Joseph Wright of Derby: Das Experiment mit der Luftpumpe (1768); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die wichtigste Person ist ohne Frage der Experimentator: Er überragt alle anderen und blickt frontal aus dem Bild; den linken Arm hat er erhoben, mit der rechten Hand weist er auf den Betrachter, als wolle er ihm etwas demonstrieren. Sein weiter, roter Mantel, der mit goldenen Ranken verziert ist, sein wallendes silbergraues Haar und sein zerfurchtes Gesicht, in dem das Licht zu flackern scheint, lassen ihn wie eine Art Magier erscheinen. Aber auch sein Gehilfe rechts am Fenster wirft uns einen Blick zu.
Dem Haubenkakadu geht die Luft aus |
Unterhalb der rechten Hand des Experimentators sehen wir auf dem vorderen Teil eines Holzsockels eine Pumpe mit zwei Kolben, gerahmt von zwei Holzsäulen mit Architrav und Giebel. Sie verankern die Kolben, die mit einer Handkurbel in pumpende Bewegung gebracht werden. Von hier führt eine geschwungene Rohrleitung zur Basis eines großen Glasbehälters. Er sitzt auf einem hohen sechseckigen Holzpfeiler, der seinerseits wiederum auf dem hinteren Teil des Holzsockels befestigt ist. Ganz offensichtlich wird mittels der Kolbenpumpe in dem Glasbehälter ein Vakuum erzeugt. Um das zu veranschaulichen, hat der Experimentator einen Vogel in den Glasbehälter gesetzt, den er wohl aus dem rechts oben von der Decke hängenden Käfig genommen hat (die Käfigtür ist offen). Zu Beginn des Experiments wird der Vogel, ein weißer Haubenkakadu, im Behälter herumgeflattert sein; als die Luft langsam ausgepumpt wurde, sich konvulsivisch gewunden haben, und nun liegt er mit zusammengdrückten Lungen wie tot am Boden. Die Kolben haben in eben diesem Moment das Vakuum erzeugt. Der Vogel kann nicht mehr atmen, sein verzweifelter Flügel trifft auf keinen Luftwiderstand, sein Schreien ist für niemand zu hören.
Der Experimentator hält mit der linken erhobenen Hand am Scheitelpunkt des Glasbehälters den Drehmechanismus eines einfachen Ventils. Gleich wird er ihn durch eine winzige Drehung mit den Fingerspitzen betätigen, die Luft sodann in den Behälter zurückströmen und den Vogel wiederbeleben. Wartet er zu lange, stirbt das Tier. Doch das wird nicht geschehen: Sein Gehilfe lässt bereits den an einem Riemen zur Decke gezogenen Käfig herbei, gleich wird er den Vogel dort wieder hineinsetzen.
Versprochen, bei dieser Vorführung wird kein Tier getötet ... |
Die Zuschauer reagieren sehr unterschiedlich auf diese Vorführung. Links vorn beugt sich ein Junge vor, um genauer beobachten zu können; auch der im Profil gezeigte jüngere Mann hinter ihm ist offensichtlich fasziniert; seine Begleiterin wiederum scheint nur Augen für ihn zu haben. Das kleine Mädchen auf der rechten Seite – der Lichtquelle am nächsten und deswegen am hellsten beleuchtet – ist neugierig und irritiert zugleich; ihre ältere Schwester – wie man aus der vertrauten Umarmung und der gleichen Bekleidung schließen darf – kann den Anblick des vom Tode bedrohten Tieres nicht ertragen und hält sich die Hand vor die Augen. Der hinter den Kindern stehende Herr, wohl ihr Vater, hat der Älteren tröstend den linken Arm um die Schulter gelegt und versucht ihr zu erklären (ablesbar am Gestus der rechten Hand), was eigentlich geschieht – und dass der Vogel nicht sterben wird.
