Dienstag, 13. August 2019

Nichts leuchtet heller – Adam Elsheimers „Hl. Christophorus“

Adam Elsheimer: Der hl. Christophorus (um 1599); St. Petersburg, Eremitage
(für die Großansicht einfach anklicken)
Bevor sich der in Frankfurt am Main geborene Maler Adam Elsheimer (1578–1610) im Jahr 1600 in Rom niederließ, hielt er sich 1599 zu Studienzwecken in Venedig auf. Dort entstand seine wahrscheinlich erste Nachtdarstellung überhaupt: ein hl. Christophorus, der sich heute in der St. Petersburger Eremitage befindet.
Die Legende erzählt, dass Reprobus, ein Mann aus Kanaan von riesiger Körpergröße, nur dem Mächtigsten im Land dienen will. Er folgt dem Vorschlag eines Eremiten, allein auf Christus zu hören und den Menschen bei der Überquerung eines gefährlichen Flusses zu helfen. Als er eines Tages ein Kind übersetzt, muss er erstaunt feststellen, dass dessen wachsendes Gewicht seine Kräfte übersteigt. Nur mit Mühe erreicht er das andere Ufer, wo sich das Kind als Christus zu erkennen gibt. Diesem Ereignis verdankt der Helfer der Reisenden seinen neuen, mit der Taufe erworbenen Namen Christophorus, d. h. Christusträger.
Elsheimers kleinformatiges Bild (es ist nur 22,5 x 17,5 cm groß) zeigt im Vordergrund Christophorus mit dem Kind auf den Schultern, die Rechte in die Hüfte gestemmt und den muskulösen linken Arm auf seinen Wanderstab gestützt, auf seinem Weg durch das Wasser. Der in Aufsicht zu sehende Hüne schreitet nach rechts aus und hat dabei den Kopf zurückgewendet – eine Haltung, die sich in der labilen Sitzposition des Knaben gegenläufig wiederholt. Die Gestalt des Heiligen ist eingebettet in eine nächtliche Landschaft, die von einem hinter den aufbrechenden Wolken hervortretenden Mond ihr Licht erhält. Es erhellt den nackten Jesusknaben und verbindet sich mit der Aureole, die das Köpfchen des Kindes umschließt; der Nimbus wiederum erfasst mit seinem Schein das Gesicht des Christophorus. Damit verbildlicht Elsheimer die göttliche Erleuchtung des Heiligen: Die aufreißenden Wolken, der sichtbar werdende Mond und die Drehung des Kopfes zeigen den Moment an, in dem Christopheros erkennt, wen er wirklich auf seinen Schultern an das andere Ufer bringt.
Die Landschaft selbst liegt ganz im Dunkel und ist entsprechend monochrom gehalten. Im Hintergrund ist als weitere Lichtquelle eine Fackel in der Hand des Eremiten erkennbar, der am steinigen Ufer unter dem Schutz eines mächtigen Baumes Christophorus ein Stück seines beschwerlichen Weges beleuchtet. Zwischen dem Eremiten und dem Heiligen haben sich am Waldrand zwei Männer an einem Feuer niedergelassen, und auf der anderen Seite des Flusses sitzt eine weitere Gruppe um ein Feuer. Vor ihnen liegt ein Boot im Fluss. Schon auf diesem ersten Nachtstück zeigt Elsheimer, dass er es meisterhaft beherrscht, aus dem Schwarz der Nacht an verschiedenen Orten des Bildes unterschiedlichste Lichtquellen aufleuchten zu lassen. Fackel, Feuerstellen und Mond treten aber an Leuchtkraft gegenüber der Gloriole des Christusknaben zurück, damit er als Licht der Welt erstrahlen kann.
Albrecht Dürer: Der hl. Christophorus (1511); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken)
Albrecht Dürer: Der hl. Christophorus (1521); Kupferststich
(für die Großansicht einfach anklicken)
Tizian: Der hl. Christophorus (um 1523); Venedig, Palazzo Ducale
Elsheimer hat bei seiner Komposition Anregungen von der altdeutschen Grafik aufgenommen, vor allem von Dürers Christophorus-Holzschnitt von 1511 und seinem Kupferstich von 1521. Auch den Eremiten mit der Fackel findet man bei Dürer. Die malerische Ausführung des Bildes bezeugt allerdings, wie stark die Begegnung mit der venezianischen Malerei den Beginn von Elsheimers Entwickung bestimmt hat. Tizians monumentales Fresko des Christophorus im Dogenpalast dürfte dabei eine besondere Rolle gespielt haben. Stilistisch ist Elsheimers Petersburger Gemälde seinem nach dem Eintreffen in Rom entstandenen Brand von Troja sehr verwandt, bei dem auch die Figur des Aeneas dem des Christophorus weitgehend entspricht.
Adam Elsheimer: Der Brand von Troja (1600); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken)
Peter Paul Rubens: Der hl. Christopherus (um 1612/14);
Antwerpen, Liebfrauenkathedrale
Die von Elsheimer eingeführte nächtliche Darstellung des Christophorus-Themas wurde aufmerksam wahrgenommen: Eine Zeichnung im British Museum belegt, dass Peter Paul Rubens dieses Gemälde kannte und in einem seiner Werke darauf zurückgriff. Für die Kloveniersgilde, deren Patron Christophorus war, malte Rubens den zwischen 1611 und 1614 entstandenen und für die Liebfrauenkathedrale in Antwerpen bestimmten „Kreuzabnahme-Altar“. Auf den beiden Flügeln der Werktagsseite ist der Heilige, der das von einer Gloriole umgebene Christuskind trägt, zusammen mit dem Eremiten dargestellt. Dieser hält eine Laterne, deren gelblicher Schein aber – wie bei Elsheimer – von dem hell leuchtenden göttlichen Kind bei weitem übertroffen wird.

Literaturhinweise
Andrews, Keith: Adam Elsheimer. Werkverzeichnis der Gemälde, Zeichnungen und Radierungen. Schirmer/Mosel, München 1985;
Bachner, Franziska: Figur und Erzählung in der Kunst Adam Elsheimers. Diss., Würzburg 1995, S. 78-81;
Haus der Kunst München (Hrsg.): Die Nacht. Benteli Verlags AG, Wabern-Bern 1998, S. 204;
Ebert-Schifferer, Sybille (Hrsg.): Von Lucas Cranach bis Caspar David Friedrich. Deutsche Malerei aus der Ermitage. Hirmer Verlag, München 1991, S. 106;
Hedrich, Astrid: Adam Elsheimer und die Landschaft. Diss., Würzburg 1995, S. 64-68;
Klessmann, Rüdiger: Im Detail die Welt entdecken. Adam Elsheimer 1578–1610. Edition Minerva. Wolfratshausen 2006, S. 80;
Neumeister, Mirjam: Adam Elsheimer und die Tradition des niederländischen Nachtstücks. In: Andreas Thielemann/Stefan Gronert (Hrsg.), Adam Elsheimer in Rom. Werk – Wirkung – Kontext. Hirmer Verlag, München 2008, S. 87-110.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen