Rembrandt: Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (1647); Dublin, National Gallery of Ireland (für die Großansicht einfach anklicken) |
Adam Elsheimer: Flucht nach Ägypten (1609); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandts Bild fußt auf der berühmten Flucht nach Ägypten von Adam Elsheimer (1578–1610), das 1609 entstand und sich heute in der Alten Pinakothek Münchens befindet (31 x 41 cm). Mit diesem außergewöhnlichen Gemälde gelang es dem Frankfurter Künstler auf bis dahin nie dagewesene Weise, die nächtliche Atmosphäre mittels verschiedener Lichtquellen und eines zauberhaften Sternenhimmels einzufangen; außerdem handelt es sich um die erste Darstellung der Milchstraße auf einem Landschaftsbild. Obwohl Elsheimer sein Meisterwerk malte, als er in Rom lebte, wurde es durch die Verbreitung eines Stichs von Hendrick Goudt (1583–1648) zur einflussreichsten Nachtlandschaft Nordeuropas.
Hendrick Goudt: Flucht nach Ägypten (1613); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Peter Paul Rubens: Flucht nach Ägypten (1614); Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister |
Einer der ersten Künstler, die sich von Goudts Stich inspirieren ließ, war Peter Paul Rubens (1577–1640), der sich während seiner Romaufenthalte (1602/1603 und 1606 bis 1608) mit Elsheimer angefreundet hatte. Insbesondere holländische Künstler nahmen verschiedene Motive von Goudts Nachstich auf, so zum Beispiel den Kontrast zwischen natürlichen und künstlichen Lichtquellen, den diagonal in den Hintergrund zurückgesetzten Waldrand, den umwölkten Vollmond und sein Spiegelbild im See, den Widerschein des Feuers im Wasser und natürlich den Sternenhimmel samt Milchstraße. Rembrandt war somit einer von vielen, die einem weitverbreiteten Vorbild folgten.
Rembrandt übernimmt Elsheimers Grundidee, eine Nachtlandschaft mit einer kleinfigurig im Vordergrund dargestellten Heiligen Familie zu malen. Auch die diagonal angelegte Komposition sowie die im Bild verteilten unterschiedlichen Lichtquellen greift Rembrandt auf. Wie Elsheimer zeigt er im Vordergrund ein sich im See spiegelndes Feuer, um das sich eine Figurengruppe versammelt hat. Das Sujet als solches variiert er und zeigt nicht das Unterwegssein, sondern die Ruhe auf der Flucht. Die Geborgenheit, die das wärmende Feuer dem Lager der Heiligen Familie verleiht, wird durch den Kontrast mit der nächtlichen Finsternis verstärkt. Den Mond versteckt Rembrandt, während er die Dynamik der Bäume steigert. Elsheimer hatte die hellste Lichtquelle, den Mond, im Hintergrund platziert, die schwächste, Josefs Fackel, im Vordergrund. „Rembrandt ordnete seine Lichter logischer an und erzielte durch die Verbindung der unterschiedlichen Lichtquellen sowie den Gebrauch »verwandter Farben« größere Homogenität“ (Waiboer 2006, S. 120).
Rembrandt veranschaulicht die Dramatik der Flucht, indem er sie auf die Landschaftsdarstellung überträgt: Den Himmel bedecken wirbelnde Wolken, die ihre Entsprechung in den unruhig verteilten Schatten finden. „Damit wird eine Atmosphäre der Bedrohung evoziert, die durch das unheimliche, burgartige Gebäude auf einer Felsspitze unterstrichen wird“ (Neumeister 2008, S. 109). Dort sind nur einzelne Fenster erleuchtet und heben sich von der düsteren Steinmasse ab. Der Blick auf das Original in Dublin verdeutlicht, dass das Lagerfeuer aus pastosen Farbschichten besteht, die plastisch auf der Bildoberfläche sitzen. Rembrandt suggeriert auf diese Weise überzeugend das Sprühen der Funken, die damit nicht nur den behaglichen Eindruck von Geborgenheit und Wärme, „sondern auch die Flüchtigkeit eines kleinen Feuers gegenüber der bedrohlichen Dunkelheit assoziieren“ (Neumeister 2008, S. 109).
Adam Elsheimer: Steinigung des Stephanus (um 1603/04); Edinburgh, National Gallery of Scotland |
Rembrandt: Steinigung des Stephanus (1625); Lyon, Musée des Beaux-Arts |
Der Maler Pieter Lastman (1583–1633), bei dem Rembrandt 1625 sechs Monate in die Lehre ging, wurde während seines Romaufenthaltes zwischen 1602 und 1607 stark von Elsheimer beeinflusst und war einer der wichtigsten Verfechter seines Stils in den Niederlanden. Fest steht, dass Lastman seinem Schüler das Werk Elsheimers nahebrachte, denn Rembrandts frühestes datiertes Gemälde, Die Steinigung des Heiligen Stephanus (1625), fußt auf einer leider verlorenen Version Lastmans, die wiederum auf eine Stephanus-Darstellung Elsheimers zurückgreift. Auch Rembrandts Emmausmahl von 1629 (siehe meinen Post „Gehaltene Augen“) beruht teilweise auf Elsheimers Jupiter und Merkur im Haus von Philemon und Baucis (um 1608/09), das ihm aus einem Stich Goudts bekannt gewesen sein dürfte (siehe meinen Post „Raum ist in der kleinsten Hütte“).
Literaturhinweise
Waiboer, Adriaan: Nachtlandschaft mit der Ruhe auf der Flucht
nach Ägypten. In: Christiaan Vogelaar und Gregor J. M. Weber (Hrsg.),
Rembrandts Landschaften. Hirmer Verlag, München 2006, S. 114-123;
Neumeister,
Mirjam: Adam Elsheimer und die Tradition des niederländischen
Nachtstücks. In: Andreas Thielemann/Stefan Gronert (Hrsg.), Adam
Elsheimer in Rom. Werk – Wirkung – Kontext. Hirmer Verlag, München 2008,
S. 87-110;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 16. Januar 2025)
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