige, weit in die Höhe strebende Säule nicht recht passen will.
„Die beiden steinernen Architekturelemente Sockel und Säule sind kräftig genug,
um eine gemauerte Außenwand und eine stabile Dachkonstruktion zu tragen und
wirken in der hölzernen Behausung seltsam deplatziert“ (Meier 2011, S. 183).
Die Raumstütze dient lediglich als Aufhängung für einen Wandersack, der die
drei Männer als Reisende kennzeichnet.
Das Thema des Gemäldes erschließt sich, wenn man
dem Blick der einzigen erhellten Figur folgt. Der hinter dem Tisch sitzende
Mann starrt, als traue er seinen Augen nicht, auf die Hände der Person rechts,
die einen Gegenstand umfassen: Was sich vor unseren Augen ereignet, ist das
Emmausmahl, von dem das Lukas-Evangelium berichtet (Lukas 24,13-33): Der
auferstandene Christus begleitet zwei seiner Jünger auf ihrem Weg nach Emmaus;
die Jünger erkennen ihn unterwegs jedoch nicht („ihre Augen wurden gehalten“,
Lukas 24,16; LUT) – sondern erst, als Christus bei einem Mahl das Brot nimmt,
dafür dankt, es bricht und ihnen gibt. Rembrandt nutzt dabei den spärlichen
Kerzenschein, um die Silhouette Jesu mit einem regelrechten Nimbus zu umgeben –
und ihn als Hauptgestalt zu verbergen. So kann er dem Betrachter gleichzeitig
vor Augen führen, was die Jünger sehen und was ihrem Blick entgeht.
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Rembrandt: Gleichnis vom reichen Kornbauer (1627); Berlin, Gemäldegalerie |
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Gerrit van Honthorst: Bei der Kupplerin (1625); Utrecht, Centraal Museum |
Rembrandt war ganz offensichtlichen mit den
Utrechter Caravaggisten vertraut, wie viele seine nach 1626 entstandenen und
von Helldunkel-Effekten bestimmten Gemälde zeigen (so z. B sein Gleichnis vom reichen Kornbauer von 1627
in der Berliner Gemäldegalerie). Vor allem das verdeckte Kerzenlicht, das von
Gerrit van Honthorst (1592–1656) in die niederländische Malerei eingeführt wurde,
hatte er eingehend studiert. Die im Vordergrund platzierten dunklen
Silhouettenfiguren, die immer wieder auf van Honthorsts Gemälden zu finden
sind, müssen den jungen Leidener Künstler sehr beeindruckt haben. „Mit der
neuen, in Utrecht beheimateten Malerei hatte sich Rembrandts Freund und Kollege
Jan Lievens schon Anfang der 1620er Jahre beschäftigt. Möglicherweise war
Rembrandt über Lievens mit dem Caravaggismus bekannt geworden“ (Meier 2011, S.
186).
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Adam Elsheimer: Jupiter und Merkur besuchen Philemon und Baucis (1609/10);
Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister |
Als Vorbild für Rembrandts Emmausmahl ist wiederholt auf Adam Elsheimers Bild Jupiter und Merkur besuchen Philemon und
Baucis von 1609/10 hingewiesen worden, das Rembrandt in Form eines (seitenverkehrten)
Kupferstichs vorlag. Hier haben wir die seitlich am Tisch sitzende, ins Profil
gedrehte Gestalt Jupiters, die vom Schein der Öllampe aber weit besser
beleuchtet wird als Rembrandts Christus, sowie Philemon, der mit einer Fackel
in der Hand durch die Tür im Hintergrund eintritt. Diesen Platz nimmt bei
Rembrandt die Frau in der rückwärtigen Küche ein. Bei Elsheimer ahnen die
beiden frommen Alten nicht, wen sie in ihrer Hütte beherbergen. Sie tappen
regelrecht noch im Dunkeln, während der Betrachter bereits um die Anwesenheit
der Götter weiß. Auf Rembrandts Gemälde dagegen wird der Betrachter gemeinsam
mit den erschrockenen Jüngern in selben Moment gewahr, dass Christus
gegenwärtig ist. „Bildpersonal und Betrachter werden jedoch daran gehindert,
die Gestalt Jesu zu sehen, und erkennen ihn nur an der symbolischen Handlung“
(Meier 2011, S. 188). Rembrandt hat gegenüber der Vorlage von Elsheimer auf
jegliche anekdotischen Requisiten verzichtet (wie z. B. das Stillleben im
Vordergrund), um sich ganz auf einen einzelnen dramatischen Moment in der
Bilderzählung zu fokussieren. Während Elsheimer den Innenraum üppig mit Details
ausstattet, mit Leitern, Balken, hängenden Eimern und drapierten Stoffen,
begnügt sich Rembrandt mit nackten Holzplanken, die allerdings mit großer
stofflicher Akkuratesse wiedergegeben sind.
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Pieter Aertsen: Metzger-Verkaufsstand mit Flucht nach Ägypten (1551); Uppsala, Museum der Universität Uppsala |
Die Sorge der Wirtin im Hintergrund richtet sich
ganz auf das leibliche Wohl ihrer Gäste, während Jesus seine Jünger mit
geistlicher Speise versorgt. Die Gegenüberstellung einer geistlichen und einer
ganz auf das Irdische ausgerichteten Handlung erinnert an die Gemälde von
Pieter Aertsen (1508–1575) und seiner Nachfolger, die oftmals im Vordergrund
einen Küchenraum mit einer Fülle von Viktualien zeigen, im Hintergrund aber ein
neutestamentliches Ereignis wie z. B. Jesus im Haus von Maria und Martha (Lukas
10,38-42). Diese „inversen“ Darstellungen, die den geistlichen Gehalt tief ins
Bildinnere verlagern, dem Auge aber in vorderster Front weltliche Genüsse und
Betriebsamkeit bieten, erfreuten sich in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts besonderer Beliebtheit.
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Rembrandt: Emmausmahl (1648); Paris, Louvre
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1648 hat Rembrandt das Emmausmahl noch einmal auf einem Gemälde dargestellt, das sich heute im Louvre befindet. Auf diesem Bild ist der sakrale Charakter des Brotbrechens und dessen formale Verwandtschaft zum letzten Abendmahl deutlich herausgestellt: Der Künstler platziert den von einem nimbusförmigen Lichtschein umflorten Christus vor einer apsisähnliche Nische und stattet den Tisch, an dem er sitzt, wie einen Altar mit einer weißen Decke aus, während die beiden Jünger dem Geschehen mehr ehrfürchtig als erschrocken folgen. |
Rembrandt: Christus in Emmaus (1634); Radierung
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Das Emmausmahl findet sich auch unter den Radierungen Rembrandts als Thema: Auf der einen aus dem Jahr 1634 hat der Künstler rechts im Vordergrund einen abgemagerten, struppigen Hund eingefügt, der wohl zur Gaststube gehört und auf einen weiteren Knochen hofft – denn der Jünger in der Mitte des Tisches ist gerade dabei, ein Stück Schinken abzuschneiden. Offensichtlich haben die beiden Männer Christus noch nicht erkannt – weder Gesten noch Mimik lassen auf Freude oder Überraschung schließen. Stattdessen wirken sie eher niedergschlgen und erschöpft. Von Christus, der im nächsten Moment das Brot brechen wird, geht das hellste Licht aus. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckt man hinter den beleuchteten Köpfen der beiden Jünger einen Diener bzw. den Wirt, der fast gänzlich von der Dunkelheit im linken Bildhintergrund verschluckt wird. Licht ist in den biblischen Darstellungen Rembrandts immer Zeichen des Göttlichen, und sein Widerschein auf den Gesichtern der Jünger verweist auf die unmittelbar bevorstehende Gotteserkenntnis. Dunkelheit steht entsprechend für geistliche Blindheit, und folglich blickt der Diener/Wirt nicht zu Christus. Doch nicht nur diese Figur ist „blind“. „Offenbar beabsichtigte der Künstler, auch dem Betrachter die Grenzen des eigenen Sehens aufzuzeigen, indem er ein kleines Format wählte (10,2 x 7,3 cm) und den Knecht in der Dunkelheit vor flüchtigen Blicken verbarg“ (Gatomski 2017, S. 188). |
Rembrandt: Christus in Emmaus (1654); Radierung
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Rembrandt: Nachzeichnung des Abendmahl von Leonardo da Vinci (1635); New York, Metropolitan Museum
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Die zweite Emmaus-Radierung ist zwanzig Jahre später entstanden und von der Komposition her eng angelehnt an das Pariser Gemälde von 1648. Christus sitzt hier aber nicht vor einer Nische, sondern zentral in der Bildmitte unter einem Baldachin. Der Auferstandene ist auch hier die Lichtquelle, die den Raum erhellt und ebenso die beiden Jünger links und rechts von ihm erleuchtet, sodass sie ihn ergriffen bzw. erschrocken als ihren Herrn erkennen. Christus bricht das Brot nicht, sondern verteilt das soeben gebrochene Brot an die beiden Männer. Die Zentrierung der Gestalt Jesu erinnert an Leonardo da Vincis Abendmahl; Rembrandt hatte anhand eines italienischen Nachstichs des berühmten Mailänder Freskos eine Rotkreidezeichnung angefertigt, in die er – in Abwandlung des Vorbilds – auch einen Baldachin einfügte. In der Radierung von 1654 findet sich übrigens ebenfalls ein Hund, diesmal jedoch von dem Wirt der Herberge, der im Vordergrund gerade eine Treppe hinabsteigt, halb verdeckt.
Literaturhinweise
Fendrich, Herbert: Rembrandts Darstellungen des Emmausmahles.
Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1990, S. 19-30;
Gatomski, Juliane: Christus in Emmaus (1634). In: Jürgen Müller
und Jan-David Mentzel (Hrsg.), Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des
Leibes. 100 Radierungen. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, S. 188;
Kreutzer, Maria:
Rembrandt und die Bibel. Radierungen, Zeichnungen, Kommentare. Philipp Reclam
jun. Stuttgart 2003, S. 170;
Meier, Esther: Der gehaltene Blick. Rembrandts Christus
in Emmaus von 1628/29. In: David Ganz/Thomas Lentes (Hrsg.), Sehen und
Sakralität in der Vormoderne. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2011, S.
183-199;
Müller, Wolfgang J.: Rembrandts früheste Darstellung des
Emmauswunders. In: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 23 (1972); S. 113-120;
Neumeister, Mirjam: Das Nachtstück mit Kunstlicht in der
niederländischen Malerei und Graphik des 16. und 17. Jahrhunderts. Michael
Imhof Verlag, Petersberg 2003, S. 288-290;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000,
S. 249-254;
Tümpel, Christian: Rembrandt. Mythos und Methode. Karl Robert
Langewiesche, Königstein i.Ts. 1986, S. 31;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene
Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 10. September 2025)
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