Montag, 2. September 2019

„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ – Pieter Bruegels d.Ä. „Bekehrung des Paulus“

Pieter Bruegel d.Ä.: Bekehrung des Paulus (1567); Wien, Kunsthistorisches Museum
(für die Großansicht einfach anklicken)
Die Bekehrung des Saulus, seine sprichwörtlich gewordene Wendung vom Saulus zum Paulus, wird uns in der Apostelgeschichte des Neuen Testaments geschildert (9,1-19): Der Christenverfolger Saulus befindet sich auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus, als er, von einem hellen Licht geblendet, von seinem Pferd stürzt und die Stimme Christi hört: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ (Apg. 9,4; LUT). Saulus kann drei Tage nichts sehen, wird von einem Jünger Jesu geheilt, lässt sich taufen und wird als Paulus zum Völkermissionar, „ dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel“ (Apg. 9,15; LUT).
Pieter Bruegel d.Ä. (1525/30–1569) hat diese Bekehrungsszene auf seinem 1567 datierten Gemälde in eine eigenwillige Gebirgslandschaft versetzt. Diagonale, sehr steile und von Felsen gebildete Hanglinien bestimmen die Komposition. „Der Betrachter vermeint, am linken Bildrand in einen fast körperlich empfundenen Abgrund zu schauen, in eine beängstigende Tiefe; gleichzeitig wird sein Blick am rechten Bildrand hinauf in schwindelerregende Höhen geführt“ (Hammer-Tugendhat 2007, S. 231). Die Gipfel ragen weit über das obere Bildende hinaus; das trifft auch auf die Spitze einer auf der Mittelachse des Bildes platzierten Lärche zu, die die Komposition vertikal in zwei Hälften teilt. Von links unten windet sich ein großes Heer zu Fuß und zu Pferd in einer langen Kolonne und auf schmalem Pfad in das Hochgebirge nach rechts. An der Küste, wo die Soldaten ihren Marsch begonnen haben, herrscht sonniges Wetter; Segelschiffe befahren das Meer. Den blauen Himmel bekrönen Wolken, die von den steilen Graten des Gebirges aufgehalten zu werden scheinen.
Die rechte Bildhälfte wird von einem dichten und unkoordiniert wirkenden Pulk aus Befehlshabern, Berittenen und Fußvolk bestimmt. Der Weg des Trosses zieht sich dabei einer Diagonale folgend durch den Bildraum, die sich in der rechten oberen Ecke in einem immer enger werdenden Durchgang zuspitzt. In die Felsklamm, auf die die Soldaten zulaufen, fällt kaum noch Licht, weil dort dunkle Gewitterwolken aufgezogen sind.
In der mittleren Zone des Bildes ist – auf der Höhe des Horizonts, winzig klein und deswegen schwer zu entdecken – der fanatische Christenverfolger vom Pferd gefallen. Das religionsgeschichtlich bedeutsame Ereignis gerät inmitten der eindrucksvoll inszenierten Naturkulisse regelrecht zur Nebenhandlung. Saulus liegt in Rückenansicht rechts der Lärche und damit leicht aus dem Zentrum gerückt am Boden, im Kreis verwunderter und zu Hilfe eilender Gefolgschaft – der Heerzug gerät deswegen kurz ins Stocken. Der Sturz muss dem dargestellten Moment unmittelbar vorausgegangen sein, ist doch dem Abgeworfenen der Fuß gerade erst aus dem Steigbügel des verrutschten Sattels geglitten, und sein Arm greift noch hilfesuchend nach dem Zaumzeug. Nur die Gesichter weniger im Hintergrund verteilter Personen verraten, was geschehen ist. Ihr Blick gilt den Lichtstrahlen, die zwischen den Bäumen hindurch das Pferd und den Gestürzten treffen. „Dass sie den Reiter zuvor geblendet haben, ist noch an der Geste des Mannes ablesbar, der unmittelbar vor dem Pferd steht und schützend die Hand vor seine Augen hält, um nicht wie Saulus vorübergehend zu erblinden“ (Müller/Schauerte 2018, S. 294). Bruegel verzichtet auf einen spektakulären Lichteffekt; nur sparsam erscheinen die göttlichen Strahlen links am oberen Bildrand.
Fast alle Figuren sind in der rechten Bildhälfte versammelt. Bruegel hat sie durchweg mit Waffen und Kostümen seiner Zeit ausgestattet. Saulus selbst ist schlicht in ein dunkelgrünes Gewand gekleidet, ohne Rüstung und ohne Hut, den er vielleicht beim Sturz verloren hat. Die Rückenansicht zweier Berittener und eines Hundeführers sowie des Standartenträgers führen den Blick des Betrachters zu dem Kreis, in dem sich die Bekehrung ereignet. Die Gebirgslandschaft spiegelt und unterstreicht das Drama, das sich – für alle anderen verborgen – allein im Innern des Saulus abspielt. Das Plateau zwischen unten und oben, an dem er von Christus gestoppt wird, bildet den Wendepunkt in seinem Leben: So wie bisher wird es für ihn nicht weitergehen, nichts wird mehr so sein wie vorher. Doch niemand bemerkt es.
Das Thema des Bildes ist Erkenntnis – aber die Menschen erkennen nichts. Darin ist Bruegels Gemälde eng verwandt mit seiner Volkszählung zu Bethlehem (siehe meinen Post „Bethlehem in Flandern“). Diejenigen, die sich noch weit unten im Tal befinden, haben nicht die geringste Ahnung, was weiter oben gerade vorgeht; teilnahmslos und nichtsahnend ziehen sie durchs Gebirge. Diejenigen wiederum, die schon weit, weit droben in den Bergen sind, erreicht die Nachricht von dem Vorfall nicht mehr. Sie ziehen weiter, führen den Feldzug fort, obwohl ihr Anführer dies nicht mehr will. Auch die groß gezeigten Rückenfiguren sehen nicht wirklich, was passiert, so tief sitzen die Helme vor ihren Gesichtern; die meisten Figuren haben den Blick auf den Boden geheftet. Die Dreiergruppe im Vordergrund blickt in die Richtung der ausgestreckten Hand des Reiters, der den Weg weist – aber eben nicht auf Saulus zeigt.
Denkbar ist aber auch eine politische Deutung des Gemäldes: 1567 überquerte der spanische Herzog von Alba mit seinen Truppen die savoyischen Alpen, um dem niederländischen Volk Unterdrückung und Knechtschaft zu bringen. „Mit der Tafel wäre dann die Hoffnung verbunden, dass sich Alba besinnen, sozusagen vom Saulus zum Paulus würde“ (Müller/Schauerte, S. 250). Gestützt wird diese Interpretation durch zwei schreitende Soldaten, leicht links aus der vertikalen Bildachse gerückt, von denen einer einen roten Schild mit dem Habsburger Adler auf dem Rücken trägt. Mit dem aufziehenden Gewitter in der oberen rechten Ecke deutet Bruegel zudem an, dass der Feldzug scheitern wird und die Soldaten in ihr Unglück schreiten.

Literaturhinweise
Hammer-Tugendhat, Daniela: Peripherie und Zentrum. Eine Glosse zu Pieter Bruegels d.Ä. Bekehrung Pauli. In: Edith Futscher u.a. (Hrsg.), Was aus dem Bild fällt. Figuren des Details in Kunst und Literatur. Wilhelm Fink Verlag, München 2007, S. 229-236;
Müller, Jürgen/Schauerte, Thomas: Pieter Bruegel. Das vollständige Werk. TASCHEN GmbH, Köln 2018, S. S. 249-250 und 294;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
 
(zuletzt bearbeitet am 17. September 2020)

1 Kommentar:

  1. Lieber Herr Schnabel, toller Text, wie immer. Ich glaube, Sie haben ein "a" vergessen bei der Literaturangabe, es ist Daniela Hammer-Tugendhat. Beste Grüße

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