Hans Holbein: Christina von Dänemark (1538); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Nach dem Tod von Jane Seymour, die im Oktober
1537 kurz nach der Geburt des Thronfolgers Edward am Kindbettfieber gestorben
war, ging der englische König Heinrich VIII. auf die Suche nach einer geeigneten
neuen Gemahlin – der zu diesem Zeitpunkt vierten. Da ihn die Gemälde
potentieller Kandidatinnen, die von Gesandten in London vorgelegt wurden, nicht
zufriedenstellten – weil sie beispielsweise zu wenig vom Gesicht erkennen ließen
–, schickte er 1538/39 seinen Hofmaler Hans Holbein (1497–1543) auf Reisen, um
„getreue“ Porträts anzufertigen. Holbeins erster Besuch galt Christina von
Dänemark, der sechzehnjährigen, verwitweten Herzogin von Mailand. Ihr Mann, Francesco II. Sforza, hatte sie 1533 als Zwölfjährige geheiratet und war 1535 gestorben. Als Holbein Christina von Dänemark am 12. März 1538 aufsuchte, hielt sie sich
in Brüssel am Hof ihrer Tante Maria von Ungarn auf.
Eine strenge, alle Haare verhüllende schwarze
Samthaube umrahmt das helle, porzellanhaft schimmernde Gesicht, das en face aus dem Bild blickt. Nur der
hellrote kleine Mund bringt etwas Farbe in das Antlitz und korrespondiert mit
dem leuchtend roten Ring an der linken Hand. Das Kleid ist schwarz, vermutlich
ebenfalls aus Samt, hochgeschlossen mit einem kleinen Stehkragen, über dem eine
schmale weiße Rüschenkrause sichtbar wird, die auch an den Handgelenken unter
den Ärmeln zum Vorschein kommt. Über dem in der Taille gebundenen Kleid trägt
die junge Frau einen langen, seidig glänzenden schwarzen Mantel, der mit
braunem Fell unterfüttert ist. Sie steht ohne Beigaben in einem undefinierten
Ambiente. Der Boden ist hellbraun, der Hintergrund tiefdunkel blau-grün.
Lediglich der Schatten ihrer Gestalt, der über der linken Schulter erkennbar
ist, und der verdunkelte Streifen, der an der rechten Bildkante entlangläuft,
verweisen darauf, dass sie sich wohl in einem Innenraum befindet. Weder ein Wappen noch sonst eine Insignie deuten an, wen wir vor uns haben.
Christina von Dänemark saß Holbein in Brüssel
für vorbereitende Studien knappe
drei Stunden Modell. Vermutlich hat er in dieser Zeit Zeichnungen des Kopfes
und der sorgfältig ausgeführten Hände, die ein Paar hellbraune Handschuhe halten,
angefertigt sowie eine Skizze der ganzen Gestalt in ihrem auffälligen, von den
englischen Bräuchen abweichenden Witwengewand. Mit dem Bildnis der Christina
von Dänemark hat Holbein sein einziges Ganzfiguren-Porträt geschaffen, das eine
Frau alleine darstellt und nicht Teil eines Ehe-Diptychons ist. Auch die
übrigen Ganzfiguren-Porträts aus dieser Zeit, etwa von Lucas Cranach, zeigen Frauen
in kompletter Gestalt und auf einer eigenen Tafel nur im Zusammenhang von
Ehepaar-Bildnissen.
Hans Holbein: Anna von Kleve (1539); Paris, Musée du Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
Obwohl den König das Bild in Hochstimmung versetzte,
kam die Ehe mit der attraktiven jungen Witwe nicht zustande. Deswegen musste
Holbein im Lauf des Jahres noch mehrmals auf das Festland reisen, um Portraits
weiterer in Frage kommender Damen anzufertigen. Als 1540 immer noch keine neue
Ehe in Sicht war, wurde der Künstler erneut mit einem Porträt beauftragt:
Dieses Mal war Anna von Kleve ausersehen worden, eine der Töchter des
protestantischen Herzogs von Kleve. Diese Verbindung schien Heinrich VIII. aus
politischen Gründen sinnvoll, und sein Berater Thomas Cromwell unterstützte sie
tatkräftig. Holbeins Bilder von der deutschen Braut – die in zwei Versionen
erhalten sind – fanden offenkundig so großen Anklang, dass Heinrich VIII. sich
zu einer Ehe entschloss. Er ließ sie jedoch nach wenigen Monaten wieder
annullieren, um Catherine Howard zu seiner fünften Frau zu nehmen. Als Grund
wurde angegeben, dass die Schönheit der Braut nicht den Bildern entsprach.
Holbein erhielt dennoch ein Honorar für seine Arbeit; königliche Auftrage
wurden zwar nach 1539 nicht mehr an ihn
herangetragen, trotzdem entlohnte man ihn bis zu seinem Tod als
Hofmaler. Ungleich härter traf es den eifrigen Vermittler und Ehestifter Thomas
Cromwell: Er fiel gänzlich in Ungnade und wurde im Juli 1540 wegen Hochverrats hingerichtet.
Literaturhinweise
Bätschmann, Oskar/Griener, Pascal: Hans Holbein. DuMont Buchverlag, Köln 1997, S. 192;
Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen Renaissance. Schirmer/Mosel, München 2010, S. 384;
Hertel, Christiane: Engaging Negation in Hans Holbein the Younger’s Portrait of Christina of Denmark, Duchess of Milan. In: Andrea Pearson (Hrsg.), Women and Portraits in Early Modern Europe. Gender, Agency, Identity. Routledge, London 2016, S. 107-125;
Sander, Jochen: Gebt dem König, was des Königs ist!
Hans Holbein d.J. als Bildnismaler in Basel und London. In: Sabine Haag u.a.
(Hrsg.), Dürer – Cranach – Holbein. Die Entdeckung des Menschen: Das deutsche
Porträt um 1500. Hirmer Verlag, München 2011, S. 139-143.Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen Renaissance. Schirmer/Mosel, München 2010, S. 384;
Hertel, Christiane: Engaging Negation in Hans Holbein the Younger’s Portrait of Christina of Denmark, Duchess of Milan. In: Andrea Pearson (Hrsg.), Women and Portraits in Early Modern Europe. Gender, Agency, Identity. Routledge, London 2016, S. 107-125;
(zuletzt bearbeitet am 21. Oktober 2020)
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