Montag, 20. Januar 2025

Der Weg ins Dunkel – Caspar David Friedrichs „Frühschnee“ (um 1828)

Caspar David Friedrich: Frühschnee (um 1828); Hamburg, Kunsthalle
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Wir sehen einen verschneiten, beiderseits von niedrigen Tannen gesäumten Weg, der auf einen dichten Fichtenwald zuläuft. Vor den dunklen, eng beieinander stehenden Baumstämmen, die wie eine düstere Wand den Blick versperren, biegt der Weg nach rechts ab, ohne dass sich jedoch erkennen ließe, wohin er führt. Unmittelbar am oberen Bildrand zeigt sich in einem kleinen Bereich oberhalb der Baumwipfel ein hellblauer, von freundlichen weißen Wölkchen besetzter Himmel. Genau auf der senkrechten Mittelachse, die ausgreifenden Zweige eingefasst von den linken und rechten Vertikalen des Goldenen Schnitts, hebt sich eine sanft beschneite Fichte von den dunklen Stämmen des Waldes ab.

Caspar Dacid Friedrich: Der Chasseur im Walde (um 1813), Privatbesitz
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Caspar David Friedrich hat dieses Frühschnee genannte Gemälde um 1828 gemalt. Eng mit diesem verwandt ist sein um 1813 entstandenes Bild Der Chasseur im Walde. Es zeigt einen im bedrohlich einsamen Winterwald verlorenen, wahrscheinlich französischen Soldaten und wird gemeinhin als politischer Kommentar Friedrichs im Kontext der Freiheitskriege gegen Napoleon (1813 bis 1815) gedeutet. Der Fichtenwald meint sinnbildlich die im Vertrauen auf ihre Befreiung zusammenstehenden Deutschen, die dem Franzosen den Untergang bereiten werden. Der im Vordergrund auf einem Baumstumpf hockende Rabe ist daher eindeutig als Todessymbol zu verstehen – er singt dem Soldaten sein Sterbelied, so die „Vossische Zeitung“ anlässlich der Ausstellung des Gemäldes im Oktober 1814 in der Berliner Akademie. Von „heiligem Zorn“, gar Hass ist auf dem Bild allerdings nichts zu spüren: „Friedrich gibt dem Gegner die Gelassenheit eines Menschen, der das ihm bestimmte Schicksal mit Würde erwartet. (…) Der Chasseur hat keine Eile, denn er weiß, daß er die Heimat nicht mehr sehen wird“ (Hofmann 2000, S. 96/98). Kompositorisch unterscheiden sich Frühschnee und der Chasseur kaum voneinander, der entscheidende Unterschied liegt im Fehlen von Mensch und Rabe.

Caspar David Friedrich: Das Kreuz im Gebirge (1807/08); Dresden, Gemäldegalerie

Friedrich selbst verglich das Immergrün der Tannen mit der immerwährenden Hoffnung der Gläubigen auf Christus – so in einer seiner seltenen Äußerungen über seine Kunst, zu der er sich im sogenannten Ramdohr-Streit um sein Gemälde Das Kreuz im Gebirge veranlasst sah (siehe meinen Post „Der große Mittler“). Entsprechend hat der Friedrich-Forscher Helmut Börsch-Supan den Frühschnee christlich gedeutet: Der auf den Wald zulaufende Weg versinnbildliche – wie so oft auf den Bildern Friedrichs – den Lebensweg, der zum Tod führt. Es ist ein Weg, den der Mensch am Ende ganz allein beschreiten muss, und wir als Betrachter sind es, die ihn – zumindest mit den Augen – auf Friedrichs Bild betreten haben und entlanggehen. „Der Wald in seiner unheimlichen Dunkelheit erscheint jedoch nicht als das Ziel des Weges, vielmehr erweckt der blaue Himmel darüber die Vorstellung einer heiteren Gegend hinter dem Wald“ (Börsch-Supan 1987, S. 158). Ebenso verweise die durch den Schnee durchscheinende Erde darauf, dass Winter und Tod Übergangsstadien für ein neues Leben seien. Damit wäre auch der Frühschnee eine „allegorische Landschaft“ Friedrichs, die die christliche Auferstehungshoffnung versinnbildlicht, vergleichbar seinem Dortmunder Winterlandschaft mit Kirche (siehe meinen Post „Gemalter Glaube“).

Caspar David Friedrich: Winterlandschaft mit Kirche (1811);
Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte

Literaturhinweise

Bertsch, Markus/Grave, Johannes (Hrsg.): Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2023, S. 180;

Börsch-Supan, Helmut: Caspar David Friedrich. Prestel-Verlag, München 41987, S. 158;

Hofmann, Werner (Hrsg.), Caspar David Friedrich 1774 – 1840. Prestel-Verlag, München 1974, S. 199 und 282-283;

Hofmann, Werner: Caspar David Friedrich. Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit. Verlag C.H. Beck, München 2000, S. 96-98.


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