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Rogier van der Weyden: Bladelin-Altar (um 1445); Berlin, Gemäldegalerie
(für die Großansicht unbedingt anklicken!) |
Pieter Bladelin (um
1408–1472) war Finanzminister am burgundischen Hof und Ratgeber Herzog Philipps des
Guten, somit einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Männer seiner Zeit.
Er gründete in der Nähe von Brügge eine Stadt, der er den Namen Middelburg gab.
Rogier van der Weyden (1399–1464) erhielt von Pieter Bladelin den Auftrag
für einen dreiteiligen Altar – wahrscheinlich war das Werk zunächst als
privates Andachtsbild gedacht. Vermutlich erst nach Bladelins Tod gelangte es in
die Kirche von Middelburg, wo es, versehen mit einer zusätzlichen Bemalung der
Außenseiten, als Altargemälde diente. Deswegen wird das Triptychon entweder
nach der Stadt „Middelburger Altar“ oder nach dem Auftrageber „Bladelin-Altar“
genannt. Das um 1445 entstandene Werk befindet sich heute in der Berliner
Gemäldegalerie.
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Die Krippe fehlt, aber Ochs und Esel sind anwesend |
Auf der Mitteltafel
ist die Geburt des Erlösers dargestellt, genauer: die Anbetung des Jesuskindes.
In die Mittelachse hat Rogier die weißgekleidete Maria mit dem nackten Knaben gesetzt; die Farbe des Gewandes symbolisiert ihre Jungfräulichkeit. Maria kniet schräg zur Bildebene vor ihrem Kind, parallel zu der übereck gestellten Stallruine. Links
und rechts von ihr sehen wir in spiegelsymmetrischer Verteilung Joseph und den Auftraggeber
selbst in einem schwarzen, mit Pelz verbrämten Gewand und langen
Schnabelschuhen. Sie sind beide kniend auf das Kind hin ausgerichtet. Joseph
wird durch eine Steinsäule von dem Kind, auf das er herabblickt, kompositorisch
abgetrennt – vermutlich um anzudeuten, dass er mit der jungfräulichen Geburt wirklich
nichts zu tun hat.
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Das schwarze, mit Pelz besetzte Gewand weist Pieter Baldelin als Angehörigen
der Oberschicht aus |
Der Stifter Bladelin
ist historisch gesehen im Bild eigentlich ein Fremdkörper; er wird mit einem
nach innen gekehrten Blick gezeigt – damit könnte gemeint sein, dass es ihm in Form
einer „Vision“ möglich ist, am Geschehen in Bethlehem teilzunehmen. Bladelin
kniet nicht nur, sondern hat auch ehrfürchtig seine Kopfbedeckung, den Chaperon, abgenommen und auf den Rücken gehängt. In ähnlicher Haltung wie Maria betet er das Kind an, jedoch mit überkreuzten Daumen, was auf den späteren Opfertod Jesu vorausweist. Die Stadt im Hintergrund über Bladelin scheint dessen natürliches Umfeld zu sein (auch wenn sie Bethlehem bedeuten soll);
die Lücke rechts in dem Mäuerchen hinter ihm „bezeichnet den Weg aus dem Alltagsleben,
den er in seiner Andacht genommen hat“ (Kemperdick 1999, S. 65).
Anders als im
Lukas-Evangelium erzählt, liegt das neugeborene Kind weder in einer Krippe,
noch ist es in Windeln gewickelt (Lukas 2,12). Es liegt vielmehr direkt auf dem
Boden – Rogier greift hier auf einen einflussreichen Text der Birgitta von
Schweden (1302–1373) zurück. Sie schildert dort ihre „Vision“ der Geburt Jesu,
die in zahlreichen Details von den biblischen Berichten abweicht. Auch die
Kerze in Josephs Hand ist der „Offenbarung“ der Birgitta von Schweden entnommen:
Ihr schwacher Schein sei vom überirdischen Licht des göttlichen Kindes überstrahlt
worden.
Aus der Höhe schweben
drei Engel herab; drei weitere wenden sich am Boden mit den anderen Figuren
andachtsvoll dem Kind zu, hinter ihnen stehen Ochs und Esel. In der Landschaft
links im Hintergrund ist die Verkündigung an die Hirten dargestellt (Lukas 2,10).
Rechts im Hintergrund schließt sich der Ausblick auf die bereits erwähnte mittelalterliche
Stadt an, in der Menschen ihren alltäglichen Verrichtungen nachgehen. Der
verfallene Stall mit seinen romanischen Bauformen ist Sinnbild für eine
vergangene Epoche, die mit der Geburt des Erlösers ihr Ende gefunden hat – sein
Erscheinen markiert den Beginn der Gnadenzeit. Dabei verweisen das vergitterte
Erdloch wie die Säule auf Gefangenahme und Geißelung Jesu und damit auf den
späteren Leidensweg Christi.
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Kaiser Augustus mit der tiburtinischen Sibylle |
Auf dem linken Flügel
sieht man den Kaiser Augustus in seinem Schlafgemach mit drei Beratern und der
tiburtinschen Sibylle. Sie ist eine von zehn mythischen Prophetinnen, die mit
einem geografischen Beinamen bezeichnet werden. Als Kaiser erkennbar wird der
Kniende durch die Bügelkrone und seinen purpurfarbenen Mantel, dessen Saum mit
Goldfäden bestickt und kostbaren Steinen besetzt ist. Auch die doppelköpfigen
Adlerwappen in den oberen Fenstern sind (mittelalterliche) Symbole des
Kaisertums. Am 31. Mai 1433, dem Tag seiner Kaiserkrönung in Rom, hatte Sigismund dieses alte Herrschaftssymbol zum Wappen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erhoben.
Nach der Legende hatte Augustus die Sibylle von Tibur befragt, ob
es einen mächtigeren Herrscher gibt als ihn. Darauf zeigt ihm die Sibylle am
Tag der Geburt Christi in einer Vision den neugeborenen Weltenherrscher: Er
erscheint dem Kaiser im Schoß der Mutter, die auf einem in der Luft schwebenden, leintuchbedeckten
Altar sitzt. Vereinzelt fallen goldene Strahlen aus der sie umgebenden Aureole durch das geöffnete Fenster. Augustus huldigt dem Kind, wobei er wie ein Priester ein
Weihrauchfass schwenkt – was „an die Inszenation des Sakraments im Sakramentskult erinnert“ (Schlie 2002, S. 274). Dem entspricht, dass Maria das segnende Kind „wie die Monstranz die Hostie“ (Schlie 2002, S. 274) zur Verehrung präsentiert. Für Heike Schlie stellt der Altar insgesamt „die Verknüpfung von Heilsgeschichte und ihrer rituellen Wiederholung und Fortsetzung im Kult“ her (Schlie 2002, S. 277). Unübersehbar hat Rogier auf dem linken Flügel auch „das Fensterkreuz zwischen der Himmelserscheinung und den menschlichen Teilnehmern aufgerichtet: das Zeichen der künftigen Erlösung“ (Knauer 1970, S. 337). Die Szene ist gleichzeitig die Gründungslegende der
Kirche Ara coeli (wörtlich „Altar des
Himmels“) auf dem Kapitolshügel. Von dieser Kirche nahm man im Mittelalter an,
dass sie auf den Grundmauern des Palastes von Kaiser Augustus errichtet worden
sei.
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Die Kirche Santa Maria in Arcoeli auf dem Kapitol in Rom |
Der rechte Flügel
zeigt die drei Könige aus dem Morgenland, die das Jesuskind, das ihnen in einem
Stern am Himmel erscheint, ebenfalls anbeten. Der Tradition entsprechend, sind
in den drei Königen auch die unterschiedlichen Lebensalter mit dargestellt. Die
auf den Flügeln gezeigten Ereignisse sind nicht im Neuen Testament überliefert,
sie werden vielmehr in der Legenda aurea
des Jacob de Voragine geschildert (Ende des 13. Jahrhunderts geschrieben). In der
Ferne sind die drei Könige ein weiteres Mal wiedergegeben: Sie haben ihre Kleider
abgelegt, um sich im Fluss zu waschen. Auch hierfür liefert die Legenda aurea die Erklärung: Aufgrund
einer Weissagung warteten die drei Könige nach einer symbolischen Reingung
alljährlich auf einem Berg darauf, dass ihnen ein Stern die Geburt des Erlösers
ankündigen würde. Während das Jesuskind auf den beiden Flügelbildern am Himmel
schwebt, ist er auf der Mitteltafel vom Himmel auf die Erde herabgestiegen und
wirklich Mensch geworden.
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Die drei Könige erblicken das Jesuskind, danach
werden sie zum Stall in Bethlehem aufbrechen
(für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Figuren auf den
drei Bildfeldern sind alle im gleichen Maßstab gehalten und ziehen sich wie
eine Kette über die Tafeln; „auf den Flügeln jeweils in einem nach innen gekehrten,
auf der Mitteltafel in einem nach außen geöffneten Halbkreis angeordnet,
schwingen sie in ihrer Abfolge gewissermaßen in einer wellenförmigen Linie“
(Kemperdick 1999, S. 61). Verbunden werden die Tafeln zudem durch eine
durchdachte Farbverteilung, bei der beispielsweise das rote Gewand des ältesten
Königs rechts ein Echo auf die rote Kleidung Josephs auf der Mitteltafel
darstellt und der rotgemusterte Goldbrokat des mittleren Königs daneben ein Gegenstück
im Rock des Augustus’ auf dem gegenüberliegenden Flügel hat. Wie sich auf der
Mitteltafel spiegelsymmetrisch Joseph und der Stifter ensprechen, so auf den
beiden Flügel Augustus und der älteste der drei Könige: Beide stehen einander in
Haltung, Physiognomie und Haartracht auffällig nah.
Die Flügel stehen
jeweils für einen ganzen Erdteil: der linke für den Westen, der rechte für den
Osten, Okzident und Orient. „Wir sehen, wenn wir das geöffnete Triptychon
betrachten, drei Orte, die zusammen die Welt als Ganzes repräsentieren, wobei
die Ereignisse, die auf jeder der drei Tafeln dargestellt sind, gleichzeitig
stattfinden“ (Thürlemann 2004, S. 77). Alle Welt – Menschen aus allen Kulturen,
jeden Alters und aus verschiedenen Zeiten, himmlische Wesen und auch die
sprachlose Kreatur – huldigt dem Kind und Erlöser, so die Botschaft des
Baldelin-Altars.
Literaturhinweise
De Vos, Dirk: Rogier van der Weyden. Das Gesamtwerk. Hirmer
Verlag, München 1999, S. S. 242-248;
Kellermann, Antje-Fee: Middelburger Altar (sogenannter
Bladelin-Altar). In: Stephan Kemperdick/Jochen Sander (Hrsg.), Der Meister von
Flémalle und Rogier van der Weyden. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008, S.
337-341;
Kemperdick, Stephan: Rogier van der Weyden. Könemann
Verlagsgesellschaft Köln 1999, S. 61-65;
Knauer, Elfriede: A CVBICVLO AVGVSTORUM. Bemerkungen zu Rogier van der
Weydens Bladelin-Altar. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 33 (1970), S.
332-339;
Pächt, Otto: Altniederländische Malerei. Von Rogier van der
Weyden bis Gerard David. Prestel-Verlag, München 1994, S. 52-53;
Panofsky, Erwin: Die altniederländische Malerei. Ihr Ursprung
und ihr Wesen. Band 1. DuMont Buchverlag, Köln 2001 (urspr. 1953), S. 290-292;
Rothstein, Bert: Vision, Cognition, and Self-reflection in Rogier van
der Weyden’s Bladelin Triptych. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 64 (2001),
S. 37-55;
Schlie, Heike: Bilder des Corpus Christi. Sakramentaler Realismus von
Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2002, S. 272-278;
Thürlemann, Felix:
Die Legenda aurea des Jacobus a Voragine und einer ihrer Leser, der
Maler Rogier van der Weyden. In: Aleida Assmann/Michael C. Frank (Hrsg.),
Vergessene Texte. Universitätsverlag Konstanz, Konstanz 2004, S. 63-80.
(zuletzt bearbeitet am 20. Februar 2025)
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