Sandro Botticelli: Bildnis eines jungen Mannes mit Medaille (um 1475), Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken) |
Das selbständige
Porträt war in der Frührenaissance eine durchaus noch neue Bildgattung. Zwei
Gemälde, heute im Pariser Louvre und im Wiener Dom- und Diözesanmuseum, leiten
die Geschichte dieser Bildgattung ein. Beim Porträt des französischen Königs
Jean II. le Bon wird das Todesjahr 1364 als ungefährer Anhaltspunkt für die
Entstehung des Gemäldes angenommen. Ein Jahr später, 1365, verstarb jung der
österreichische Herzog Rudolf IV. Sein ebenfalls nur einem Anonymus
zuzuschreibendes Bildnis dürfte annähernd zeitgleich gemalt worden sein.
Anonymer Künstler: Jean II. le Bon (um 1364); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
Anonymer Künstler: Rudolf IV. (um 1365); Wien, Dom- und Diözesan- museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
In diesen beiden
frühesten selbständigen Porträts, die sich erhalten haben, „sind zugleich die
beiden Darstellungsformen vorgegeben, die im folgenden Jahrhundert miteinander
konkurrieren werden“ (Körner 2006, S. 71): Johann der Gute wird im strengen
Profil wiedergegeben, der Kopf des österreichischen Herzogs hingegen schräg
abgebildet, sodass nicht nur die rechte, sondern auch von der linken
Gesichtshälfte etwas zu sehen ist – eine Ansicht zwischen Profildarstellung und
frontaler Aufnahme („en face“), für die sich der kunsthistorische Ausdruck
„Dreiviertelporträt“ eingebürgert hat. Die Dreiviertelansicht, so kann man
sagen, hat einen höheren „Informationsgehalt“ als die Frontal- oder die
strenge Seitenansicht – weshalb sie im Übrigen auch der für Passfotos
verbindliche Abbildungsmodus werden konnte. Zumindest galt das bis zur
Einführung des biometrischen Passbildes.
Römische Münze mit dem Profilbildnis des Kaisers Trajan |
Die niederländische
Porträtmalerei bevorzugte schon im frühen 15. Jahrhundert die
Dreiviertelansicht. Das blieb in Italien nicht unbeachtet – dennoch dauerte es
längere Zeit, bis sich diese Darstellungsform auch hier durchsetzen konnte.
In der Toskana blieb das
Profilbildnis bis ins spätere 15. Jahrhundert die bevorzugte Bildnistyp. Warum? Ein wesentlicher Grund war die Rückbesinnung auf die Antike: Die Künstler und
Humanisten der italienischen Frührenaissance betrachteten die Profildarstellungen
auf römischen Münzen als die gültige Porträtform der Antike. „Nicht Traditionalismus,
sondern die Modernität der wiederentdeckten Antike war es demnach, die die Frührenaissane
lange am Profilbildnis festhalten ließ, zumal damit anschauliche Qualitäten
verknüpft waren, die dem Repräsentationsbedürfnis der Porträtierten entgegengekommen
sein dürften. Das Profilbildnis zeigt zwar weniger vom Gesicht als die Dreiviertelansicht,
aber die Profilansicht ist distanzierter, auch distinguierter, eine durchaus
adäquate Form somit für eine sehr repräsentative Porträtauffassung, die dem
Betrachter nicht allzu nah rücken will“ (Körner 2006, S. 72/73).
Masaccio: Bildnis eines jungen Mannes (um 1426/27); Boston, Isabella Stewart Gardner Museum |
Andrea del Castagno: Bildnis eines Edelmannes (um 1450), Washington, National Gallery of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Andrea Mantegna: Bildnis des Ludovico Trevisano (um 1459); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Erst nach der
Jahrhundertmitte, und selbst dann noch zögerlich, kam in Italien auch das Dreiviertelporträt
auf. Vielleicht das früheste Beispiel ist ein von Andrea del Castagno gemaltes
Bildnis (um 1450). Etwa zehn Jahre später malte Andrea Mantegna dann das Porträt
des Kardinals Ludovico Trevisano in Dreiviertelansicht. Beide Bilder dürfen für
ihre Zeit noch als Ausnahme gelten. In den 1470er Jahren wurde das
Dreiviertelporträt üblicher, und Sandro Botticelli (1455–1510) gehörte mit zu
den Künstlern, die diese innovative Bildnisform aufgegriffen haben.
Eindrücklichstes Beispiel ist sein Bildnis
eines jungen Mannes mit Medaille aus den Uffizien in Florenz. Dabei war es nicht
nur die erstaunliche Lebensnähe der Bildnisse des niederländischen Malers Hans Memling (um 1430–1494), die italienische
Künstler und Auftraggeber faszinierten. Im stetigen Wettstreit mit der
Bildhauerkunst „war die Malerei in Florenz hinsichtlich der dominanten
Produktion von Porträtbüsten herausgefordert, der in Terrakotta oder Marmor
memorierten vollplastischen Ähnlichkeit illusionistisch überzeugende Konkurrenz
zu machen“ (Schumacher 2009, S. 26).
Mino da Fiesole: Büste des Piero de’ Medici (um 1453); Florenz, Bargello |
Im Vordergrund des
hochformatigen Gemäldes von Botticelli ist ein junger Mann dargestellt. Seine
frontal wiedergebene Brustpartie nimmt den unteren Teil des Bildes ein; er
trägt einen dunkelgrünen, vorne geöffneten Mantel aus samtigem Stoff, darunter
ist ein annähernd gleichfarbenes und oben mit einer Schleife geschlossenes Wams
zu sehen. Unmittelbar über der Schleife lugt etwas weißer Stoff hervor, wohl der
obere Saum eines Unterhemdes. Die Hals- und Kopfpartie darüber wird uns nicht
mehr en face, sondern im
Dreiviertelprofil gezeigt. Das gefurchte Kinn und die ebenmäßige Nase weisen
nach links, die kastanienfarbenen, gewellten und sehr fülligen Haare fallen
rechts sanfter ab als links; die karmesinrote Kappe sitzt wegen der Kopfwendung
schräg auf dem Haupt. Auf den ersten Blick scheint uns der junge Mann anzusehen,
doch bei näherer Betrachtung ist zumindest der Augapfel seines linken Auges
dafür zu weit nach rechts verschoben. Sieht er nach oben
oder nach unten? Das
Gesicht changiert zwischen Hinwendung zum und Abwendung vom Betrachter: Während
der Kopf sich gerade noch zu ihm zu drehen und sein rechtes Auge ihn zu
fixieren scheint, ist der Blick des linken bereits an ihm vorbeigehuscht. Auch
die Mimik des Dargestellten ist uneindeutig: Haben wir eine leicht lächelnden,
freundlichen Mund vor uns – oder ist der Gesichtsausdruck verschlossen und
beinahe herablassend?
Der Porträtierte hat
die Hände vor der Brust spangenartig um den Rand einer Medaille gelegt; der
kleine Finger der linken Hand steht etwas ab, wohl um die beiden dort
getragenen Ringe zeigen zu können; mit dem geritzten Karneol neben dem Smaragd
wird ein leuchtender Farbakzent gesetzt, der das Rot der Kappe wiederholt. Der
Kopf des jungen Mannes ist aus der Mittelachse leicht nach links herausgerückt,
die Medaille wiederum hält er nach rechts vor seinem Herzen. Die Medaille selbst
gehört nicht zur Malfläche, sie besteht aus vergoldetem Stuck und ist separat
in eine kreisrunde Öffnung der Tafel eingefügt. Sie zeigt ein Profilbildnis
Cosimos il Vecchio (1389–1464), des Gründers der Medici-Dynastie.
Andrea del Verrocchio: Bildnis des Cosimo de’ Medici (um 1464); Berlin, Bode-Museum |
Der Dargestellte muss
sich an einem erhöhten Standort befinden, denn hinter ihm öffnet sich eine Landschaft,
die sich dem Betrachter wie aus der Vogelschau darbietet. Grüne Auen mit
eingestreuten Bäumen und Sträuchern sowie in der Ferne verblauende Hügel säumen
ein breites Flussbett, das von Oberkörper und Kopf des jungen Mannes weitgehend
verdeckt wird; vom silbrigen Wasserspiegel bleibt allein die Uferzone hinter
den Schultern und Haaren sichtbar. Körperkontur und Flussrand sind aufeinander
abgestimmt: Links folgt der Flussverlauf zunächst der Schulter-Diagonale, um
dort, wo mit dem aufbauschenden Haar eine Richtungsänderung eintritt,
entsprechend umzubiegen; die Welligkeit des Gestades und der Locken ähneln
sich. Der Kopf selbst erhebt sich fast vollständig über das Flusstal und ragt
vor einem spärlich bewölkten Himmel auf. Immer wieder ist
hervorgehoben worden, dass Botticelli seine männlichen Porträts mit
physiognomischen Merkmalen versehen hat, die sie einander alle sehr ähnlich
machen: Der Maler stattete viele seiner Jünglinge und Männer mit starken
Wangenknochen, dominanten Nasen, vollen, geschwungenen Lippen und insbesondere
mit einem langen, vorspringenden Kinn aus.
Hans Memling: Bildnis eines Mannes mit einer Münze Kaiser Neros (1473/74); Antwerpen, Koninklijk Museum for Schone Kunsten |
Botticellis Gemälde nimmt innerhalb seines Œuvres
eine Sonderstellung ein, da es sich keiner der beiden Gruppen zuordnen lässt,
in die man seine Bildnisse einteilen kann: „Entweder werden die Dargestellten
von der Bildarchitektur bis zur Unverrückbarkeit eingekapselt, oder sie
erscheinen vor neutralen Hintergründen, dabei bisweilen wie aus
undurchdringlichem Dunkel emporleuchtend“ (Dombrowski 2004, S. 40). Das Porträt
vor einer Landschaft findet sich dagegen nur hier. Zur Entstehungszeit des Gemäldes, um 1475, war das in der
florentinischen Malerei einzigartig. Botticelli hat sich dabei sicherlich von
flämischen Vorbildern anregen lassen, vor allem was den Landschaftshintergrund,
die „handelnden Hände“ und die Dreiviertelansicht angeht. Besonders die Nähe zu
Hans Memlings Bildnis eines Mannes mit
einer Münze Kaiser Neros ist immer wieder betont worden (siehe meinen Post
„Die Porträtkunst des Hans Memling“). In späteren Jahren hat Botticelli noch
ein weiteres Portät mit einem separat eingefügten Objekt geschaffen, den Jüngling mit Medaillon in Washington,
der wohl um 1490 oder noch später zu datieren ist.
Sandro Botticelli: Bildnis eines jungen Mannes (um 1485); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Sandro Botticelli: Jüngling mit Medaillon (um 1490); Washington, National Gallery of Art |
Damian Dombrowski versteht das Vorzeigen der
Medaille als stummen Aufruf an den Betrachter, „seine Lebensführung am Beispiel
dessen zu modellieren, den die Medaille zeigt. (...) Wie zur Verehrung wird die
Medaille dem Betrachter dargeboten; es liegt nahe, darin den eigentlichen Grund
der Anfertigung dieses Bildnisses zu vermuten“ (Dombrowski 2004, S. 48). Wie
ein Prägestempel wird uns das Vorbild Cosimos entgegengehalten. Viele
Humanisten haben den Medici-Ahnherrn als ebenso gelehrten wie großzügigen
Herrscher gefeiert und seine Rolle als „pater patriae“ der Florentiner Republik
betont. Mit diesem Titel ehrte man posthum, seit 1469, den alten Cosimo; er findet
sich auch auf der Medaillenumschrift: „MAGNUS COSMUS/MEDICES PPP“, wobei das
„PPP“ für „primus pater patriae“ steht („Der große Cosimo de’ Medici, erster
Vater des Vaterlandes“).
Susanne Kress betrachtet Botticellis Gemälde
angesichts seines appellativen Charakters als politisches Generationenbild: Sie
sieht in dem Dargestellten ein stark idealisiertes Porträt Lorenzo de’ Medicis
(1449–1492), der damit also ein Medaillen-Bildnis seines Großvaters in Händen
hält. Lorenzo de’ Medici könnte dieses Porträt in Auftrag gegeben haben, weil
er wegen seiner Jugend und Unerfahrenheit noch kein eigenes politisches Profil
vorweisen konnte. Mit dem Hinweis auf den verehrten Großvaters hätte er somit
seinen „dynastischen Willen demonstriert, das Erbe der mit republikanischen
Tugenden assoziierten Regentschaft Cosimos anzutreten“ (Schumacher 2009, S.
26).
Literaturhinweise
Dombrowski, Damian: »Terrae praesens non abest ab
aethere«. Botticellis »Mann mit Medaille« als Beitrag zum Menschenbild des
Quattrocento. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 38 (2004), S. 35–76;
Howard, Rebecca M.: A Mnemonic Reading of Botticelli’s Portrait of a Man with a Medal. In: Source 38 (2019), S. 196-205;
Körner, Hans: Botticelli. DuMont, Köln 2006, S.
71-81;
Kress, Susanne: Das autonome Porträt In Florenz.
Studien zu Ort, Funktion und Entwicklung des florentinischen Bildnisses im
Quatrrocento. Diss., Gießen 1995, S. 190-211;
Schumacher, Andreas: Der Maler Sandro Botticelli.
Eine Einführung in sein Werk. In: Andreas Schumacher (Hrsg.), Botticelli.
Bildnis – Mythos – Andacht. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2009, S. 15-55.
(zuletzt bearbeitet am 10. April 2021)
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