Mittwoch, 21. Februar 2024

Erhabene Überlegenheit – das Reiterstandbild des Marc Aurel auf dem Kapitol


Marc Aurels Reiterstandbild – ursprünglich komplett vergoldet
(für die Großansicht einfach anklicken)
Die überlebensgroße Bronzestatue des Marc Aurel ist das einzig vollständig erhaltene Reiterstandbild der Antike und dazu das einzige eines römischen Kaisers – eines Kaisers, der als Inbegriff des philosophischen Herrschers galt. Es ist das Vorbild der großen Reiterstatuen der Gotik wie dem Bamberger Reiter, der Renaissance und des Barock wie dem Gattamelata von Donatello in Padua, dem Colleoni von Verrocchio in Venedig und dem Großen Kurfürsten von Schlüter Unter den Linden in Berlin (siehe auch meinen Post „Der Söldnerführer von Padua“).
Das ursprünglich vollständig vergoldete Reiterbildnis ist wahrscheinlich um 176 n.Chr. im Wachsausschmelzverfahren geschaffen worden, wohl im Zusammenhang mit dem Sieg über die Markomannen und Samarten im gleichen Jahr. 782 wurde es am Lateranspalast in Rom aufgestellt, den Kaiser Konstantin durch die Erlöserbasilika hatte überbauen lassen. Die Statue überdauerte den allgemeinen frühmittelalterlichen Bildersturm gegen antike Kunstwerke und Monumente, weil man den Reiter für den in Rom als Heiligen verehrten Kaiser Konstantin hielt und das Standbild als Symbol ursprünglich kaiserlicher, dann päpstlicher Gerichtsgewalt ansah. Die Aufstellung des Denkmals auf päpstlichem Hoheitsgebiet, dem Lateran, ist sicherlich im Zusammenhang mit der Konstantinischen Schenkung zu sehen, jener berühmten Urkundenfälschung des 8. Jahrhunderts, die Konstantin zum Garanten des weltlichen Machtanspruches der Päpste erklärt hatte.
1475 erkannte Platina, der 1475 ernannte erste Bibliothekar der damals begründeten Vatikanischen Bibliothek, durch den Vergleich von Münzbildnissen die wahre Identität des Reiters mit Kaiser Marc Aurel (161–180 n.Chr.). Als das monumentale Wahrzeichen der Legitimität seiner weltlichen Herrschaft ließ Papst Paul III. Farnese die kolossale Statue am 18. Januar 1538 auf dem Kapitolinischen Hügel aufstellen. Der Reiter steht im Zentrum einer nach Entwürfen Michelangelos errichteten Platzanlage, der sich zur Mitte anhebt und dessen Bodendekor vom Sockel der Figur sternförmig ausstrahlt. 
Die von Michelangelo entworfene Platzanlage auf dem Kapitol mit dem Marc Aurel im Zentrum
Ross und Reiter sind 424 cm hoch, die Länge des Pferdes misst 384 cm; das Standbild hat also fast doppelte Lebensgröße, wobei – ein bei vielen Reiterstatuen zu beobachtender Kunstgriff – die Figur des Kaisers gegenüber dem Pferd proportional viel zu groß ist. Wahrscheinlich krümmte sich früher unter dem erhobenen rechten Vorderhuf des Pferdes ein besiegter Barbar. Gerade der Gegensatz zwischen dem am Boden kauernden Unterlegenen und der so ruhigen, herrscherlichen Pose Marc Aurels verdeutlicht die zentrale Aussage des Standbilds: Der siegreiche Kaiser gebietet Frieden. 
Dem entspricht auch die Kleidung Marc Aurels: Er ist waffenlos und trägt auch nicht, wie für einen triumphierenden Feldherrn selbstverständlich, einen reliefverzierten Metallpanzer mit Lederlaschen an den Schultern, sondern eine weit geschnittene kurze Tunika. Darüber hat er den Feldherrnmantel (paludamentum) geworfen, der an der rechten Schulter von einer großen runden Brosche (fibula) gehalten wird und bis weit auf den Pferdekörper herabfällt. An den Füßen trägt der Kaiser nicht die Feldherrnstiefel, sondern die zivilen Senatorenschuhe (calcei senatorii). Seine Unterschenkel sind nackt, die Oberschenkel werden zum Teil von der herabhängenden Tunika bedeckt, die ein breiter Stoffgürtel zusammenhält. Selbst die in die Zipfel der Tunika eingenähten Bleikügelchen, die den Stoff nach unten ziehen und schön fallen lassen, sind dargestellt. Die Bekleidung des Kaisers ist die sogenannte kleine Uniform, das heißt die bei Paraden und nicht kriegerischen Anlässen übliche Feldherrntracht. Sein einziger Schmuck ist ein einfacher, unverzierter Fingerring. 
Das Gesicht des Kaisers wird von krausem Kopfhaar, in füllige Buckellocken untergliedert, und einem dichten Bart umrahmt; dicke Oberlider hängen tief auf die Augäpfel herab. „Die hochgewölbten Augenbrauen und das dabei nahezu unbewegte Gesicht rufen den für Bildnisse Marc Aurels so charakteristischen Ausdruck von Ruhe, Unerschütterlichkeit und Distanziertheit hervor“ (Fittschen 1985, S. 72). 
Antike Bildnisbüste des griechischen Philosophen Platon; Rom, Sala delle Muse
in den Vatikanischen Museen
Den langen Vollbart werden die Zeitgenossen des Kaisers als Hinweis auf seine philosophischen Neigungen verstanden haben – Marc Aurel war ein Anhänger der Stoiker. Schon im 1. Jahrhundert n.Chr., als Bartlosigkeit in der gebildeten Welt üblich war, trugen Römer, die sich für die griechische Philosophie begeisterten, lange Bärte. Sie wollten sich auch äußerlich den durchweg bärtigen großen griechischen Philosophen angleichen, deren Porträts bekannt und in zahllosen Kopien vielerorts aufgestellt waren. „Der Bart sollte darüber hinaus auch die Verachtung für Eitelkeit und zeitraubende Körperpflege ausdrücken“ (Wünsche 1999, S. 62).
Galt jahrhundertelang als Statue Kaiser Konstantins
(für die Großansicht einfach anklicken)
Der rechte Arm Marc Aurels, der sich unterhalb der Schulterhöhe ausstreckt, wirkt mit den nach oben geöffneten Fingern, als würde er sich gerade sanft heben. Der Kaiser blickt in die Richtung der weisenden Hand, und auch das Pferd wendet seinen Kopf dorthin. Es schreitet in der Gangart des kurzen bzw. versammelten Trab: die behende, aber nur wenig ausgreifende Schrittfolge, „bei der Vorder- und Hinterhand der einen Seite zueinander, die der anderen auseinander treten, während die Vorderhand angewinkelt erhoben und die vorgreifende Hinterhand im Begriff ist, sich vom Boden zu lösen“ (Baumstark 1999, S. 99).
Marc Aurel sitzt völlig entspannt, fast lässig auf dem muskulösen Tier. Seine Beine sind vom Pferdekörper abgestreckt, weder mit Schenkeldruck noch mit kräftigem Zügeldruck dirigiert er das Ross. Die linke, zügelführende Hand ist nämlich nach oben geöffnet und muss früher ein Attribut getragen haben, möglicherweise eine Schriftrolle oder die Statuette einer Siegesgöttin. Die Zügel, die verloren sind, liefen einst wohl um Ring- und Zeigefinger. „Mit einem Wort: Den Künstler interessierte nicht der natürliche Vorgang des Reitens, er wollte mit dieser Pose Erhabenheit und herrscherliche Überlegenheit des Kaisers ausdrucken“ (Wünsche 1999, S. 60).  
Marc Aurel sitzt auf einer Reitdecke, unter der zur Polsterung drei dicke Lederschichten liegen; sie sind an den Rändern in Halbmond-, Treppen- und Zickzackform geschnitten. Dieser „Sattel“ ist mit einem Gurt unter dem Pferdebauch festgezurrt; zwei weitere Gurte, die um die Pferdebrust und den Schwanzansatz führten, sind nicht erhalten. Die Antike kannte den uns so geläufigen festen Sattel noch nicht – er wurde erst im Mittelalter entwickelt.
Der Kaiser von links – die Zügel muss man sich dazudenken
Das Pferd selbst hat einen mächtigen, gedrungenen Körper, der von relativ schlanken, aber sehr sehnigen Beinen getragen wird. Die kräftige Mähne ist ungestutzt, nur die Stirnhaare wurden über dem Kopf zusammengebunden; die Spitze dieses Haarbüschels fehlt heute. Das linke, innen fein behaarte Ohr ist in höchster Aufmerksamkeit nach vorne gerichtet, das rechte wendet sich nach hinten; Adern und Sehnen drücken sich durch die Haut, die Nüstern sind gebläht, die Lefzen über dem leicht geöffneten Mund zurückgezogen. An der Kandare sind noch die Ansatzstellen der Zügel zu sehen; die großen Schmuckscheiben und -platten des Zaumzeugs trugen ursprünglich weitere Verzierungen, worauf die Befestigungslöcher hinweisen. 
Der Pferdekopf mit hochgebundenem Haarbüschel auf der Stirn, nach vorne gewendetem linken Ohr und Schmuckplatten im Zaumzeug (für die Großansicht einfach anklicken)
Nach einem Bombenanschlag auf den Senatorenpalast (1979) wurde auch das Standbild auf eventuelle Schäden untersucht. Dabei stellte man fest, dass es zwar nicht betroffen, aber doch gründlich restaurierungsbedürftig war – es litt unter heftigem Bronzefraß. Die siebenjährige Restaurierung war erfolgreich: Heute bietet sich die Statue wieder mit der ganzen Schönheit ihrer grüngoldenen Patina dar. Seit 1990 steht das Original in einem für die Statue überdachten Hof des Konservatorenpalasts der Kapitolinischen Museen. Auf dem von Michelangelo extra für die Statue geschaffenen Postament mitten auf dem Kapitolsplatz befindet sich heute eine Bronzekopie.
Hach, die Kopie isses einfach nicht ...
Reiterstatuette Karls des Großen (um 870); Paris, Louvre
Die figürlichen Nachbildungen des Marc Aurel sind, wie bereits erwähnt, überaus zahlreich. Am Beginn steht die berühmte Reiterstatuette Karls des Großen aus dem Dom von Metz (um 870; Höhe 24 cm; heute im Louvre). Bei dem fränkischen Herrscher sind Arme und Hände allerdings umgeformt, um Reichsschwert und -apfel zu halten. Der Dresdner Marc Aurel von Antonio Filarete (1400–1469) gehört zu den berühmtesten Kleinbronzen der Frührenaissance (um 1440/45; Höhe 38,2 cm). Der Gestus der rechten Hand scheint dem Künstler noch unverständlich gewesen zu sein: Er führte den Arm zu hoch, in der Vorderansicht wirkt die ausgestreckte Rechte daher abwehrend. Hinzugefügt hat Filarete einen Prunkhelm unter dem erhobenen, heute abgebrochenen rechten Vorderfuß des Pferdes.
Antonio Filarete: Marc Aurel (um 1440/45); Dresden, Staatliche Kunstsammlungen
Aus der Fülle weiterer Beispiele seien noch auf einige bedeutsame hingewiesen:
– das Reiterdenkmal für Kaiser Joseph II. (1741–1790) vor dem Gebäude der Wiener Hofbibliothek; ausgeführt wurde das klassizistische Bronzestandbild zwischen 1795 und 1807 von Franz Anton Zauner (1746–1822). Der Bildhauer zeigt den Kaiser in antikisierender Feldherrntracht: Diese Anspielung auf das antike Rom, der ausgestreckte Arm und die Haltung des Pferdes zeigen deutlich die Auseinandersetzung mit dem Marc Aurel.  
Franz Anton Zauner: Joseph II. (1795-1807); Wien, Josephsplatz
– das Reiterstandbild des Kurfürsten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg auf dem Düsseldorfer Marktplatz, ein Werk des flämischen Barock-Bildhauers Gabriel Grupiello (1644–1730), 1703 begonnen und 1711 aufgestellt, heute eines der Wahrzeichen der Landeshauptstadt.
Gabriel Grupielle: Jhann Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1703–1711); Düsseldorf, Marktplatz
 
