Sonntag, 14. September 2025

Rembrandt verbessert seinen Lehrmeister – „Bileam und die Eselin“ und „Die Taufe des Kämmerers“

Pieter Lastman: Bileam und die Eselin (1622); Jerusalem, The Israel Museum Collection
Weil die Niederlande im 17. Jahrhundert in Handel, Wissenschaft und Kunst eine außergewöhnliche Blüte erlebten, wird diese Epoche ihrer Geschichte als das „Goldene Zeitalter“ bezeichnet. In diesem Zeitabschnitt entstand eine schier unüberschaubare Zahl von Bildern mit alttestamentlichen Motiven, die – anders als im Mittelalter und in der Renaissance – von den Malern meist auf Vorrat für den Kunstmarkt geschaffen wurden. Als Begründer der holländischen Historienmalerei gelten die sogenannten „Prärembrandtisten“. Ihr wichtigster Vertreter war Pieter Lastman (1583–1633), der viele alttestamentliche Themen zum ersten Mal in der niederländischen Malerei darstellte. 

Besondere Bedeutung hat Lastman aber auch als Lehrmeister Rembrandts (1606–1669) erlangt. Rembrandt verbrachte 1624/25 einige Monate in dessen Amsterdamer Atelier. Da seine eigentliche Lehrzeit zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war und er wenig später (1625/26) eine eigene Werkstatt in Leiden eröffnete, „kann man davon ausgehen, dass er, gegen ein Aufgeld an den berühmten Künstler Lastman, nur mehr eine Art Schliff erfahren wollte, auch um seinen zunächst nur schrittweise erfolgten Einsteg in den Markt mit der Historienmalerei chancenreicher zu verfolgen. Diese Gattung war zu jener Zeit noch wesentlich vielversprechender als etwa die Porträtmalerei (Sitt 2006, S. 72). Rembrandt studierte die Werke seines Lehrers eingehend, kopierte deren Kompositionen und Bildinhalte – und entwickelte sie weiter. Wie Rembrandt dabei vorging, soll das Beispiel von Bileam und der Eselin verdeutlichen, einer Geschichte aus 4. Mose 22,21-35.
Der Moabiterkönig Balak lässt den Propheten Bileam zu sich rufen – er soll die Israeliten verfluchen, die durch sein Gebiet ziehen. Auf seinem Weg zum König tritt Bileam ein Engel mit einem Schwert entgegen. Bileams Eselin bleibt daraufhin stehen, der Prophet jedoch, der den Engel nicht sieht, schlägt das Tier, damit es sich weiterbewegt. Lastmans Breitformat-Gemälde von 1622 (40,3 x 60,6 cm) zeigt den Moment, in dem der Engel Bileam zum dritten Mal den Weg versperrt, die Eselin auf die Knie fällt und zu reden beginnt: „Was hab ich dir getan, dass du mich nun dreimal geschlagen hast? (4. Mose 22, 28). 
Der Engel schwebt rechts im Vordergrund auf einer Wolke heran. Durch die Lichtführung wird deutlich unterschieden zwischen Hauptpersonen und Begleitfiguren: Im verschatteten Mittelgrund sind zwei Knechte dargestellt, während im wiederum helleren Hintergrund die Moabiterfürsten erscheinen, die Bileam holen sollten.
Rembrandt: Bileam und die Eselin (1626); Paris, Musée Cognac-Jay
Rembrandts Version der Szene von 1626 (65 x 47 cm) lehnt sich offenkundig an Lastman an – und weist doch entscheidende Veränderungen auf. Rembrandt reduziert das Ambiente und konzentriert die Darstellung ganz auf die Hauptfiguren, indem er die Moabiterfürsten nahe heranrückt. Vor allem aber tauscht er das Quer- gegen das Hochformat. Das gibt Rembrandt die Möglichkeit, den Schwert schwingenden Engel in die Lüfte zu erheben und ihn hinter Bileam anzuordnen. Seine eindrucksvollen Flügel wirken wie die eines Raubvogels. Durch die optische Verbindung von angezogenem Zügel, erhobenem Stock und drohender Gebärde mit dem Schwert gewinnt Rembrandts Bild eine weit größere Dynamik und Dramatik als Lastmans Gemälde. Auch die Eselin wird in dem veränderten Szenario mit mehr Gewicht versehen: Indem Rembrandt den Kopf des Tieres vor dem hellen Engelsgewand platziert,
„erhält der Aufschrei der Eselin ein monumentales Pathos“ (Pächt 2005, S. 33).
Und dann sind da noch Bileams Augen. Anders als Lastman hat Rembrandt die Augen des Propheten nämlich als dunkle Höhlen gemalt – nur nur um dessen rasende Wut auf die störrische Eselin anzuzeigen, sondern um so seine „geistige Blindheit“ auch optisch hervortreten zu lassen. Denn dies ist schließlich der Augenblick, bevor Gott Bileams Augen öffnet, sodass er den Engel des Herrn auf seinem Wege stehen sah mit einem bloßen Schwert in seiner Hand, und er neigte sich und fiel nieder auf sein Angesicht“ (4. Mose 22,31).
Das großblättrige Pflanzenarrangement auf Rembrandts Gemälde in der rechten vorderen Bildecke ist übrigens ebenfalls ein Lastman-Zitat – es findet sich u.a. auf dessen Gemälde Die Verstoßung der Hagar von 1612 (Hamburger Kunsthalle).
Pieter Lastman: Die Verstoßung der Hagar (1612); Hamburg, Kunsthalle
Jürgen Müller hat herausgearbeitet, dass Rembrandt für die Gestalt des Bileam auf die berühmte antike Skulptur des Laokoon (siehe meinen Post
Das ultimative antike Meisterwerk“) zurückgreift und dabei auch einen Sinnzusammenhang herstellt: Wie schon der Priester Laokoon von einer göttlichen Macht bestraft wurde, so ergeht es auch Bileam“ (Müller 2007, S. 130).
Laokoon-Gruppe (aufgefunden 1506); Rom, Vatikanische Museen
Pieter Lastman: Die Täufe des Kämmerers (1608); Berlin, Gemäldegalerie
Rembrandt hat noch eine weitere biblische Historie von Lastman einer Revision unterworfen, und zwar Die Taufe des Kämmerers, die eine Begebenheit aus der Apostelgeschichte schildert (8,26-40). Lastman hat insgesamt vier unterschiedliche Versionen dieses Themas angefertigt. Rembrandts Fassung ist wie sein Bileam 1626 entstanden. Aus Lastmans Pariser Gemälde entlehnt sie die Platzierung der Hauptgruppe, bestehend aus dem Apostel Philippus, dem knienden Kämmerer und dem hinter ihm stehenden Bedienten mit Buch. Die Haltung des Kämmerers wiederum übernahm Rembrandt aus Lastmans Münchner Bild und die des stehenden Dieners mit dem aufgeschlagenen Buch aus der Version in Karlsruhe. Aus dem Bild in Karlsruhe stammen noch weitere Motive, so etwa der bespannte Wagen mit den großen Rädern im Hintergrund oder den Kutscher mit der Peitsche. Eine Infrarotaufnahme zeigt zudem, dass Rembrandt von dort zunächst auch die Baumgruppe hinter der Kutsche, die er später zu einer Palme umarbeitete, und den Sonnenschirm übernommen hatte. Ein Hund, wie er auf allen Fassungen Lastmans zu finden ist, taucht auch bei Rembrandt trinkend links im Vordergrund auf.

Pieter Lastman: Die Taufe des Kämmerers (um 1612); Paris, Collection Frits Lugt
Rembrandt: Die Taufe des Kämmerers (1626); Utrecht, Catharijneconvent
Pieter Lastman: Die Taufe des Kämmerers (1620); München, Alte Pinakothek
Pieter Lastman: Die Taufe des Kämmerers (1623); Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle
Wie schon bei seinem Bileam entscheidet Rembrandt sich auch bei dieser
Umarbeitung für eine dynamische, leicht spiralförmige Komposition, statt die Figuren wie Lastman friesartig anzuordnen. Erneut konzentriert sich Rembrandt viel stärker als Lastman auf das eigentliche Geschehen. Dazu rückt er die zentrale Gruppe nach vorne, drängt die Landschaft buchstäblich in den Hintergrund, beschränkt die Zahl der Nebenfiguren und platziert die Personen um die vertikale Mittelachse, die durch den Kämmerer betont wird.
Im Zuge der Reformation, die von den sieben Sakramenten der römisch-katholischen Kirche nur noch die Taufe und das Abendmahl anerkannte, gewann die biblische Erzählung von der Taufe des Kämmerers stark an Bedeutung. Anders als in der katholischen Kirche, die die Taufe als Voraussetzung für das zukünftige Heil betrachtete, galt sie bei den Protestanten lediglich als Bestätigung der göttlichen Heilszusage; der Schweizer Reformator Johannes Calvin (1509–1564) betonte in seinem Kommentar zur Apostelgeschichte, dass vor dem Akt der Taufe der Glaube stehen müsse. Der Glaube wiederum erwächst, wie es im Römerbrief des Paulus heißt (10,17), aus der Verkündigung von Gottes Wort und dem Hören auf dessen Botschaft – genau dies ist auch in der Bekehrungsgeschichte des Kämmerers der Fall. Rembrandt schließt sich dieser Sicht an, wenn er das Buch deutlich hervorhebt und das unmittelbare Aufeinanderfolgen von Lesung und Taufe suggeriert.
Rembrandt: Die Taufe des Kämmerers (1641); Radierung
In einer Radierung von 1641 nimmt Rembrandt das Thema der Kämmerer-Taufe nochmals auf. Er kehrt dabei mit seiner querformatig angelegten Komposition wieder zu dem Vorbild Lastmans zurück. Die wartende Kutsche und die Taufe des Äthiopiers sind spiegelbildlich zu seinem Gemälde von 1626 eingefügt; aus Lastmans Karlsruher Bild übernimmt Rembrandt den Sonnenschirm. Der prominent platzierte Reiter lenkt mit seinem Blick den des Betrachters direkt auf die Taufhandlung. 

 
Literaturhinweise

Giltaij, Jeroen: Rembrandt Rembrandt. Ausstellungskatalog Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main 2003. Edition Minerva, Wolfratshausen 2003, S. 30-33;

Müller, Jürgen: „Een antieckse Laechon“. Ein Beitrag zu Rembrandts ironischer Antikenrezeption. In: Horst Bredekamp u.a. (Hrsg.), Dissimulazione onesta oder Die ehrliche Verstellung. Von der Weisheit der versteckten Beunruhigung in Wort, Bild und Tat. Philo Fine Arts, Hamburg 2007, S. 105-130

Pächt, Otto: Rembrandt. Prestel-Verlag, München 2005, S. 33-34;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000, S. 236-238;
Sitt, Martina (Hrsg.): Pieter Lastman – In Rembrandts Schatten? Hirmer Verlag, München 2006, S. 56-59 und 64;
Wetering, Ernst van de/Schnackenburg, Bernhard (Hrsg.): Der junge Rembrandt. Rätsel um seine Anfänge. Edition Minerva, Wolfratshausen 2001. 

(zuletzt bearbeitet am 14. September 2025)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen