Joseph Wright of Derby: Tischplanetarium (um 1764/66); Derby, Museum and Art Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Es ist so dunkel in dem Raum, dass man nicht
viel von ihm erkennen kann: Auf der rechten Seite steht ein Bücherregal, vor
dem ein schwerer Vorhang halb zur Seite gezogen ist, sonst lässt sich nichts
näher bestimmen. So konzentriert sich der Betrachter vollständig auf das Personal und das große Tischplanetarium in der Mitte des Bildes, auf das sich auch
das Interesse der dargestellten Personen richtet. Sie haben sich um einen
runden Tisch versammelt, den am Rand ein kleiner, flacher, auf Säulchen sitzender
Metallring als Brüstung säumt. An dessen innerem Rand sind halbkreis- und ringförmige,
sich kreuzende Metallbügel befestigt, die sogenannten Armillarsphären; sie
markieren den Himmelsäquator, den Wendekreis des Krebses sowie den nördlichen
Polarkreis. Für die eigentliche Funktion eines Tischplanetariums (ein sogenanntes
„Grand Orrery“) – mechanisch mittels einer Kurbel und eines Uhrwerkes die
Bewegung der Gestirne zu demonstrieren – sind sie nicht erforderlich. Im
Inneren des Brüstungsringes, auf dem die Abfolge der Sternzeichen und des
Jahreskalenders eingraviert ist, sind die metallenen Planetenkugeln auf
schmalen, ebenfalls metallenen Ständern montiert, als Abbild des Sonnensystems.
Auf dem Gemälde von Joseph Wright of Derby (1734–1797), zwischen
1764 und 1766 entstanden, ist die Sonne durch einen kleinen Ölbehälter ersetzt
worden, in dem als Lichtquelle eine Kerze schwimmt. Sie wird in Wrights
ausführlicher Benennung seines Bildes auch ausdrücklich erwähnt: „A Philosopher
giving a lecture on the Orrery, in which a Lamp is put in place of the Sun“.
Um das Tischplanetarium haben sich acht Personen
versammelt. Am hellsten angestrahlt und mit seinen Gesichtern der Lichtquelle
am nächsten ist ein kindliches Geschwisterpaar hinter dem Tisch; ein etwas
größerer Junge steht vor dem Tisch und ist deswegen nur als fast völlig
schwarze Silhouette zu sehen. An der linken Seite sitzt eine junge Frau mit
breitem flachen Hut, ihr gegenüber haben zwei Herren Platz genommen. Der
Vordere sitzt aufrecht, hat die Linke in die Seite gestützt und die Rechte auf
den Rand des Tischplanetariums aufgesetzt. Der Hintere, Jüngere legt sinnend
die Hand an den Kopf und betrachtet mit geneigtem Haupt den größten Planeten
des Sonnensystems: Jupiter – er ist gerade noch zu sehen. Zu erkennen sind auch
drei der damals vier mittels eines Prismenfernrohrs wahrnehmbaren Jupitermonde.
Auf Jupiter scheint auch der „philosopher“ zu
weisen. Gemeint ist ein „natural philosopher“, also ein Naturwissenschaftler.
Es handelt sich um einen reisenden Scholaren, einen „lecturer“, der mit großem
Equipment durch die Provinz tingelte und Kurse für ein interessiertes Bürgertum
anbot. Er steht, gekleidet in einen weiten, blumenbestickten Mantel und alle anderen Figuren überragend, im Zentrum
des Bildes hinter dem Tischplanetarium, hat den Kopf leicht nach rechts
gewandt, ohne mit den Augen etwas zu fixieren. Offenbar hat er etwas
demonstriert, und nun sinnen die meisten seinen Erläuterungen nach. Nur der
rechts von ihm stehende Mann notiert mit einem Bündel Manuskriptseiten in der
Hand, was er beobachtet hat.
Wirklichen Kontakt miteinander haben nur die
kleinen Geschwister. Es herrscht nachdenkliche Ruhe. „Dieser Ruhe
korrespondiert bei aller Undurchdringlichkeit des Dunkels besonders zu den
Rändern hin die Bildordnung. Denn nicht nur der Vorführende befindet sich auf der
senkrechten Mittelachse, sondern auch die Lichtquelle, der Sonnenersatz“ (Busch
2009, S. 162). Ihr unmittelbar zugeordnet sind die Geschwister als hellste
Partie des Bildes. Gerahmt wird die Szene von je zwei Figuren links und rechts.
Joseph Wright of Derby: Das Experiment mit der Luftpune (1768); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Kunsthistorisch zählt
Wrights Tischplanetarium zu seinen „Candlelight“-Gemälden, zu denen auch Bilder
wie Das Experiment mit der Luftpumpe (siehe
meinen Post „Herr über Leben und Tod“) oder Die
Schmiede gehören und die ihm zu großer Bekanntheit verhalfen. Entscheidende
Impulse erhielt Wright dabei von den sogenannten Utrechter Caravaggisten aus
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Künstlern wie Hendrick Terbrugghen, Gerrit
van Honthorst oder Dirck van Baburen. Fortgeführt wurde diese Tradition bis ins
18. Jahrhundert von dem niederländischen Maler Gottfried Schalken.
Doch im 18.
Jahrhundert war vor allem ein berühmtes Bild für die Gattung „Candlelight“ von großer
Bedeutung, das vielfach grafisch reproduziert wurde, seit es zur Dresdener Gemäldegalerie
gehörte (1746): Correggios Die Nacht,
um 1530 entstanden. Das ist die
Quelle für die beiden erleuchteten, sich umarmenden Kinder in Wrights Tischplanetarium, die in unschuldiger
Freude das nachgebildete Sonnensystem betrachten und spielerisch mit ihm umgehen.
Geertgen tot Sint Jans: Geburt Christi (um 1490); London, National Gallery |
Correggios Die Nacht gehört zum Typus der
nächtlichen Anbetungsbilder, die wir seit der Geburt Christi von Geertgen tot Sint Jans (1465–1495) kennen und in
denen das Christuskind als Lichtquelle aus sich selbst heraus leuchtet. Diese
göttliche Lichtquelle erleuchtet bei Correggio nicht nur das eigentliche
Geschehen im Stall und blendet gar die Korbträgerin, sondern erhellt selbst die
Engel, die auf einer Wolke über der Krippe schweben – sie wirken wie
angestrahlt. „Die beiden rechten Engel, von denen der eine die Augen gesenkt
hat, der andere in unsere Richtung schaut, dürften für Wrights Kinder Pate
gestanden haben, wofür vor allem das Umarmungs- und das Weisemotiv sprechen“
(Busch 2009, S. 172/173). Und wenn wir als Betrachter erkennen, dass diese
Kinder ursprünglich einer Anbetungsszene entstammen, werden wir dann nicht auf
die Frage nach dem göttlichen Ursprung aller Dinge hingelenkt? Fordern die
ewigen Gesetze des Kosmos nicht ebenso zu Bewunderung und Ehrfurcht heraus?
Führt die Betrachtung des Universums und seiner klaren Ordnungsprinzipien nicht
letztlich doch zur Anbetung Gottes?
Das links und rechts
vom „Grand Orrery“ sitzende Paar scheint tief in Gedanken versunken über diese
Zusammenhänge – und auch der Betrachter soll wohl im vollendeten Bau des Kosmos
den großen Baumeister selbst erkennen. So könnte das Tischplanetarium nicht nur eine Demonstration der kosmischen
Gesetze zeigen, die Isaac Newton (1643–1727) beschrieben hat. Newtons
historische Leistung besteht bekanntlich u.a. in der Formulierung eines
umfassenden Gravitationsgesetzes und im mathematischen Beweis, dass aus dem
Gravitationsgesetz die Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung folgen und
umgekehrt. Gottes Schöpferkraft und Größe offenbart sich im Zeitalter der
Aufklärung nicht mehr im Wunder, in spektakulären Ereignissen wider alle
Wahrscheinlichkeit – sondern in der vollkommenen Ordnung der Natur und den
unveränderlichen Gesetzen, nach denen das Universum eingerichtet ist. Diese
göttliche Ordnung sichtbar gemacht zu haben, war nach Ansicht der damaligen
Zeit die herausragende Leistung Newtons. Im Jahr 1700 brachte Alexander Pope
diese Überzeugung mit folgendem Epigramm auf den Punkt:
Nature
and Nature’s Laws lay hid in Night;
God
said, Let Newton be! and All was Light.
Literaturhinweis
Busch, Werner: Newtons Schatten auf Joseph Wright of
Derbys „Tischplanetarium“. In: Werner Busch, Das unklassische Bild. Von Tizian
bis Constable und Turner. Verlag C.H. Beck, München 2009, S. 159-178.(zuletzt bearbeitet am 18. Juli 2020)
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