Mittwoch, 19. Dezember 2018

Sorgenvoll versunken – Rembrandt malt den Apostel Paulus

Rembrandt: Der Apostel Paulus an seinem Arbeitstisch (um 1629/30); Nürnberg,
Germanisches Nationalmuseum (für die Großansicht einfach anklicken), Foto: Dirk Meßberger
In einem Raum, der durch einen hölzernen Wandpfosten, einen Dachbalken und einen Mauerbogen angedeutet ist, sitzt ein alter Mann mit grauem Bart auf einem Stuhl an seinem Arbeitstisch. Das rechts oben hängende Schwert, das große, offene Buch vor ihm und die Schreibfeder in seiner Hand zeigen an, dass es sich um den Apostel Paulus handelt. Das Schwert als Attribut verweist auf das Martyrium des Paulus – der Legende nach wurde er enthauptet. Alternativ könnte es aber auch auf seine Vergangenheit als Christenverfolger anspielen.
Völlig in seine Gedanken versunken, ist der Blick des Apostels nach links unten auf den Boden gerichtet. Sein rechter Arm hängt entspannt über der Rückenlehne des Stuhles. Mit den Knöcheln der linken, zur Faust geballten Hand stützt er sich auf den Tisch auf. Paulus ist mit einem hellbraunen Mantel bekleidet, aus dem die dunkelbraunen Ärmel seines Wamses hervorschauen. Um die Taille trägt er eine orientalische Schärpe. Es scheint, als sei Paulus nach einem längeren Moment des Nachsinnens „gerade im Begriff, die senkrecht auf den Tischrand aufgesetzte Faust als Hebel zu benutzen, um sich aus der zurückgesunkenen Haltung aufzurichten“ (van Thiel 1991, S. 136). Eine Lichtquelle, wohl eine brennende Kerze, wird von dem schräg aufgestellten, offenen Folianten auf dem Tisch verdeckt. Der auf diese Weise entstehende Schatten hüllt den gesamten Vordergrund des Bildes in Dunkelheit – die Füße des Paulus sind nicht zu erkennen. Die dunklen Schattenpartien betonen wiederum das hell erleuchtete Gesicht sowie die aufgestützte linke Hand.
Von links oben fällt Tageslicht in das Zimmer und lässt besonders den Kopf des Apostels aufleuchten – Rembrandt deutet damit die göttliche Inspiration an, die Paulus zum Abfassen seiner neutestamentlichen Briefe befähigt. Sie sind von der Sorge des ersten christlichen Missionars um die von ihm gegründeten Gemeinden geprägt. Daniel Hess erkennt im Gesicht des nachdenklicken Apostel auch resignative Züge: „Damit scheint Rembrandt die seit der Renaissance in der Kunst häufig thematisierte Temperamentenlehre bemüht und Paulus als Melancholiker auf dem schmalen Grat zwischen genialer Leistung und depressiver Passivität aufgefasst zu haben“ (Hess 2004, S. 74).
Das Gemälde ist fast vollständig in Braun- und Gelbtönen ausgeführt, die ihm eine fast höhlenartige Anmutung verleihen. Nur die Schärpe enthält einige Farbakzente, die das Muster wiedergeben. Rembrandt hat die Farbe überall dick aufgetragen, sowohl in den sehr hellen Bereichen wie auch im dunklen Vordergrund und den übrigen Schattenzonen. Die Pinselstriche sind meist deutlich zu erkennen, vor allem in den hellen Partien. „Die beleuchteten Wände zeigen ein ungeordnetes Muster aus groben Strichen und Tupfen, eine Malweise, die eine besonders wirklichkeitsnahe Wiedergabe der unregelmäßigen Putzschicht und des darauf fallenden Lichtscheins ermöglicht“ (van den Boogert 2001, S. 223/224). Bei dem auffälligen orientalischen Krummsäbel (ein Jatagan), das zusammen mit der Scheide am Wandpfosten hängt, handelt es sich übrigens um ein Requisit aus Rembrandts Atelier – es taucht auch in Bildern seiner Schüler auf.
Das Nürnberger Gemälde ist weder signiert noch datiert, doch wird nicht bezweifelt, dass es sich um eine eigenhändiges Werk Rembrandts handelt, entstanden um 1629/30, also noch in der Leidener Zeit des Künstlers, bevor er 1630 nach Amsterdam übersiedelte.

Literaturhinweise
Hess, Daniel: Der Apostel Paulus im Nachdenken. In: Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.); Faszination Meisterwerk. Dürer – Rembrandt – Riemenschneider. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2004, S. 72-74;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000, S. 279
van den Boogert, Bob: Rembrandt Harmensz. van Rijn – Der Apostel Paulus am Schreibtisch, um 1629/30. In: Ernst van de Wetering/Bernhard Schnackenburg (Hrsg.), Der junge Rembrandt. Rätsel um seine Anfänge. Edition Minerva, Wolfratshausen 2001, S. 222-225;
van Thiel, Pieter: Der Apostel Paulus an seinem Arbeitstisch. In: Christopher Brown u.a. (Hrsg.), Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt. Gemälde. Schirmer/Mosel, München 1991, S. 136-138.

(zuletzt bearbeitet am 10. Juni 2020)

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