![]() |
Jacques-Louis David: Antoine-Laurent und Marie-Anne Lavoisier (1788); New York, Metropolitan Museum of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Wenn sich Naturwissenschaftler und Ärzte im 18. bei ihrer Tätigkeit bzw. ihren Experimenten porträtieren ließen, dann trugen sie keine weißen Laborkittel, sondern mit Knopfrabatten doppelreihig besetzte Stutzfräcke, weiße Hemden mit gekräuselten Jabots, Kniehosen, Seidenstrümpfe, Schnallenschuhe und eine gepuderte Perücke. Als Paradebeispiel sei hier das Doppelporträt von Antoine-Laurent Lavoisier und seiner Frau Marie-Anne vorgestellt, ausgeführt 1788 von dem französischen Maler Jacques-Louis David (1748–1825).
Lavoisier gilt als einer der Begründer der modernen Chemie: 1743 geboren und zunächst als Jurist ausgebildet, widmete er sich schon früh den Naturwissenschaften und wurde nach ersten Erfolgen 1768, im Alter von nur 24 Jahren, in die Académie royale des sciences aufgenommen. Gemeinsam mit Claude-Louis Berthollet (1748–1822), Antoine-François Comte de Fourcroy (1755–1809) und Louis-Bernard Guyton de Morveau (1737–1816) erarbeitete er eine neuen Nomenklatur der Chemie und schuf damit die Grundlage für einen Verständigungskanon, aufgrund dessen die neue Disziplin überhaupt erst wissenschaftlich effizient werden konnte. Durch empirische Forschungen, die insbesondere auf einer bis dahin unbekannten Präzision von meist selbstentworfenen Messinstrumenten und minutiös protokollierten Messverfahren beruhten, entdeckte er u. a. die chemische Zusammensetzung von Luft und Wasser, die zu dieser Zeit noch immer als Elemente galten. Er isolierte deren Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff, entwickelte seine Theorien zu Respiration und Oxidation und formulierte das auch heute noch gültige Gesetz der Massenerhaltung.
Auf seiner Entdeckung baute Lavoisier seine Theorie der prozessualen Einheitlichkeit von Oxidation, Kalzination und Atmung auf, die er zwischen 1787 und 1788 in zahlreichen Aufsätzen publizierte. 1789 erschien sein bahnbrechendes Lehrbuch „Traité élémentaire de chimie“; 1790 verwaltete er die von der Konstituierenden Versammlung beschlossene Reform der Maße und Gewichte; er war außerdem Vorsitzender eines Normenausschusses, dessen Tätigkeit zur Einführung der seither geltenden Raum- und Zeitmaße geführt hat. Dennoch wurde Lavoisier als Repräsentant der verhassten Steuerverwaltung während der jakobinischen Schreckensherrschaft vor ein Revolutionstribunal gestellt und im Mai 1794 auf der Guillotine hingerichtet. Als Generalpächter der Steuern eines großen Staatsgutes in der Loire-Region war Lavoisier äußerst wohlhabend; ab 1791 wurde er deswegen von dem Arzt und revolutionären Publizisten Jean-Paul Marat (1743–1793) heftig angegriffen, den er sich 1780 zum Feind gemacht hatte, als er dessen fehlerhafte Schrift über Verbrennung („Recherches physiques sur le feu“) abkanzelte.
David, der Porträtist Lavoisiers, saß damals im Konvent, als man den Wissenschaftler in einem öffentlichen Schauprozess zum Tode verurteilte und sein Vermögen konfiszierte. Zu denen, die für die Hinrichtung seines prominenten Modells stimmten gehörte er nicht. Er musste sich aber sicherlich „hüten, etwas von der Existenz seines Gemäldes laut werden zu lassen; es wäre sein eigenes Todesurteil gewesen“ (Roters 1998, S. 99). Das Bild blieb in Privatbesitz und deshalb fast zwei Jahrhunderte lang der Forschung verborgen. Erst 1977 gelangte es durch eine Schenkung in das Metropolitan Museum of Art in New York.
