Mittwoch, 22. Mai 2013

Kunstvoller Weltuntergang – Albrecht Dürers „Apokalypse“ (Teil 6)


Albrecht Dürer: Das Tier mit den Lammhörnern (um 1496/97); Holzschnitt
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Dem himmlischen Jubel über den Sturz des Drachen steht der scheinbare Triumph der Tiere auf der Erde gegenüber (XI. Figur: Das Tier mit den Lammhörnern). Der Drache übereignet seine Macht einem weiteren siebenköpfigen Ungeheuer, dem „Tier aus dem Meer“. Ihm folgt das Tier mit den Lammhörnern. Es vollbringt erstaunliche Wunder und verführt die Menschen dazu, „das erste Tier“ anzubeten. Dürers Tier aus dem Meer ist ein Monstrum mit schlangenartig gewundenen Hälsen, die in sieben Köpfen münden (Offb. 13,1-8). Entfernt erinnern sie an Ziegenbock, Löwe, Kaninchen, Schnecke, Schlange und Strauß – Tiere, die als Symbole menschlicher Laster und der sieben Todsünden gelten. Dem Kopf am rechten Bildrand wird von einem kreuztragenden Engel mit dem Schwert eine tödliche Wunde zugefügt, die aber wieder verheilt (Vers 3).
Gerahmt vom Feuerregen, betritt das Tier mit den Lammhörnern wie durch ein Tor den irdischen Schauplatz (Offb. 13,11-18) – ein zähnefletschendes, löwenartiges Wesen. Vor beiden Tieren knien ehrfürchtig Vertreter aller Stände, in zwei gesellschaftliche Gruppen aufgeteilt. Links befindet sich das einfache Volk, rechts, der Bestie am nächsten, die aus Kaufleuten sowie geistlichen und weltlichen Würdenträgern bestehende Oberschicht. Am Rand der linken Gruppe ist eine kleine Figur dargestellt, die durch ihre seltsame Kopfbedeckung auffällt. Sie trägt eine Art Helm mit einem krähenden Hahn als Verzierung: „der Hahn steht für die Beredsamkeit eines ,Volksverführers, der den Auftrag des ,Tiers mit den Lammshörner umsetzen hilft“ (Krüger 2002, S. 98).
Dürer stellt ihm einen Gegenspieler gegenüber, und zwar den Mann, der am linken Bildrand offenbar gerade herangetreten ist und abwehrend-mahnend die Hände erhoben hat. Diese Gestalt ähnelt der Figur, die im 5. Holzschnitt (Versiegelung der Auserwählten) gerade das Kreuz aus der Hand eines Engels empfängt. Und er ist erneut in der Gruppe der Märtyrer in der folgenden XII. Figur zu sehen – büßten doch jene, die sich nicht von dem Meerungeheuer und seinem irdischen Handlanger verführen ließen, mit dem Leben. Bei der hochgewachsenen Pflanze rechts neben ihm handelt es sich um eine Akelei – sie galt wegen der ihr zugeschriebenen Heilkraft als Christus- und Mariensymbol. Von ihr wendet sich das Volk ab und dem Verführer zu.
Ein breites, geschlängeltes Wolkenband trennt den irdischen vom himmlischen Bereich. Mit dem Pluviale bekleidet, dem hochzeremoniellen Priestergewand, thront Gottvater über dem Geschehen. Er trägt eine Kaiserkrone und hält in der Rechten eine Sichel, die auf den künftigen Feldzug gegen die Geschöpfe Satans vorausdeutet (Offb. 14,14-20). Seine Streiter hat Gott bereits ausgesandt. Zur Rechten Gottes sind ihm zwei Engel anbetend zugewandt – sie verdeutlichen angesichts der Abtrünnigen auf Erden, wem wahrhaft Verehrung gebührt.

1 Und ich sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte zehn Hörner und sieben Häupter und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern lästerliche Namen. 2 Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Panther und seine Füße wie Bärenfüße und sein Rachen wie ein Löwenrachen. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Thron und große Macht. 3 Und ich sah eines seiner Häupter, als wäre es tödlich verwundet, und seine tödliche Wunde wurde heil. Und die ganze Erde wunderte sich über das Tier, 4 und sie beteten den Drachen an, weil er dem Tier die Macht gab, und beteten das Tier an und sprachen: Wer ist dem Tier gleich und wer kann mit ihm kämpfen? 5 Und es wurde ihm ein Maul gegeben, zu reden große Dinge und Lästerungen, und ihm wurde Macht gegeben, es zu tun zweiundvierzig Monate lang. 6 Und es tat sein Maul auf zur Lästerung gegen Gott, zu lästern seinen Namen und sein Haus und die im Himmel wohnen. 7 Und ihm wurde Macht gegeben, zu kämpfen mit den Heiligen und sie zu überwinden; und ihm wurde Macht gegeben über alle Stämme und Völker und Sprachen und Nationen. 8 Und alle, die auf Erden wohnen, beten es an, deren Namen nicht vom Anfang der Welt an geschrieben stehen in dem Lebensbuch des Lammes, das geschlachtet ist. (...) 11 Und ich sah ein zweites Tier aufsteigen aus der Erde; das hatte zwei Hörner wie ein Lamm und redete wie ein Drache. 12 Und es übt alle Macht des ersten Tieres aus vor seinen Augen und es macht, dass die Erde und die darauf wohnen, das erste Tier anbeten, dessen tödliche Wunde heil geworden war. 13 Und es tut große Zeichen, sodass es auch Feuer vom Himmel auf die Erde fallen lässt vor den Augen der Menschen; 14 und es verführt, die auf Erden wohnen, durch die Zeichen, die zu tun vor den Augen des Tieres ihm Macht gegeben ist; und sagt denen, die auf Erden wohnen, dass sie ein Bild machen sollen dem Tier, das die Wunde vom Schwert hatte und lebendig geworden war. 15 Und es wurde ihm Macht gegeben, Geist zu verleihen dem Bild des Tieres, damit das Bild des Tieres reden und machen könne, dass alle, die das Bild des Tieres nicht anbeteten, getötet würden. 16 Und es macht, dass sie allesamt, die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Sklaven, sich ein Zeichen machen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn 17 und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat, nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. 18 Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres; denn es ist die Zahl eines Menschen, und seine Zahl ist sechshundertundsechsundsechzig. (Offenbarung 13,1-8; 13,11-18; LUT)
Albrecht Dürer: Anbetung des Lammes (um 1496/97); Holzschnitt
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In dem folgenden vielfigurigen Blatt (XII. Figur: Anbetung des Lammes) huldigt die große Schar der Ältesten und 144 000 Auserwählten dem Lamm im Himmel (Offb. 14,1-5). Es handelt sich wie bei dem Kampf Michaels mit dem Drachen (X. Figur) um eine Szene, die sich zwischen den beiden im vorangehenden Holzschnitt gezeigten Visionen ereignet. Das Lamm – Symbol für Christus – steht auf dem Regenbogen, umgeben von einer Lichtglorie und den „vier Gestalten“ (Vers 3), den Evangelistensymbolen „voller Augen vorn und hinten“ (Offb. 4,6; LUT). Ein Bischof fängt in einem Kelch das Blut aus der Seitenwunde des Christuslammes auf. Johannes, auf einem Berg kniend, spricht auf ähnliche Weise wie auf der II. Figur mit einem der Ältesten. Dieser beugt sich aus dem Kreis der Vierundzwanzig herunter und scheint zu erklären, wer die Palmträger sind (Offb. 7,9) und wie sie mit dem Blut des Lammes ihre Gewänder gewaschen haben (Offb. 7,14). Etwas höher steht Johannes noch einmal unter den Auserwählten. Durch die besonders kleinteilige, gedrängte Gestaltung des Blattes erhalten die weißen Stellen um das Lamm und um die vier Evangelistensymbole besondere Leuchtkraft.

1 Und ich sah, und siehe, das Lamm stand auf dem Berg Zion und mit ihm hundertvierundvierzigtausend, die hatten seinen Namen und den Namen seines Vaters geschrieben auf ihrer Stirn. 2 Und ich hörte eine Stimme vom Himmel wie die Stimme eines großen Wassers und wie die Stimme eines großen Donners, und die Stimme, die ich hörte, war wie von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielen. 3 Und sie sangen ein neues Lied vor dem Thron und vor den vier Gestalten und den Ältesten; und niemand konnte das Lied lernen außer den hundertvierundvierzigtausend, die erkauft sind von der Erde. 4 Diese sind’s, die sich mit Frauen nicht befleckt haben, denn sie sind jungfräulich; die folgen dem Lamm nach, wohin es geht. Diese sind erkauft aus den Menschen als Erstlinge für Gott und das Lamm, 5 und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden; sie sind untadelig. (Offenbarung 14,1-5; LUT)

(zuletzt bearbeitet am 15. April 2018)

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