Giotto: Gefangennahme Christi (um 1305); Padua, Arena-Kapelle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Blick ins Innere der Arena-Kapelle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Nahe der Bildmitte
und in strenger Profilansicht sind Jesus und Judas zu sehen, vor einer dichten
Gruppe von Häschern mit Lanzen, Stöcken und Keulen. In keinem anderen Fresko
der Arena-Kapelle sind die Figuren so dicht zusammengeballt wie hier. Jesus
wird durch einen Nimbus hervorgehoben, und er überragt Judas an Körpergröße.
Rechts im Vordergrund ist ein Pharisäer in Dreiviertelansicht dargestellt, der
eine andere Gruppe von Schergen mit Fackeln, Hellebarden und Schwertern auf
Jesus hinweist; einer von ihnen tritt auch bereits auf Jesus zu. Ein anderer
bläst derweil in ein Horn, um die Truppe zu sammeln: Das Jagdopfer ist
gefunden.
Links sieht man eine
Rückenfigur, die ein schlaff herabhängendes Gewand festhält. Es ist das vom
Bildrand überschnittene Gewand eines Jünglings, der Jesus gefolgt ist und
ebenfalls festgenommen werden soll – „aber er riss sich los, ließ sein
Kleidungsstück zurück und rannte nackt davon“, so wird uns im Markus-Evangelium
berichtet (Markus 14,52; LUT). „Solches Anschneiden der am Bildrand plazierten
Figuren war ein von Giotto gern eingesetztes, der fiktiven Erweiterung des Bildraumes
dienendes Mittel“ (Poeschke 2003, S. 189). In der linken Bildhälfte ist
außerdem Petrus dargestellt, wie Jesus mit einem Heiligenschein versehen, der
Malchus, einem Knecht des Hohepriesters, mit seinem Messer das Ohr abschneidet
(Johannes 18,10).
„Judas, mit einem Kuss willst du den Menschensohn verraten?“ (Lukas 22,48; LUT) |
Judas ist nahe an
Jesus herangetreten, um ihn zu umarmen. Dabei umschließt er ihn fast gänzlich
mit seinem gelben Mantel – es ist eine Gefangennahme vor der eigentlichen
Ergreifung durch die Soldaten. Jesus lässt es geschehen. Mit hoheitsvoller
Überlegenheit blickt er eindringlich Auge in Auge auf Judas herab, als wisse er
längst um den Verrat, der mit dessen Begrüßungskuss einhergeht. Die Lanzen,
Stöcke und Keulen über ihm sind so über seinem Haupt angeordnet, dass sie ein
radiales Strahlenbündel bilden – sie verlängern sozusagen den Nimbus Jesu in
den Himmel hinein. Giotto gestaltet die Bedrohung, die von diesen Gegenständen
ausgeht, auf diese Weise in eine Verherrlichung Christi um.
Max Imdahl hat auf die bildbstimmende
Kompositionslinie in Giottos Fresko hingewiesen: Es ist die Schräge, die links
oberhalb der Figur Petri in der äußersten Keule beginnt. Sie führt durch das Gefälle
der Köpfe von Jesus und Judas hindurch auf den zeigenden Arm des Pharisäers in
der rechten Bildhälfte, erstreckt sich also nahezu über das gesamte Format.
Keule und Zeigegebärde sind
deutlich gegen Jesus gerichtet. Doch gerade diese in der Schräge enthaltenen
Aktionen gegen Jesus betonen dessen Überlegenheit und Hoheit, denn der
dominante Blick Jesu auf Judas herab wird so über die Breite des Bildes geführt.
In der Ambivalenz von Unter- und Überlegenheit – der Soldatengewalt ohnmächtig
ausgeliefert, den Verräter wie den Pharisäer jedoch durchschauend und sie
bewusst gewähren lassend – verbildlicht Giotto die Doppelnatur Christi: ganz
Mensch und zugleich Gott, der willentlich sein Leiden auf sich nimmt.
Literaturhinweise
Imdahl, Max: Giotto. Arenafresken. Ikonographie –
Ikonologie – Ikonik. Wilhelm Fink Verlag, München 1980;
Poeschke, Joachim: Wandmalerei der Giottozeit in
Italien 1280–1400. Hirmer Verlag, München 2003, S. 184-223;Schwarz, Michael Viktor: Giotto. Verlag C.H. Beck, München 2009;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 9. April 2019)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen