Albrecht Dürer: Der verlorene Sohn bei den Schweinen (1496/97); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der verlorene Sohn im
Augenblick der Reue, seiner inneren Umkehr, dem dann sein Aufbruch zum
Vaterhaus folgt – diese Szene ist in den zurückliegenden Jahrhunderten unzählige
Male dargestellt worden. Es war Albrecht Dürer (1471–1528), der diesen Moment
aus dem bekanntesten Gleichnis des Neuen Testaments (Lukas 15,16-19) zum ersten
Mal wiedergegeben hat.
Sein
berühmter Kupferstich von 1496/97 entfernt sich deutlich von früheren
Darstellungen des Themas. Holzschnitt-Illustrationen bildeten bis dahin den
verlorenen Sohn zumeist als Hirten auf freiem Feld ab, auf seinen Stab gestützt
und umgeben von den Schweinen, die an den Trog drängen. Dürer platziert die
Szene im Innenhof eines bäuerlichen Anwesens und zeigt den
Bußfertigen am Misthaufen kniend inmitten einer
Schweineherde (also auf einer Ebene mit ihnen); sein einstmals teures, im Dreck jetzt nur hinderliches Gewand hat er hochgeschürzt. Körperhaltung, Gestik und Mimik offenbaren seinen Entschluss, zum Vater zurückzukehren und ihn um Vergebung zu bitten. Sein Blick ist himmelwärts
gerichtet, genauer: auf die Kirche im rechten oberen Bildeck. Sie steht im
übertragenen Sinn für das „Vaterhaus“,
zu dem es heimzukehren gilt.
Der Winkel des Bauernhofes, in dem der verlorene Sohn sein schmerzhaftes Scheitern eingesteht, bietet keinen Zugang zu einer menschlichen Behausung. Das Gehöft mit seinen Schuppen, Scheunen, Ställen und Hausrückwänden wirkt unbehaglich, öde, abweisend – ebenso trostlos wie der Beter selbst, der hier am Schweinetrog beschämt niederkniet. Außer ihm ist niemand zu sehen – kein Mensch, an den er sich wenden könnte, und es gibt auch keine Tür, die sich ihm öffnet. Die in sich verschachtelten Gebäude verbauen ihm regelrecht jeden Ausweg „und wirken in ihrer Dichte wie eine Falle, aus der es kein Entkommen gibt“ (Reuße 2002, S. 48).
Der Winkel des Bauernhofes, in dem der verlorene Sohn sein schmerzhaftes Scheitern eingesteht, bietet keinen Zugang zu einer menschlichen Behausung. Das Gehöft mit seinen Schuppen, Scheunen, Ställen und Hausrückwänden wirkt unbehaglich, öde, abweisend – ebenso trostlos wie der Beter selbst, der hier am Schweinetrog beschämt niederkniet. Außer ihm ist niemand zu sehen – kein Mensch, an den er sich wenden könnte, und es gibt auch keine Tür, die sich ihm öffnet. Die in sich verschachtelten Gebäude verbauen ihm regelrecht jeden Ausweg „und wirken in ihrer Dichte wie eine Falle, aus der es kein Entkommen gibt“ (Reuße 2002, S. 48).
Dürer versetzt das
Geschehen in das zeitgenössische Hier und Jetzt, in eine fränkisch-dörfliche
Umgebung, die ein damaliger Betrachter aus Nürnberg als „getreues Abbild“
erkannt haben wird. So sahen die Höfe in den Außenbezirken der freien
Reichsstadt damals aus.
Ob es sich um eine Phantasieansicht aus Versatzstücken oder um die Wiedergabe eines realen Dorfes handelt, lässt sich nicht sagen. Auf jeden Fall wird die Szenerie auf diese Weise für den Betrachter sehr viel greifbarer. Seinen Sinn für sachliche Beobachtung und präzise Beschreibung seiner unmittelbaren Umgebung hatte Dürer zuvor in Aquarellen wie z. B. der Drahtziehmühle unter Beweis gestellt. Im Fall des Verlorenen Sohnes dient er ganz der Aktualisierung des Geschehens.
Albrecht Dürer: Drahtziehmühle an der Pegnitz (1494, Aquarell); Berlin, Kupferstichkabinett (für die Großansicht einfach anklicken) |
Das von Dürer neu
entdeckte Bildthema fand bald große Verbreitung und wurde von italienischen
Stechern des 16. Jahrhunderts, Fayencemalern und sogar von einem persischen
Miniaturmaler kopiert. Der Naturalismus des Kupferstichs wurde überaus
bewundert und trug sehr zu seiner Berühmtheit bei. Neu an Dürers Darstellung
war auch das Heranziehen der Landschaft an die Figur. Häuser und Höfe, Städte
und Schlösser hatte man schon längst gemalt, aber diese Bildelemente erschienen
dann immer abgetrennt, sie existierten für sich neben der Figur. Hier dagegen rücken
Figur und Bildhintergrund zusammen und sind miteinander verknüpft, der
verlorene Sohn ist in den Raum aufgenommen.
Immer wieder ist
festgestellt worden, dass der junge knochig-hagere Mann Dürer selbst ähnlich
sieht. Offensichtlich brachte der Künstler ein besonderes Verständnis für
diesen Reuigen auf, sodass er ihm selbstporträthafte Züge verliehen hat – als
markante Merkmale wären die langen Ringellocken, Nase und Bart zu nennen. Seine
Darstellung gewinnt dadurch auch Bekenntnischarakter. Niemand hat diesen
prachtvollen Kupferstich in Auftrag gegeben, niemand anderer als Dürer selbst –
für sich selbst.
Diese Zeichnung ist der einzige erhaltene Entwurf Dürers für einen seiner Kupferstiche vor 1500 (für die Großansicht einfach anklicken) |
Zu Dürers Kupferstich existiert auch eine Entwurfszeichnung, die im British Museum (London) aufbewahrt wird. Sie ist seitenverkehrt angelegt, da die Darstellung spiegelbildlich auf die Kupferplatte übertragen wurde. Zwischen dem Entwurf und dem ausgeführten Kupferstich wurden noch einige Änderungen vorgenommen: Die Häuser rücken weiter nach vorne, der Hof erscheint damit nicht mehr so weitläufig. Die Schweine um den Trog stehen enger beieinander, und von dem auf der Zeichnung in Umrissen skizzierten Stier ist nur noch das Hinterteil zu sehen. In der Übertragung eines Bildentwurfs von einem Medium in das andere musste Dürer wohl Erfahrungen sammeln – so erklärt sich Martin Sonnabend die merkwürdig angeordneten Beine des jungen Mannes: In der Zeichnung wirkt die anatomisch wenig geglückte Verbindung von Hüfte und gedrehtem Oberkörper weniger störend. „Durch die Ausarbeitung im Stich gewinnt der Gewandbausch an Plastizität und Eigenleben und suggeriert eine verkehrte Beinstellung“ (Sonnabend 2007, S. 42). Den Kopf des verlorenen Sohnes mit seiner Lockenpracht und ebenso seine
Bethaltung hat Dürer wenig später nochmals aufgegriffen – in seiner berühmten
Holzschnittfolge zur Johannes-Offenbarung (Apocalipsis cum figuris, 1498
erstmals erschienen), und zwar in dem Blatt Johannes erblickt die sieben
Leuchter.
Albrecht Dürer: Johannes erblickt die sieben Leuchter (1498); Holzschnitt |
Lucas van Leyden: Heimkehr des verlorenen Sohnes (1510); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Eichler, Anja: Der verlorene Sohn. In: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hrsg.), Albrecht Dürer. Druckgraphik aus den Beständen des Kupferstichkabinetts. Karlsruhe 1994, S. 41;
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943), S. 103;
Reuße, Felix: Albrecht Dürer und die europäische Druckgraphik. Die Schätze des Sammlers Ernst Riecker. Wienand Verlag, Köln 2002, S. 48;
Schoch, Rainer: Der verlorene Sohn. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 45-48;
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943), S. 103;
Reuße, Felix: Albrecht Dürer und die europäische Druckgraphik. Die Schätze des Sammlers Ernst Riecker. Wienand Verlag, Köln 2002, S. 48;
Schoch, Rainer: Der verlorene Sohn. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 45-48;
Schröder, Klaus Albrecht/Sternath, Maria Luise
(Hrsg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung in der Albertina Wien. Hatje Cantz
Verlag, Ostfildern 2003, S. 187-189;
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007.
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007.
(zuletzt bearbeitet am 2. Dezember 2020)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen