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Peter Cornelius: Weltgericht (1836–1840); München, Ludwigskirche (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ende 1828 beauftragte der bayerische König Ludwig I. (1786–1868) den Koblenzer Architekten Friedrich von Gärtner (1791–1847), die Pläne für eine Pfarrkirche in der neuen Vorstadt vor dem Schwabinger Tor zu entwerfen. St. Ludwig (auch Ludwigskirche genannt) wurde zwischen 1829 und 1844 errichtet und gehört zu den ersten monumentalen Bauwerke im Rundbogenstil, der die Architektur des Historismus im 19. Jahrhundert dominierte. Die Fassade ist gekennzeichnet durch zwei markante Turmspitzen zu Seiten der mit einer großen Fensterrose versehenen Giebelfront. Links und rechts der beiden Westtürme öffnen sich Arkadenreihen zum Garten hin. Die dreischiffige Basilika bezieht sich mit ihrer Doppelturmfassade auf die barocke Theatinerkirche, hebt sich aber mit ihrem gerade geschlossenen Chor, den Arkaden, einer Freitreppe und einer Vorhalle deutlich von ihr ab.
Friedrich von Gärtner: Ludwigskirche (1829–1844); München |
Als künstlerischer Höhepunkt der Ludwigskirche gelten die Fresken, die von dem Düsseldorfer Maler Peter Cornelius (1783–1867) entworfen wurden, einem der führenden Nazarener. Es ist das einzige erhaltene Hauptwerk des Künstlers und zugleich wohl die bedeutendste sakrale Monumentalmalerei der Romantik in Deutschland. Allerdings entsprechen der kunsthistorische Rang der Fresken und seine Wertschätzung einander keineswegs. In den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts etwa dachte man zeitweilig sogar daran, sie der Neugestaltung des Innenraums zu opfern. Sie waren auch schon zu ihrer Entstehungszeit umstritten und wurden damals überwiegend abgelehnt.
Obwohl Cornelius zeitgleich mit dem Architekten den Auftrag für den Freskenschmuck der Kirche erhielt, konnte er erst 1836 mit den Wandmalereien beginnen – denn erst zu diesem Zeitpunkt war der Bau weit genug vorangeschritten. Cornelius selbst malte nur das Fresko an der Apsiswand selbst, die Ausführung seiner anderen Entwürfe überließ er einem großen Mitarbeiterstab. Im Spätsommer 1840 war der Freskenzyklus im Wesentlichen vollendet.
Das von Cornelius konzipierte Freskenprogramm umfasst den Bereich des Chores, der Vierung und der Querarme. An den Stirnwänden des Querschiffes stehen sich als Hauptbilder die Geburt Christi und die Kreuzigung Christi gegenüber und darüber als Einzelfiguren zu beiden Seiten der Fenster Verkündigung und Noli me tangere. Das Hauptwerk von Cornelius dominiert die flache Abschlusswand des Chores: 18 m hoch und 11 m breit, zeigt es das Jüngste Gericht mit Christus als Weltenrichter sowie Aufstieg und Höllensturz der Auferstehenden. Im Gewölbe über dem Chor ist Gottvater umgeben von Engelschören dargestellt. In den Gewölben der Querarme finden sich die vier Evangelisten beziehungsweise die vier lateinischen Kirchenväter. Das Vierungsgewölbe nehmen Patriarchen, Propheten, Märtyrer und Heilige ein.![]() |
Die Deckenfresken im Vierungsgewölbe (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im Zusammenhang betrachtet, illustriert der Freskenzyklus das Apostolische Glaubensbekenntnis: Jedes Fresko, angefangen im Chorgewölbe, das „Gott Vater, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erden“ zeigt, bis zur Gerichtsdarstellung und den für die „Sancta ecclesia catholica“ stehenden Fresken des Vierungsgewölbes, verbildlicht einen Satz des Credo. Cornelius hatte ursprünglich gehofft, die gesamte Kirche, also auch die Wände des Langhauses ausmalen zu können. Da die veranschlagten Kosten für dieses Projekt aber bei weitem das überschritten, was der König auszugeben bereit war, musste der Künstler sein Programm auf den schließlich ausgeführten Umfang reduzieren.
