Mittwoch, 23. Dezember 2020

Der Weihnachts-Wumms – Rembrandts „Verkündigung an die Hirten“ (1634)

Rembrandt: Verkündigung an die Hirten (1634); Radierung
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Rembrandt (1606–1669) war 28 Jahre alt, als er in seiner Amsterdamer Frühphase 1634 mit der Verkündigung an die Hirten seine bis dahin ambitionierteste Radierung schuf. Das großformatige Blatt (26,1 x 22 cm) verbildlicht den entsprechenden Bericht aus dem Lukas-Evangelium (Lukas 2,8-14): Auf einer Anhöhe über einem Fluss halten Hirten bei ihren Herden Nachtwache. Plötzlich wird die Dunkelheit blitzartig von einer überirdischen Erscheinung erleuchtet: Der Himmel tut sich auf, und im Zentrum einer Lichtglorie erscheint die Taube als Symbol des Heiligen Geistes, von einem schwebenden Puttenreigen umringt; darunter steht auf einer Wolkenbank die hell leuchtende Gestalt des Erzengels Gabriel und verkündet mit deklamatorischer Geste den Hirten auf dem Felde die Weihnachtsbotschaft von der Geburt des Erlösers.

Dem in statuarisch-würdevoller Ruhe und übergroßem Figurenmaßstab präsentierten Engel stellt Rembrandt antithetisch den kleinteiligen Tumult gegenüber, den der gleißende Lichtschein auslöst. Die Reaktionen der Männer reichen von ungläubigem Erstaunen bis hin zu panischem Schrecken, der sie reglos erstarren oder Hals über Kopf die Flucht ergreifen lässt. Nur ein in die Knie gesunkener Hirte, der in seiner Furcht und wie von Scheinwerferlicht geblendet abwehrend die Hände erhoben hat, scheint den Engel wahrgenommen zu haben. Am rechten Bildrand sind noch zwei weitere Hirten zu erkennen, die wohl aus einer Höhle emporsteigen, um nachzusehen,was sich hier ereignet, der vordere hält eine Laterne in seiner Rechten. Unterschiedlich verhalten sich auch die Tiere: Im Schlaf überrascht, sind manche der Hirtenhunde, Schafe und Rinder kaum erst aufgewacht, blicken verstört auf, während andere schon in Todesangst davongaloppieren.

Die Vordergrundzone steigt nach rechts in einem schmalen Streifen an; rechts wird das von kleinen Pflanzen bewachsene, sonst hingegen freie Felsplateau zum Hintergrund hin durch einen dichten, bis zum Himmel aufragenden Bewuchs an Büschen und Bäumen abgeschlossen. Dabei sind neben heimischen Eichen auch Palmen zu erkennen. Die erleuchteten Zonen des Blattes werden durch eine dunklen Mittelstreifen getrennt, der das Bildfeld diagonal von links unten nach rechts oben durchzieht. Auf der rechten Seite wird dieser Streifen von den Bäumen durchbrochen, auf deren Blattwerk das Himmelslicht flimmert. Links fällt das Areal des Vordergrunds nach einer Bodenwelle steil in die Tiefe. Hier dehnt sich eine weite, von einem Fluss durchzogene Landschaft aus. Am Horizont tauchen die letzten Strahlen der untergegangenen Sonne das Gelände in ein dämmriges Licht. Eine mächtige Steinbrücke führt über den Fluss hinweg, auch eine Stadtsilhouette lässt sich ausmachen. Nur zu erahnen sind einige Figuren vor einem Lagerfeuer am jenseitigen Ufer, das sich im Wasser spiegelt.

