Mittwoch, 26. November 2014

Eva ist an allem schuld – Tizian und Rubens malen den Sündenfall


Tizian: Der Sündenfall (um 1550); Madrid, Prado (für die Großansicht einfach anklicken)
Tizians berühmte Darstellung des Sündenfalls (1. Mose 3,1-24), entstanden um 1550, befindet sich seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts in Spanien – bis heute ist es einer der Glanzlichter der an Meisterwerken wahrlich nicht armen Gemäldesammlung des Prado in Madrid. Links im Bild, am Fuß des „Baums der Erkenntnis“ (1. Mose 2,9), sitzt Adam, den Oberkörper zurückgelehnt, sich mit dem zurückgesetzten rechten Arm abstützend. Adams Kopf und Blick sind nach oben ins Geäst des Baums gewandt, aus dem sich die biblische Schlange herauswindet. Tizian hat ihr einen menschlichen Oberkörper, einen kindlichen Kopf mit kleinen Bockshörnern und einen in zwei Enden gespaltenen Schwanz verliehen; sie ist soeben im Begriff, Eva den Apfel zu reichen.
Eva steht rechts neben dem Baum; ihr Körpergewicht lastet auf dem rechten Bein, das Spielbein ist locker im Kniegelenk angewinkelt. Auf dem vorderen Fußballen stehend und den Oberkörper leicht nach links gedreht, ergreift sie mit erhobenem linkem Arm die verbotene Frucht. Mit dem rechten Arm stützt sie sich auf einem Seitentrieb des Baumes ab. Dort zweigt auch ein Ast mit Lorbeerblättern ab, die Evas Scham bedecken.
Die Körper der Ureltern verlieren durch die Bewegung ihr stabiles Gleichgewicht, sie drohen zu kippen, benötigen Halt. Adams erschreckt zurückweichender Oberkörper und sein abwehrend erhobener linker Arm signalisieren „nein, bloß nicht“. Eva dagegen bemüht sich, näher an den Apfel heranzukommen; ihre Haltung steht für „ja, her damit“. Eva ist offensichtlich allein auf die verbotene Frucht ausgerichtet, sie bemerkt nicht, wer sie ihr reicht. Es besteht kein Blickkontakt zwischen ihr und der Schlange, ihr Gesichtsausdruck ist eigentümlich entrückt – sie agiert offensichtlich alles andere als überlegt und scheint allein von ihrem Begehren gesteuert.
Adam hingegen wirkt, als erfasse er die Tragweite dessen, was hier geschieht, und versuche zu warnen. Doch Eva reagiert in keiner Weise auf ihn. Tizian wiederholt damit in seinem Gemälde einmal mehr die traditionelle theologische Schuldzuweisung an Eva, die letztlich allein für den Sündenfall verantwortlich gemacht wird; Adams Schuldanteile scheinen weitaus geringer und bestehen einzig darin, der Verführungskraft Evas nicht widerstanden zu haben. Tizian betont die „Alleinschuld“ Evas zusätzlich, indem er direkt hinter ihr einen Fuchs platziert – es war die Frau, die auf die List des Teufels hereingefallen ist, bei ihr hatte er offensichtlich leichteres Spiel.
Peter Paul Rubens: Der Sündenfall (1628/29); Madrid, Prado
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1628 reist Peter Paul Rubens in diplomatischer Mission an den Hof Philipps II. nach Madrid. Nach seiner Ankunft wird er bald auch künstlerisch aktiv: Bei seiner Rückkehr nach Antwerpen hat er eine große Anzahl von Gemälden im Gepäck – neben Porträts der spanischen Königsfamilie eine beachtliche Anzahl von Kopien nach Tizian-Bildern. Auch Tizians Sündenfall gehört dazu. Aber Rubens geht es offensichtlich nicht um eine möglichst getreue Wiederholung, denn seine Kopie weist einige bemerkenswerte Veränderungen auf. Der flämische Künstler hat Tizians Eva nahezu unverändert übernommen – auch bei Rubens hat sie nur die verbotene Frucht im Blick, ohne die darin verborgene bzw. darüber lauernde Gefahr zu erkennen. Aus dem Putto im Baum ist jedoch ein kleiner Kobold mit satyrhaften Zügen geworden, der Eva genau beobachtet, während er ihr mit einem schelmischen Lächeln den Apfel überreicht. Rubens’ Adam ist kein schöner Jüngling, sondern ein gereifter Mann; im Gegensatz zu Tizians Adam weicht er nicht mehr ängstlich mahnend zurück. Er neigt sich eher zu Eva hin und berührt sie behutsam, um sie an das Gebot Gottes zu erinnern. Rubens unterscheidet bei seinem ersten Menschenpaar auch deutlicher die direkten Folgen des Sündenfalls: „Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt waren“, heißt es in 1. Mose 3,7 (ELB). Der flämische Maler behält in seiner Version den Lorbeerzweig bei, der Evas Scham bedeckt, was verdeutlichen soll, dass sie sich ihrer Geschlechtlichkeit bereits bewusst geworden ist. Anders als Tizian stellt Rubens aber Adam völlig nackt dar: Da er von der verbotenen Frucht noch nicht gegessen hat, steht ihm das „Erkennen“ der eigenen Sündhaftigkeit noch bevor. Aber Mimik und Gestik Adams könnten auch den Moment staunenden sinnlichen Erwachens zeigen, der in der bildenden Kunst immer wieder mit dem Sündenfall verknüpft wird. Rubens erweist sich damit meiner Ansicht nach als der subtilere Erzähler; er scheint die Komposition des älteren Kollegen verbessern zu wollen – auf jeden Fall begibt er sich selbstbewusst in einen Wettstreit auf Augenhöhe.
Torso vom Belvedere; Rom, Vatikanische Museen
Peter Paul Rubens: Zeichnung nach dem Torso vom Belvedere
In ihrer Sitzhaltung orientieren sich die beiden Urväter an einer berühmten antiken Plastik: dem Torso vom Belvedere (siehe meinen Post „Ruhm und Rätsel“). Tizian entlehnt von ihr für seinen Adam die Position der Oberschenkel und die Beckenstellung. Rubens, der sich während seines Romaufenthaltes (1603/04) in diversen Zeichnungen mit dem Torso vom Belvedere beschäftigt hatte, übernimmt von der vielbewunderten Skulptur auch die Drehung des Oberkörpers und das Motiv des stabilen Sitzens.
Albrecht Dürer: Adam und Eva (1504); Kupferstich
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Das Standmotiv der Eva Tizians hat Erwin Panofsky als heimliches Dürer-Zitat bezeichnet, eine Anleihe also aus dessen berühmtem Kupferstich Adam und Eva von 1504 (siehe meinen Post Aus Göttern werden Menschen“). Bei Dürer ist ebenfalls schon die Scham des ersten Menschenpaares wie zufällig von Blättern verdeckt – Tizian übernimmt dieses Element. (Röntgenaufnahmen zeigen, dass Tizian beide Figuren zunächst völlig nackt gemalt hatte.) Um auf den Dürer-Stich als Quelle und Vorbild hinzuweisen, habe Rubens am linken Bildrand den roten Papagei eingefügt, der nicht bei Tizian, aber in der Dürer-Grafik erscheint und dort ebenfalls in der Nähe von Adams Kopf platziert ist.

Literaturhinweise
Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Hrsg.): Vorbild und Neuerfindung. Rubens im Wettstreit mit Alten Meistern. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2009, S. 209-218;
Glang-Süberkrüb, Annegret: Einige Anmerkungen zu Tizians und Rubens „Sündenfall“. In: Frank Büttner/Christian Lenz (Hrsg.), Intuition und Darstellung. Erich Hubula zum 24. März 1985. Nymphenburger, München 1985, S. 117-128;
Panofsky, Erwin: Problems in Titian. Mostly Iconographic. New York University Press, New York 1969, S. 27ff.; 
ELB = Revidierte Elberfelder Bibel (Rev. 26) © 1985/1991/2008 SCM R. Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

(zuletzt bearbeitet am 4. Juli 2018)

4 Kommentare:

  1. Thomas LöffelholzDezember 04, 2014

    Eva ist an allem schuld - man könnte auch sagen: Sie ist hat Adam zur Erkenntnis verholfen, ohne der wir wohl immer noch im Paradiese träumen würden und uns nie die Erde untertan gemacht hätten, bei allem für und wieder ...

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  2. Thomas LöffelholzDezember 04, 2014

    (wider) :-)))

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  3. Eva stützt sich auf einen Pfirsichbaum, dessen einzeln präsentierte samtige Frucht das darstellt, was seine Blätter verbergen.
    Hier wird der armen Eva mit dieser Symbolik auf übelste Art vernunftferne Triebhaftigkeit unterstellt: das Weib es tut wonach ihm gelüstet.
    Was halten Sie davon ?

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  4. Danke sehr für den Hinweis auf den Pfirsich, der mir entgangen ist – ich denke, Sie haben vollkommen recht damit, dass Tizian mit dieser Frucht das weibliche Genital meint und Eva als triebgesteuert darstellt.

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