Vor dem Tisch sitzen zwei weitgehend in Schatten getauchte Männer. Der linke im grünen Rock dürfte mittleren Alters sein, er scheint nicht direkt auf das Experiment zu blicken. Der rechte dagegen, mit weißem Haar, ist eindeutig der älteste der Zuschauer. Er stützt sich auf einen Stock, hält den Kopf gebeugt und wirkt in sich versunken. Dass er in der Tat das Experiment nicht verfolgt, belegt die abgenommene Brille, die er mit der Rechten locker hält. Das gesamte Bildpersonal wirkt bewegungslos, wie gebannt – was mit dem Bildinhalt völlig korrespondiert. Schließlich wird ja der Stillstand des Lebens vorgeführt, es herrscht „atemlose Spannung“ unter den Zuschauern. Wenn die Luft in den Behälter zurückströmt und der Vogel sich wieder regt, werden sich Anspannung und Erstarrung im Publikum wieder lösen. Wir als Betrachter sind in den Kreis der Zuschauer mit einbezogen, denn er ist zu uns hin geöffnet, und deswegen spricht uns der Experimentator auch direkt an. „Wir haben den besten Platz, wir werden nicht von der Kerze geblendet, unser Blickpunkt befindet sich in Höhe der Hand des Experimentators, der also zu uns herabschaut, wir haben alle Gerätschaften und Apparaturen unverstellt vor uns, wir sind der Adressat, der eigentliche Ansprechpartner“ (Busch 1986, S. 16). Nicht nur die Apparatur haben wir deutlich vor uns, sondern auch den großen geschwungenen Glaskelch mit seiner durch das Licht milchig wirkenden Flüssigkeit, in die ein optisch gebrochener Stab gestellt ist und in der ein Gegenstand schwimmt: Offenbar handelt es sich um die Lungen eines Tieres.
Die deutlich betonte Mittelachse des Bildes bindet uns als Betrachter kompositionell ebenfalls stark ein: „Während nämlich die Figurenanordnung die Lichtreflexe in ein schräggestellltes Oval eingebunden erscheinen läßt und der stärkste Helligkeitsbereich durchaus nach klassischen Regeln leicht aus der Mitte nach rechts verlegt ist und dabei den Vater mit seinen beiden Töchtern umfaßt, ist zugleich durch die erhobene Linke des Experimentators, den Kopf des Vogels, die weisende Hand des Vaters und die verdeckte, aber dennoch optisch wirksame Lichtquelle eine genaue Mittelachse gezogen, die den Betrachter vor dem Bilde fixiert“ (Busch 1986, S. 18).
Unter den weiteren Gerätschaften auf dem Tisch erkennt man rechts zwei kleine sogenannte Magdeburger Halbkugeln. Sie sind wie die Luftpumpe eine Erfindung des Magdeburger Physikers Otto von Guericke (1602–1686) und dienen dem Experimentator dazu, ebenfalls das mittels einer Luftpumpe erzeugte Vakuum zu demonstrieren. Guericke hatte 1654 auf dem Reichstag in Regensburg gezeigt, dass die aneinandergelegten, leergepumpten und durch den Luftdruck aneinandergepressten Halbkugeln selbst durch mehrfache Pferdekraft nicht auseinandergezogen werden konnten.
Christus als Weltenherrscher („Pantokrator“); Apsismosaik im Dom von Cefalu (1148 fertiggestellt) |
Michelangelo: Die Erschaffung Adams (1512 fertiggestellt); Rom, Sixtinische Kapelle |
Wie sind diese Anlehnungen an die christliche
Bildtradition nun zu verstehen? Maßt sich der Experimentator an, Gott gleich zu
sein, und entlarvt der englische Maler Joseph Wright of Derby (1734–1794) diese Hybris? Ist sein Gemälde als Warnung vor
naturwissenschaftlicher Erkenntnis und Fortschrittskritik gemeint? Der
Schlüssel zum Verständnis des Bildes könnte der sinnende ältere Mann
rechts vorne zu sein. Er scheint darüber nachzudenken (so sehe ich es
zumindest), ob der Mensch, der mit solchen naturwissenschaftlich-technischen
Experimenten zunehmend den Schöpfer imitiert, im Blick behalten wird, dass ihm Grenzen gesetzt sind. Wissenschaft und technischer
Fortschritt sind vernünftig, davon war der gebildete Engländer des 18. Jahrhunderts
überzeugt. Im nach innen gerichteten Blick des alten Mannes lassen sich seine
Bedenken ablesen, ob sich der Mensch dabei nicht an Gottes Stelle setzt,
Wissenschaft die Religion ersetzen wird. Mit welchen Folgen? Wright lässt diese
Frage offen, aber sein Bild stellt sie ohne Zweifel.
Gerrit van Honthorst: Der Zahnarzt (1622); Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister |
Adam Elsheimer: Flucht nach Ägypten (1609); München, Alte Pinakothek |
Literaturhinweise
Busch, Werner: Joseph
Wright of Derby – Das Experiment mit der Luftpumpe. Eine Heilige Allianz
zwischen Wissenschaft und Religion. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am
Main 1986;
Nordmann, Alfred: Der Geist in der Maschine. In: DIE ZEIT vom 3. September 1993 (https://www.zeit.de/1993/36/der-geist-in-der-maschine).
Nordmann, Alfred: Der Geist in der Maschine. In: DIE ZEIT vom 3. September 1993 (https://www.zeit.de/1993/36/der-geist-in-der-maschine).
(zuletzt bearbeitet
am 18. Juli 2018)
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