Rembrandt hat seiner Darstellung durch Licht- und Schattenpartien noch eine zweite Diagonale eingeschrieben: Während die eine den himmlischen vom irdischen Bereich trennt, verläuft die andere Diagonale von links oben nach rechts unten und stellt somit eine Verbindung zwischen Heiligem Geist, Engel und Hirten her. Dabei korrespondiert das Getümmel auf Erden formal mit dem Engelsgewimmel im Himmel und verknüpft auf diese Weise die beiden Bereiche. Mit den um die Taube kreisenden Putti gelingt Rembrandt ein Bravourstück an variantenreich bewegten und verkürzt dargestellten Leibern. Um die extreme Helligkeit zu verdeutlichen, hat er mit Freilassungen gearbeitet und sowohl die Taube als auch einige der Engel mit nur wenigen Strichen ausgeführt. Deren Körperkonturen werden vom Licht regelrecht verschluckt. Je weiter die Putten vom Heiligen Geist entfernt sind, desto stärker hat Rembrandt sie modelliert und mit Schattenpartien versehen. Es scheint ihn bei der Ausarbeitung nicht gestört zu haben, dass seine Darstellung im Druck spiegelverkehrt erscheinen wird: So wendet sich der Engel (ähnlich wie auch Jesus in Rembrandts Radierung Auferweckung des Lazarus) entgegen der Bildkonvention mit der erhobenen Linken an sein Publikum.

Rembrandt: Auferweckung des Lazarus (1632); Radierung
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Der Kontrast zwischen der tiefschwarzen Nacht auf Erden und der blendenden Helligkeit am Himmel ist aber nicht nur ein gelungener dramatischer Effekt, sondern hat auch eine bedeutsame theologische Komponente: Rembrandt führt uns auf diese Weise die Finsternis der menschlichen Welt vor Augen, die durch Christi Geburt vom Licht der göttlichen Gnade erleuchtet wird.

Hendrick Goudt: Flucht nach Ägypten (1613); Kupferstich nach dem Gemälde von Adam Elsheimer
Zur Verkündigung an die Hirten existieren keine Vorzeichnungen, statt dessen zwei Probeabzüge, die nahelegen, dass der Künstler ohne vorbereitende Hilfsmittel direkt auf die Platte radiert hat. Es handelt sich um die erste der „dunklen“ Radierungen Rembrandts, zugleich um seine erste druckgrafisch realisierte Nachtszene. Unverkennbar ist der Einfluss Hendrick Goudts (1583–1648) und seiner Stiche nach Hauptwerken von Adam Elsheimer (1578–1610). Dessen nur in geringer Zahl erhaltene Bilder fanden in Goudt einen Bewunderer, der die Werke des Malers sammelte, reproduzierte und so für eine möglichst weite Verbreitung sorgte. So erinnert z. B. das Lagerfeuer am Fluss an Elsheimers berühmte Flucht nach Ägypten (1609) aus der Münchner Pinakothek und den entsprechenden Nachstich von Goudt. 

Rembrandt: Himmelfahrt Christi (1636); München, Alte Pinakothek
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Die Verkündigung an die Hirten wurde zur kompositorischen Grundlage für Rembrandts Himmelfahrt Christi – eines der Gemälde des 1636 an Prinz Frederik Hendrik von Oranien gelieferten Bilderzyklus zur Passion Christi, der sich heute in der Münchner Pinakothek befindet.

 

Literaturhinweise

Bevers, Holm u.a. (Hrsg.): Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt. Zeichnungen und Radierungen.  Schirmer/Mosel, München 1991, S. 190;

Bevers, Holm u.a. (Hrsg.): Rembrandt. Ein Virtuose der Druckgraphik. SMB DuMont, Köln und Berlin 2006, S. 62;

Gatomski, Juliane: Die Verkündigung an die Hirten. In: Jürgen Müller und Jan-David Mentzel (Hrsg.), Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des Leibes. 100 Radierungen. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, S. 150;

Kreutzer, Maria: Rembrandt und die Bibel. Radierungen, Zeichnungen, Kommentare. Philipp Reclam jun. Stuttgart 2003, S. 86;

Riether, Achim: Schwarzweiß im Goldenen Zeitalter. Niederländische Druckgraphik des 16 und 17. Jahrhunderts aus der Sammlung Christoph Müller. Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen/Berlin 1995, S. 26;

Unverfehrt, Gerd (Hrsg.): Rembrandt schwarz – weiß. Meisterwerke der Radierkunst aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen. Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Göttingen 1994, S. 159-160.


1 Kommentar:

  1. Ich bin froh, Ihrem schönen Blog folgen zu dürfen. Danke. Und Frohe weihnacht!

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