Kauernde Aphrodite (röm. Marmorkopie); Rom, Palazzo Massimo alle Terme (für die Großansicht einfach anklicken) |
Praxiteles: Aphrodite von Knidos, röm. Marmorkopie; Rom, Vatikanische Museen (für die Großansicht einfach anklicken) |
Doidalsas löst seine Aufgabe auf originelle
Weise: Das große Vorbild scheint, wie im Mythos von Pygmalion, zum Leben
erweckt. Die junge Frau ist in die Hocke gegangen, damit Badewasser über sie
ausgegossen werden kann. Sie sitzt dabei mit dem Gesäß auf der Ferse des nach
hinten und auf die Zehen gestellten rechten Fußes, sodass die Rückseiten von
Ober- und Unterschenkel fest aufeinander liegen. Der linke Fuß ist mit der
Sohle aufgesetzt und das Bein mit erhobenem Knie angewinkelt. Auch der linke
Ober- und Unterschenkel sind in der Kniekehle aneinander gepresst, die linke
Pobacke bleibt aber frei. Es ist eine Haltung, die man tatsächlich, schon aus
Gründen eines sparsamen Wasserverbrauchs, beim Baden einzunehmen pflegte. Um
ihr Gewicht auszutarieren, beugt Aphrodite den Oberkörper nach vorn und wendet dabei
den Kopf zur Seite bzw. nach hinten – und zwar zu einer, wie Bernard Andreae meint, nicht
dargestellten Dienerin, die ihr Badegefäß über Haare und Rücken der Hockenden
geleert hat.
Füllige Formen, auch im unvollständigen Zustand ansehnlich |
Der rechte Arm Aphrodites, so Andreae, war
angewinkelt, die rechte Hand wurde nach hinten zum Haar hochgeführt.
Möglicherweise ging auch der linke Arm nach oben, um mit beiden Händen das
Wasser aus den vollen Haaren zu wringen. Christian Kunze dagegen geht davon
aus, dass die Figur ihren rechten Arm abwehrend quer vor den Körper hält, um ihre
Brüste vor dem Blick eines Zuschauers zu schützen. Der linke Arm sei
entsprechend nach unten gesenkt gewesen und mit rechtwinklig gebeugtem
Ellenbogen am linken Oberschenkel vorbei nach vorne zum Schoß geführt worden,
um die Scham zu bedecken. „Gerade die Tatsache, daß ihr dieses Sich-Verbergen
nicht in vollem Umfang gelingt – die abwehrende Bewegung des rechten Oberarms
etwa bewirkt entgegen der eigentlichen Absicht, daß die rechte, zur Achsel hin
abgequetschte Brust sich um so prominenter zum Betrachter hin hervorwölbt –,
betont den spontanen, instinktiven Charakter der dargestellten Aktion“ (Kunze
2002, S. 120). Vor allem die Kopfbewegung suggeriere, dass die Göttin bei ihrem
Bad von niemand anderem als dem Betrachter überrascht wird und sie aufgeschreckt
mit nach hinten gewendetem Kopf eben diesem Eindringling entgegenblickt. Damit
in Zusammenhang stehe auch der zu Boden gesenkte Blick der jungen Frau: „Das Neigen
des Kopfes, das scheue Niederschlagen des Blickes gilt, wie zahlreiche
Schriftquellen belegen, als typische, instinktive Reaktion eines Mädchens, das
von fremden, ungebetenen Blicken überrascht und ertappt wird“ (Kunze 2022, S.
120). Ziel der Statue ist nach Kunze die Illusion einer unmittelbaren Begegnung
des Betrachters mit einem scheinbar realen und lebendig reagierenden Gegenüber.
Eine der zahlreichen Marmorrepliken der Kauernden Aphrodite, neuzeitlich ergänzt: die „Lely-Venus“ aus dem British Museum in London (für die Großansicht einfach anklicken) |
Durch die Gegenbewegung von Kopf und Armen dreht
sich der vorgeneigte Oberkörper Aphrodites leicht nach links; dabei schiebt sich
die Bauchdecke zu drei Wülsten zusammen – was auch bei einem schlankeren Leib
der Fall wäre. Die Liebesgöttin verfügt, nicht untypisch, über füllige Formen,
die aber für den Geschmack der griechischen Klassik (5. und 4. Jahrhundert
v.Chr.) bereits zu „üppig“ sind. Für Bernard Andreae huldigt die „Leibesfülle“
der Aphrodite einem Schönheitsideal, das mit dem Ideal der Tryphe korrespondiert, dem bewusst zur Schau gestellten Überfluss
und luxuriösen Wohlleben, das besonders an den hellenistischen Herrscherhöfen
zelebriert wurde.
Literaturhinweise
Andreae, Bernard: Schönheit des Realismus.
Auftrageber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik. Verlag Philipp von
Zabern, Mainz 1998, S. 61-65;
Kunze, Christian: Zum Greifen nah. Stilphänomene
in der hellenistischen Skulptur und ihre inhaltliche Interpretation. Biering
& Bringmann, München 2002, S. 108-121.
(zuletzt bearbeitet am 13. August 2018)
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