Sonntag, 26. August 2012

Und schlug ihn tot – „Kain“ von Lovis Corinth

Lovis Corinth: Kain (1917); Düsseldorf, Museum Kunstpalast
(für die Großansicht einfach anklicken)
Der deutsche Maler Lovis Corinth (1858–1925) zeigt den biblischen Brudermörder Kain im Moment nach seiner Untat: Abel liegt blutüberströmt, vom unteren Bildrand angeschnitten, zwischen seinen Beinen, die Arme im Todeskrampf nach oben gereckt. Die physische Übermacht Kains ist schon durch seine schiere Größe offensichtlich. Der Eindruck seiner Überlegenheit wird noch durch die Untersicht verstärkt, die den Betrachter in die Lage Abels versetzt.
Kain hält einen riesigen Felsbrocken in den Händen, um das Mordopfer mit einem weiteren Stein zu  bedecken und verschwinden zu lassen. Doch dann dreht er jäh seinen Kopf zum Himmel: Seine weit aufgerissenen Augen und der offene Mund signalisieren den plötzlichen Anruf durch die Stimme Gottes: „Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde“ (1. Mose 4,10; LUT). Große schwarze Vögel – Todessymbole – kreisen am Himmel und kommen dem Mörder bedrohlich nahe; das Angesicht der Erde wirkt wie ein trostloses Niemandsland.
Corinths Gemälde entstand während des Ersten Weltkriegs in Berlin (1917), und zwar an einem entscheidenden Wendepunkt, als die USA Deutschland den Krieg erklärte und damit dessen Niederlage besiegelte. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der alttestamentlichen Erzählung von Kain und Abel (1. Mose 4,1-16) war bei Corinth sicherlich durch das Zeitgeschehen bedingt: Seine Selbstbiografie bezeugt, dass ihn die damaligen Kriegsereignisse besonders erschüttert haben. Doch sein Gemälde ist nicht nur ein Zeitkommentar, sondern ebenso ein allgemeines Sinnbild für die Menschheitsgeschichte, die immer wieder in Krieg und Brudermord mündet.



Literaturhinweise
Schuster, Klaus-Peter u.a. (Hrsg.): Lovis Corinth. Prestel-Verlag, München/New York 1996, S. 236;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

(zuletzt bearbeitet am 23. März 2020)

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