David zeigt das Ehepaar in bürgerlicher Kleidung: Lavoisier im schwarzen Rock mit seidener culotte, spitzenbesetztem Hemd, schwarzen Strümpfen und ebensolchen Schuhen mit silberner Schnalle; Madame Lavoisier im hellen, gleichfalls spitzenbesetzten Musselinkleid, um das ein blaues Band geschlungen ist. Auf dem Kopf trägt sie eine Perücke, die einige Strähnen bis weit auf den Rücken fallen lässt. Der Chemiker sitzt an einem Tisch, bedeckt mit roter, Falten werfender Samtdraperie, auf dem drei teils gefüllte Behältnisse aus Glas und Messing als Attribute seines Berufs zu sehen sind. Mit der rechten Hand setzt er schreibend eine Feder auf einige vor ihm ausgebreitete Blätter, aller Wahrscheinlichkeit nach soll es sich hier um das Manuskript seines „Traité élémentaire de chimie“ handeln, den er nur wenige Monate später im April 1789 veröffentlichen wird. Sein rechtes Bein hat er am Tischbein vorbei ausgestreckt; zu seinen Füßen sind weitere Apparate zu einem zweiten Stillleben arrangiert: ein gläserner Rundkolben auf geflochtener Halterung und ein zylindrisch geformtes Gefäß aus Messing.
Lavoisier schaut über seine rechte Schulter zurück, hebt Kopf und Blick zu seiner Frau, die seitlich und etwas hinter ihm steht und sich in leicht vorgebeugter Haltung einerseits mit den Fingern ihrer rechten Hand auf den Tisch stützt, während sie den linken Unterarm auf die Schulter ihres Mannes legt. Ihr Blick ist auf den Betrachter „als Zeugen der Bildsituation“ (Fleckner 2014, S. 547) gerichtet. Hinter ihr ist am linken Bildrand ein Stuhl zu erkennen, über den ein Tuch geworfen wurde; darauf liegt ein großes Portfolio, wie es Künstler zum Aufbewahren von Zeichnungen oder Grafiken benutzen. Die beiden Figuren befinden sich in einem großen, saalartigen Innenraum, dessen lichte Höhe und überaus repräsentative Ausstattung mit aufragenden Pilastern und marmorner Wandtäfelung ebenso wenig zum bürgerlichen Habit der Personen passen will wie der üppige rote Überwurf des Tisches, der weder zum Schreiben noch zum Hantieren mit chemischen Geräten taugen dürfte. Wir haben es hier keineswegs mit einer authentischen Aufnahme der Wohnräume Lavoisiers oder gar seines Labors zu tun, mit einem Einblick in den Arbeitsalltag des Chemikers, sondern mit einer „durch und durch komponierten Anordnung aussagekräftiger Bildelemente“ (Fleckner 2014, S. 547).
![]() |
Lavoisiers Gasometer |
![]() |
Marie-Anne Lavoisier: zu Recht selbstbewusst |
![]() |
Jean-Honoré Fragonard: Die Inspiration (1769); Paris, Louvre |
![]() |
Hyacinthe Rigaud: Ludwig XIV. (1701); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
Erstaunlich sind die Maße des Doppelporträts von David: Auf 286 x 224 cm Leinwand sind die beiden Figuren lebensgroß dargestellt – ein Format, das bis zum 18. Jahrhundert in der französischen Bildnismalerei ausschließlich dem adligen Standesporträt und insbesondere dem prunkvollen portrait d’apparat, dem herrscherlichen Repräsentationsporträt vorbehalten war. Als das geradezu klassische Beispiel dieser Gattung in der französischen Malerei gilt Hyacinthe Rigauds berühmtes Bildnis Ludwig XIV. von 1701, das den Monarchen, ausgestattet mit allen Insignien seiner Macht, im Thronsaal vor Säule und Vorhang zeigt. Das Werk ist mit 277 x 194 cm sogar noch etwas kleiner als das Porträt der Eheleute Lavoisier.
Literaturhinweise
Fleckner, Uwe: Respiration und Inspiration. Jacques-Louis Davids Bildnis des Chemikers Antoine-Laurent Lavoisier und seiner Frau Marie-Anne. In. Zeitschrift für Kunstgeschichte 77 (2014), S. 545-564;
Gaus, Joachim: Ingenium und Ars – das Ehepaarbildnis von David und die Ikonographie der Museninspiration. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 36 (1974), S. 199-228:
Roters, Eberhard: Malerei des 19. Jahrhunderts. Themen und Motive. Band I. DuMont Buchverlag, Köln 1998, S. 97-101.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen