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Gerrit van Honthorst: Die Befreiung Petri (um 1616); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)
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Die innovativen Bilderfindungen des italienischen
Barockmalers Caravaggio (1571–1610) wurden von Künstlern aus ganz Europa in solch
großem Umfang nachgeahmt, dass eine eigene Bewegung entstand – der
„Caravaggismus“. Zu Caravaggios wichtigsten Stilmerkmale gehörten ein flacher
Bildraum, nah gesehene
Halbfiguren, dramatische Hell-Dunkel-Effekte und eine am Modell orientierte
Figurendarstellung (siehe meinen Post „Mit dem Scheinwerfer gemalt“). Gerrit van
Honthorst (1592–1656) zählt mit Dirck van Baburen (1595–1624) und Hendrick ter Brugghen
(1588–1629) zu den wichtigsten holländischen Caravaggisten. Alle drei waren
Abschluss ihrer Lehrjahre in Utrecht nach Rom gereist – hatten aber Caravaggio
selbst dort nicht mehr angetroffen. Was sie in Rom allerdings sehen konnten,
waren dessen aufsehenerregende Altarbilder und sonstigen Gemälde. Und alle drei
kehrten nach Italienaufenthalt nach Utrecht zurück. Nicht nur auf ihre Bilder,
sondern insgesamt auf die holländische Gemäldeproduktion zwischen 1615 und 1630
hatten Caravaggios Gestaltungselemente ohne Frage großen Einfluss.
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Gerrit van Honthorst: Dornenkrönung Christi (um 1622); Amsterdam, Rijksmuseum (für die Großansicht einfach anklicken)
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Honthorst traf wahrscheinlich um 1613
in Italien ein. Als „Gherardo delle Notti“ wurde er schon während seiner Zeit
in Rom berühmt: Zu erkennen sind seine Nachtstücke an der von Kerzenschein oder
einer Fackel erleuchteten Szenerie, wobei die künstliche Lichtquelle oft hinter
einem Bildgegenstand oder einer Figur verborgen oder nur teilweise sichtbar ist.
Die Flamme selbst bildet auf diese Weise nicht mehr den hellsten Bereich der
Komposition, sondern stattdessen der sie umgebende Raum, wodurch eine
gleichmäßig erleuchtete intime Bildfläche entsteht. Von allen Werken Honthorsts,
die während seines Romaufenthalts bis 1620 entstanden sind, ist Die Befreiung Petri (um 1616) sicherlich
dasjenige, das von Caravaggios Malweise und Stilmitteln am meisten beeinflusst
ist.
Honthorst Gemälde bezieht sich auf eine
Episode aus der Apostelgeschichte, die sich im Neuen Testament direkt an die
Evangelien anschließt. König Herodes Agrippa I. lässt Angehörige der
christlichen Gemeinde in Jerusalem verhaften und foltern; der Apostel Jakobus
wird enthauptet, Petrus gefangen genommen und scharf bewacht: „So wurde nun
Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für
ihn zu Gott. Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte,
schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die
Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam
herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite
und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von
seinen Händen“ (Apostelgeschichte 12,5-7; LUT)
Honthorst reduziert die Bilderzählung
auf die beiden Hauptfiguren des biblischen Berichts, er verzichtet sowohl auf
die Soldaten wie auch auf die Wachen vor dem Kerker. Selbst die Ketten, die von
den Händen Petri fallen sollten, hängen nur an der Wand, um die Szene
identifizieren zu können. Petrus weicht erschrocken zurück angesichts des Engels
eintretenden Engels und des mit ihm unerwartet einfallenden Lichts. Der Apostel
wird regelrecht scheinwerferartig angeleuchtet und die Szene damit in ein
Helldunkel getaucht, das so viele Werke Caravaggios kennzeichnet. Petrus sitzt
am Boden und fasst sich mit der linken Hand an die faltige Stirn, um sich vor dem
hereinflutenden Helligkeit zu schützen. Das durch die geöffnete Tür in die
dunkle Zelle eindringende Licht ergießt sich am ausgestreckten Arm des Engels
entlang über das Antlitz des alten Mannes; dabei scheint der himmlische Bote soeben
die Worte „Steh schnell auf!“ zu sprechen.
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Caravaggio: Berufung des Matthäus (1599/1600); Rom, San Luigi dei Francesi (für die Großansicht einfach anklicken)
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Der ausgestreckte Arm des Engels ist
ohne Frage eine Übernahme aus Caravaggios Berufung
des Matthäus in der Kirche San Luigi die Francesi (Contarelli-Kapelle;
siehe meinen Post „Heimgeleuchtet“), wo Christus mit dem gleichen Zeigegestus
dargestellt wird. Auch der Effekt des Lichtstrahls, der das wundersame Ereignis
unterstreicht, ist diesem Gemälde Caravaggios entnommen. Als Inspirationsquelle
zu nennen wären ebenso Caravaggios Bilder Matthäus
mit dem Engel (1599) und Christus im
Garten Gethsemane (um 1605), die sich ehemals in Berlin befanden und
1945 bei einem Fliegerangriff zerstört wurden. Honthorst hat den Faltenwurf des
rotbraunen Mantels von Petrus ähnlich angelegt wie den von Petrus im
Vordergrund des Gethsemane-Gemäldes.
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Caravaggio: Matthäus mit dem Engel (1602); Kriegsverlust
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Caravaggio: Christus im Garten Gethemane (1605); Kriegsverlust
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Auch ter Brugghen hat die Befreiung Petri dargestellt, allerdings in
einem hochformatigen Gemälde (1624). Er nutzt ebenfalls das verlorene Altarbild
Caravaggios mit dem von einem jugendlich-schönen Engel inspirierten Matthäus als
Ausgangspunkt. Dabei drängt sich bei ter Brugghen der jugendliche Engel dem
Evangelisten noch näher auf als in Caravaggios Vorlage. Die beiden Gestalten sind
als Halbfiguren vor dunklem Hintergrund, das Format fast ausfüllend, nah und
groß an den vorderen Bildrand gerückt. Der einfache, alte Fischer ist zutiefst
erschrocken über das wundersame Geschehen. Den zahnlosen Mund vor Bestürzung geöffnet, blicken seine weit aufgerissenen
Augen verwirrt und fassungslos an dem Engel – nur die Ketten an seinen Handgelenken
erinnern daran, dass wir hier den „Apostelfürsten“ vor uns haben. Der Engel
berührt Petrus mit seiner Rechten an der Schulter, während die linke Hand nach oben
weist – auf Gott, der ihn gesandt
hat. Wie Caravaggio betont ter Brugghen die Gegensätzlichkeit der beiden
Protagonisten – rechts der greise Apostel mit wettergegerbtem, Gesicht und
groben Händen, links der knabenhafte Engel mit heller Haut und schmalen Fingern.
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Hendrick ter Brugghen: Die Befreiung Petri (1624); Den Haag, Mauritshuis (für die Großansicht einfach anklicken)
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Gerrit van Honthorst: Der Zahnarzt (1622); Dresden, Gemäldegalerie
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Gerrit van Honthorst: Bei der Kupplerin (1625); Utrecht, Centraal Museum
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Nachdem Honthorst 1620 nach Utrecht
zurückgekehrt war, schuf er zunächst noch weitere Gemälde jener Art, mit der er
sich in Italien einen Namen gemacht hatte, wie z. B. Der Zahnarzt (1622) oder Bei der Kupplerin (1625). Er betrieb bald eine große Werkstatt mit zahlreichen
Schülern. Honthorsts Figuren sind gegenüber denen Caravaggios erkennbar idealisierter
– anders als das große Vorbild verzichtete er auf die Wiedergabe derber
Gesichter und schrumpeliger Hautfalten. Sein Bildpersonal ist auch ästhetischer
als das von Baburen und ter Brugghen, seine Malweise glatter und feiner, seine
Kompositionen weiträumiger angelegt – und das traf den Geschmack der holländischen
Aristokratie außergewöhnlich gut. Im Frühjahr 1628 reiste er für einige Monate nach
London, wo er Aufträge vom englischen Hof erhielt, und nach 1630 fasste er zudem
Fuß am Hof des Statthalters Friedrich Heinrich von Oranien und der Amalie zu
Solms-Braunfels in Den Haag. Auch den König von Dänemark und den Kurfürsten von
Brandenburg konnte er als Auftraggebern gewinnen. Bei seinem Tod 1656
hinterließ Honthorst mehr als 500 Gemälde, darunter etwa 200 Porträts.
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Matthias Stomer: Befreiung Petri (1630/32); Zürich, Kunsthaus (für die Großansicht einfach anklicken)
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Von dem
niederländische Maler Matthias Stomer (um 1600–nach 1653), wahrscheinlich ein
Schüler von Honthorst, kennen wir eine um 1630/32 entstandene Befreiung Petri, die sich deutlich an
die Version seines mutmaßlichen Meisters anlehnt. Stomer reduziert das
Geschehen ebenfalls auf zwei Figuren und behält auch deren Gestik bei, spiegelt
die Komposition allerdings, d. h., der Engel tritt bei ihm von links auf. Übernommen
wird auch die Lichtführung, also der durch die geöffnete Tür einfallende
Lichtstrahl. Im Gegensatz zu Honthorsts flüssiger, glatter Malweise trägt
Stomer seine Farben aber mit kurzen, pastos gesetzten Pinselstrichen auf, „die
insbesondere in den Stoffen zu zackig markierten Faltengraten uns insgesamt zu
unruhigen Oberflächen führen“ (Neumeister 2003, S. 212). Auch die gelblichen Farbwerte, die Honthorsts Nachtstück ihre tonale Harmonie und besondere Stimmung verleihen, werden von Stomer durch ein leuchtendes, stark lokalfarbiges Kolorit ersetzt.
Literaturhinweise
Dibbits, Taco: Die Utrechter
Caravaggisten. In: Ausstellungskatalog
Rembrandt – Caravaggio. Rijksmuseum Amsterdam und Van Gogh Museum 24. Februar
bis 18. Juni 2006, Belser Verlag, Stuttgart 2006, S. 34-41;
Helmus, Liesbeth M.: Die
Utrechter Caravaggisten: Eine Frage der Nachfolge und des Verbesserns. In: Bernd
Ebert/Liesbeth H. Helmus (Hrsg.), Utrecht, Caravaggio und Europa. Hirmer
Verlag, München 2018, S. 51-62;
Neumeister, Mirjam: Das Nachtstück mit Kunstlicht in der niederländischen Malerei und Graphik des 16. und 17. Jahrhunderts. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2003, S. 212-218;
Squarzina, Silvia Danesi:
Caravaggio in Preußen. Die Sammlung Giustiniani und die Berliner
Gemäldegalerie. Electa; Mailand 2001, S. 312-313;
LUT
= Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche
Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 12. Juli 2023)
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