– das 1875 aufgestellte Carl-August-Denkmal
von Alfred von Donndorf (1835–1916) in Weimar. Der Großherzog war der wichtigste Förderer Goethes; das Standbild zeigt ihn in der Uniform eines preußischen Generals, der als Sieger aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon nach Weimar zurückkehrt.
– Von Donndorf schuf auch das Kaiser-Wilhelm-Denkmal  über dem Hengsteysee bei Hohensyburg. Zwischen 1893 und 1902 errichtet, erinnert es an den deutsch-französischen Krieg 1870/71 und den siegreichen Feldherrn-Kaiser. 
Adolf von Donndorf: Großherzog Carl-August (1875); Weimar, Platz der Demokratie

Beide Kaiser, beide Feldherrn: Marc Aurel und Wilhelm I.
– das 1913 errichtete Reiterdenkmal des Prinzregenten Luitpold von Bayern, geschaffen von 
Adolf von Hildebrand (1842–1921). Das Standbild befindet sich in der nach dem Prinzregenten benannten Straße vor dem Bayerischen Nationalmuseum in München. 
Adolf von Hildebrand: Prinzregent Luitpold von Bayern (1821–1912);
München, Luitpoldtraße

Literaturhinweise

Baumstark, Reinhold: Das Nachleben der Reiterstatue. Vom caballus Constantini zum exemplum virtutis. In: Marc Aurel. Der Reiter auf dem Kapitol. Hirmer Verlag, München 1999, S. 78-115;
Fittschen, Klaus/Zanker, Paul: Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom. Bd. I.: Kaiser- und Prinzenbildnisse. Philipp von Zabern, Mainz 1985, S. 72ff.;
Gramaccini, Norberto: Die Umwertung der Antike – Zur Rezeption des Marc Aurel in Mittelalter und Renaissance. In: Herbert Beck/Peter C. Bol (Hrs.); Natur und Antike in der Renaissance. Liebieghaus – Museum alter Plastik, Frankfurt am Main 1985, S. 51-83;

Wünsche, Raimund: Der Kaiser zu Pferd. Zum Erscheinungsbild des Marc Aurel. In: Marc Aurel. Der Reiter auf dem Kapitol. Hirmer Verlag, München 1999, S. 58-77.

(zuletzt bearbeitet am 14. März 2024)

3 Kommentare:

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

    AntwortenLöschen
  2. Danke für den informativen Text. Allerdings stellt die Büste nicht Platon, sondern den Stoiker Zenon von Kition dar. Liebe Grüße!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich muss leider widersprechen: Die Inschrift "Zenon" auf der Platon-Büste wurde später hinzugefügt und ist falsch (https://form-und-abbild.de/kunstwerk/hermenbueste-des-platon).

      Löschen