Das erste Bild, das Cornelius entwarf und als Karton ausführte, war die Kreuzigung Christi. In einer streng auf die Mittelachse ausgerichteten Komposition wird recht unspektakulär das bekannte Bildpersonal aufgeboten. Als störend und für ein Historienbild als gänzlich unpassend empfanden zeitgenössische Betrachter allerdings die eingefügten Engel und Teufel über den Kreuzen der beiden Schächer. Dies schien „ein Rückfall in längst überwundene Formen der Kunst zu sein, mit denen die Ebene des ,Wahrscheinlichen‘ durchbrochen wird“ (Büttner 1993, S. 294). Aber Cornelius ging es hier gar nicht um historische Treue – Engel und Teufel wurden von ihm zeichenhaft abgebildet, um den Betrachter auf die theologische Bedeutung der Kreuzigung hinzuweisen.
Die Geburt Christi ist ebenso streng aufgebaut wie die Kreuzigung: Maria sitzt frontal genau in der Mittelachse des Bildes vor dem Stall, der sich wie ein Baldachin hinter ihr erhebt. Mit ausgebreiteten Armen hält sie ein weißes Tuch als Unterlage für das Kind, das auf ihrem Schoß sitzt, dem Betrachter ebenfalls frontal zugewandt, und seine Arme segnend ausbreitet. Gottesmutter und Kind sind das Ziel der beiden Figurengruppen der Könige bzw. der Hirten, die sich links und rechts aus der Tiefe nach vorne drängen. Im oberen Bildteil erscheinen Gottvater und Heiliger Geist, von Engeln umgeben und ebenfalls streng auf die Mittelachse bezogen. Durch diese bildbestimmende Vertikalachse „wird für den Betrachter der Gedanke der Trinität in den Vordergrund gerückt“ (Büttner 1993, S. 295). Maria wird von Cornelius betont als „Theotokos“, als Gottesgebärerin aufgefasst. Die parallel ausgebreiteten Arme von Gottvater und Sohn verweisen wiederum auf ihre Wesensgleichheit.
Das Jüngste Gericht lässt schon beim Eintritt in die Kirche seinen klaren Bildaufbau erkennen: Zum einen ist wiederum die Vertikale in der Bildmitte deutlich betont, zum anderen hat Cornelius das Geschehen in drei übereinander geschichtete Zonen aufgeteilt. Der Aufstieg der Seligen links und der Sturz der Verdammten rechts bilden die seitlichen Pfeiler der Komposition. Von der Bewegung und Unruhe, die in der unteren Zone herrschen, hebt sich die obere Zone durch ihre fast statische Ruhe ab. Christus thront zwischen Maria und Johannes dem Täufer, den Aposteln und Propheten. Er bringt den Urteilsspruch, der Verdammung oder Erlösung bedeutet, nur durch die unterschiedliche Handhaltung zum Ausdruck.
