Dienstag, 17. Mai 2022

Ebenso reich wie fromm – die Guildford-Porträts (1527) von Hans Holbein d.J.

Hans Holbein d.J.: Henry Guildford (1527); London; Royal Collection Trust
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Die 1527 entstandenen Pendant-Bildnisse von Sir Henry Guildford (1489–1532) und seiner zweiten Ehefrau Mary Wotton (1499–1558), die sich heute in London und St. Louis befinden, gehören zu den frühesten Porträtaufträgen, die Hans Holbein (1497/98–1543) während seines ersten Englandaufenthaltes (1526–1528) erhielt (siehe meinen Post „Ein Maler empfiehlt sich“). Der Auftrag ergab sich möglicherweise aus Holbeins Tätigkeit im Zusammenhang mit der Dekoration eines Festsaales und eines Theaters in der Nähe des Königlichen Palais in Greenwich. Heinrich VIII. hatte diese Gebäude speziell für den Empfang einer französischen Gesandtschaft errichten lassen, denn es sollte ein Friedensvertrag zwischen England und Frankreich unterzeichnet werden. Als Hofzeremonienmeister lag die Organisation dieses Ereignisses in den Händen von Henry Guildford, während Holbein – in den Quellen „Master Hans“ genannt – mit einem großen Teil der Ausführung beauftragt war. So kam es während der ersten Monate des Jahres 1527 zu einer intensiven Zusammenarbeit der beiden Männer. 

Holbein hat die voluminöse Gestalt von Sir Henry so raumgreifend groß auf der Leinwand platziert, dass dessen linker und rechter Arm von den beiden Bildrändern beschnitten werden. Der Porträtierte trägt ein Wams aus kostbarem Goldbrokat, den per Gesetz nur höchste Adelige und andere hochstehende Persönlichkeiten tragen durften. Die über die Brust hängende Kette des Hosenbandordens war ihm 1526 verliegen worden. Der weiße Stab in seiner rechten Hand ist das Attribut des „Comptroller of the Household“ – ein Amt, das Guildford von 1525 bis 1531 innehatte.

Hans Holbein d.J.: Lady Guildford (1527); St. Louis, St. Louis Art Museum
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Mary Wotton war 27 Jahre alt, als Holbein sie porträtierte. Das geht aus der Inschrift auf dem Bildnis in St. Louis hervor, die links oben über dem Säulenkapitell angebracht ist. Sie war die zweite Ehefrau von Henry Guildford, den sie 1525 heiratete. Auch in diesem Porträt widmet der Maler der Kleidung große Aufmerksamkeit, wie ja überhaupt die verblüffend naturalistische Wiedergabe von Textilien eines der hervorstechendstes Kennzeichen von Holbeins Kunst ist. Besonders ins Auge fallen der prächtige schwarze Pelz von Lady Guildfords Mantel und die aus Goldstoff bestehenden Unterärmel. Quer über das Leibchen ihres Kostüms und über die Schultern herabhängend, trägt sie sechs goldene Ketten. Ihre mit Perlen besetzte englische Haube und die goldenen Ketten um ihren Hals, deren kürzeste mit einem von Juwelen verzierten Anhänger versehen ist, komplettieren das Bild schier unbegrenzten Reichtums. Sogar das Lesezeichen, das aus ihrem Buch herausragt, ist mit Perlen besetzt.

Eine bescheidenere Note in diesem Porträt bildet der kleine Rosmarinzweig, der in ihrem Dekolleté steckt. Die Pflanze symbolisiert seit alter Zeit Liebe und Treue und stellt damit eine Verbindung zum Gatten her. Auf die Religiosität der Lady Guildford wiederum verweisen der Rosenkranz und das kleine, in Leder gebundene Buch, das sie in ihren Händen hält. Anhand der Inschrift auf dem Buchdeckel lässt sich erkennen, das es sich hierbei um die „Vita Jesu Christi“ handelt, eine in ganz Westeuropa weit verbreitete Erzählung des Lebens Jesu, die der Mönch Ludolf von Sachsen zwischen 1348 und 1368 verfasst hatte

Hans Holbein d.J.: Ehepaarbildnis Jakob Meyer und Dorothea Kannengießer (1516); Basel, Kunstmuseum (für die Großansicht einfach anklicken)
Um die beiden Bildnisse zu einer Einheit zusammenzufassen, wenden sich die Figuren nicht nur einander zu, sondern werden auch durch eine Gardinenstange im Hintergrund optisch miteinander verbunden. Im Bildnis von Sir Henry ist an der Stange ein Vorhang befestigt, der allerdings bei seinem Gegenstück fehlt. Hier befindet sich als Entsprechung die mit Grotesken verzierte Säule am linken Bildrand. Ganz ähnlich lässt Holbein mittels einer Architekturansicht als verbindendem Element die zwölf Jahre früher entstandenen Pendant-Porträts von Jakob Meyer und dessen Ehefrau Dorothea Kannengießer als zusammengehörig erscheinen. Die mit Grotesken geschmückte Säule wiederum findet sich auch auf Holbeins Bildnis des Erasmus von Rotterdam (siehe meinen Post „,Das bessere Bild zeigen seine Schriften‘“), hier in Form eines Pilasters. Den Hintergrund der beiden Guildford-Porträts hat Holbein dekorativ mit Phantasie-Pflanzen verziert; dabei kombinierte er Feigenblätter mit Weinranken – ein Motiv, dass der Künstler auch auf anderen Bildnissen verwendet hat, z. B. dem von William Reskimer (um 1534).

Hans Holbein d.J.: Erasmus von Rotterdam (1523); London, National Gallery

Hans Holbein d.J.: William Reskimer (1534); London, Royal Collection Trust
Lady Guildfords Blässe korrespondiert mit dem gemeißelten Säulenkapitell, das ein schreckerstarrtes Frauenantlitz zeigt. Oskar Bätschmann und Pascal Griener sehen in diesem Kopf eine Anspielung auf den Medusa-Mythos, deren Haupt die Macht besaß, jeden, der sie anblickte, in Stein zu verwandeln. Holbein verweise damit auf „die magische Macht des Künstlers, der die Natur nicht nur imitiert, sondern durch seinen Blick einfängt und versteinert. Das Porträt seinerseits ist hypnotisch genug, um uns starr und gefesselt vor ihm stehen zu lassen“ (Bätschmann/Griener 1997, S. 172).

Holbeins gezeichnete Vorstudie (London, Royal Collection Trust)
Hier lächelt sie noch ... (Basel, Kunstmuseum)
Wie üblich fertigte Holbein vor dem Malen der beiden Porträts erst gezeichnete Vorstudien an. Bei Lady Guildford ist der Körper auf dem Gemälde im Vergleich zur Zeichnung in einer Vierteldrehung nach rechts dargestellt. Außerdem blickt sie auf der Zeichnung mit einem freundlichen Lächeln in Richtung ihres Gemahls, während sie auf dem Gemälde mit einem neutralen, beinahe strengen Gesichtsausdruck wiedergegeben ist. Henry Guildford hat auf der Vorstudie ein verhältnismäßig fleischiges Gesicht; im gemalten Porträt sind die Gesichtszüge hingegen gestrafft und der Abstand zwischen Augen, Nase und Mund etwas größer, was Absicht gewesen sein wird.

 

Literaturhinweise

Bätschmann, Oskar/Griener, Pascal: Hans Holbein. DuMont Buchverlag, Köln 1997, S. 169-172;

Foister, Susan: Holbein in England. Tate Publishing, London 2006, S. 26-28;

van der Ploeg, Peter: Mary Wotton, Lady Guildford, 1527. In: Hans Holbein der Jüngere: 1497/98–1543. Porträtist der Renaissance. Besler Verlag, Stutgart 2013, S. 64-67.


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