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Buonamico Buffalmacco: Jüngstes Gericht und Höllenbqualen (um 1336–1341); Pisa, Camposanto (für die Großansicht einfach anklicken) |
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Giotto: Jüngstes Gericht (1306); Padua, Arena-Kapelle (für die Großansicht einfach anklicken) |
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Luca Signorelli: Verdammnis (1499–1502); Orvieto, Dom/Cappella Nova (für die Großansicht einfach anklicken) |
Cornelius schuf seinen Entwurf für das Jüngste Gericht in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken, die er als vorbildlich ansah. Sie sind zumeist italienischer Herkunft. Von besonderer Bedeutung waren für ihn das Gerichtsfresko von Buffalmacco im Pisaner Camposanto, Giottos Fresko in der Arena-Kapelle, Signorellis Wandmalereien in Orvieto (siehe meinen Post „Das bunte Ende der Welt“) und vor allem Michelangelos Fresko in der Sixtina. Die kaum zu überblickende Zahl der Gerichtsdarstellungen in der Kunst der Spätrenaissance und des Barock ignorierte er. Die Camposanto-Fresken in Pisa hatte Cornelius schon während seines ersten Italienaufenthaltes (1811–1819) genau studiert. Von dort übernahm er bestimmte Motive, ohne sie im eigentlichen Sinn zu kopieren. Vorgebildet ist in Pisa vor allem die Betonung der Vertikalachse mit dem Erzengel Michael und dem apokalyptischen Engel, umgeben von Posaunenengeln. Allerdings vermeidet Cornelius die dortige Ausgestaltung der Höllenstrafen, die er auch bei Giotto in Padua hatte sehen können.
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Michelangelo: Jüngstes Gericht (1536–1541); Rom, Sixtina (für die Großansicht einfach anklicken) |
Eine Schlüsselrolle spielte für Cornelius unbestreitbar Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle (siehe meine Posts „Ganz nackt, ganz Mann und „Meine Augen werden ihn schauen“). Die Grundidee der Anordnung ist von dort übernommen; dazu gehört vor allem die Aufteilung in die drei horizontalen Zonen, zu denen noch die Engel mit den Arma Christi hinzukommen. Sie bilden bei Michelangelo eine selbständige Zone, wurden von Cornelius hingegen dem Bereich mit dem richtenden Christus zugeordnet. Ebenfalls auf Michelangelo geht das Motiv der Aufsteigenden und der Stürzenden zurück, durch deren Bewegung die obere und die untere Zone des Bildes, Himmel und Erde verbunden werden. Die Unterscheide zwischen den beiden Fresken sind dennoch überdeutlich.
Bei Michelangelo geht eine ungeheure Energie von der Gestalt Christi aus, die alles in eine bebende Bewegung versetzt, eine Dynamik, die zentripetal und zentrifugal zugleich ist. Die Mittelzone zeigt sich in heftigem Aufruhr. Die Gruppe der Posaunenengel erscheint wie ein vielfaches Echo der Erscheinung Christi. Das Aufsteigen der Seelen auf der linken Bildseite ist kein leichtes Schweben, sondern ein angestrengtes Überwinden der Schwerkraft, der Sturz der Verdammten auf der gegenüberliegenden Seite ein tobender Kampf. In der unteren Bildzone wird auf der linken Seite die Auferstehung gezeigt, ein Erwachen, auf dem immer noch die bleierne Schwere des Todesschlafes liegt. Die rechte Bildhälfte nimmt die Höllenszene ein, in der das alte Motiv des Höllenschlunds, in den die Verdammten gestürzt werden, ersetzt ist durch das Bild des Charon, der die Seelen dem Totenrichter Minos entgegentreibt.
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Raffael: Disputa (1509/10); Rom, Vatikanische Museen/Stanza della Segnatura (für die Großansicht einfach anklicken) |
Auch in dem Fresko der Ludwigskirche findet sich eine große Vielfalt an Bewegungsmotiven. Dennoch hat der Betrachter nicht den Eindruck eines dynamischen Geschehens, das sich unmittelbar und gegenwärtig vollzieht. Anders als Michelangelo gestaltet Cornelius den himmlischen Bereich als Zone der Ruhe. Von Christus geht keine wahrnehmbare Kraft aus, die als Ursache aller Bewegung verstanden werden könnte. Die Begleitfiguren gruppieren sich in strenger Ordnung um ihn. Das Motiv der Deesis, das Michelangelo zugunsten der Darstellung der neben Christus sitzenden Maria aufgegeben hatte, griff Cornelius wieder auf, und zwar in Anlehnung an Raffaels Disputa. Von dort nahm er auch die Anregung, das alte Motiv der Apostel als Beisitzer des Gerichts, das Michelangelo unbeachtet gelassen hatte, durch Hinzunahme der Propheten zu modifizieren.
Cornelius‘ Tendenz zur Schematisierung zeigt sich deutlich an der Gruppe der Engel unter Christus. Der apokalyptische Engel präsentiert das Buch des Lebens wie bewegungslos. Nur der Ausdruck des von fliegenden Haaren umrahmten Gesichts lässt eine heftige innere Anteilnahme erkennen. Naturgemäß ist die Bewegung in der Gruppe der Stürzenden am größten, und hier sind auch die meisten Verbindungen zwischen dem Fresko der Ludwigskirche und dem der Sixtina zu entdecken. Die Bewegungen der Aufsteigenden hat Cornelius weit starrer als Michelangelo dargestellt: Bei Michelangelo geht die Bewegung von den Einzelgestalten aus, bei Cornelius hingegen ist der von den Engeln angeführte Reigen der Seelen das Hauptmotiv.Warum aber erfuhren die Fresken von Cornelius eine so deutliche Ablehnung durch die Zeitgenossen, auch von Seiten des bayerischen Königs? Frank Büttner erklärt dies mit den damaligen aktuellen Tendenzen der Historienmalerei: Im Fahrwasser des Historismus wurde vom Historienbild vollkommene Geschichtstreue gefordert. Es sollte die Geschichte so zeigen, wie sie sich dem Augenzeugen dargeboten hat; der Betrachter ist aufgefordert, vor dem Bild Geschichte mitzuerleben. Diese Rezeptionsform wurde in der weiteren Entwicklung dominierend. Cornelius arbeitete in seinen Fresken diesen Tendenzen jedoch bewusst entgegen, „weil er überzeugt war, daß die religiöse Wahrheit, die er darstellen wollte, etwas über die historische Wirklichkeit Hinausgehendes ist“ (Büttner 1993, S. 302). Der Zeitgeschmack erwies sich allerdings als mächtiger – seine Konzeption wurde als „Kunstfehler“ wahrgenommen.
Hinzu kam, dass man das Werk von Cornelius von Anfang an mit Michelangelos Wandmalereien in der Sixtina verglich – man hatte eine Überbietung des Italieners erwartet und war enttäuscht, empfand das Ergebnis als unbefriedigend. Cornelius‘ Fresken waren also zum einen betont nicht realistisch; zum anderen zielten seine Fresken nicht darauf ab, vorrangig ästhetisch zu wirken oder emotional anzusprechen – Cornelius war vielmehr der Ansicht, dass religiöse Kunst die Wahrheiten des christlichen Glaubens vor allem durch eine symbolhafte Darstellungsweise sichtbar machen sollten.
Glossar
– Als Arma Christi (lat. „Waffen Christi“) werden Waffen, Foltergeräte oder andere Gegenstände bezeichnet, die in Beziehung zum Leiden und Sterben Jesu Christi stehen. Da die Passionswerkzeuge als Waffen zur Überwindung von Sünde und Tod gesehen werden, gelten sie auch als Siegeszeichen.
– In der christlichen Ikonografie meint Deesis eine Darstellung von Christus als Herrscher oder Richter zwischen den Figuren der bittenden Maria und Johannes dem Täufer.
Literaturhinweise
Büttner, Frank: Subjektives Gefühl, künstlerisches Ideal und christliche Wahrheit. Das religiöse Bild im frühen Werk von Peter Cornelius. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 52 (1991), S. 237-261;
Büttner, Frank: Unzeitgemäße Größe. Die Fresken von Peter Cornelius in der Münchner Ludwigskirche und die zeitgenössische Kritik. In: Das Münster 1993, S. 293-304;
von Einem, Herbert: Peter Cornelius. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 16 (1954); S. 104-160.
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