Caravaggio: Salome mit dem Haupt des Täufers (1609/10); London, National Gallery |
Henker, Prinzessin, Dienerin, abgeschlagener
Kopf und Schüssel – auf diese wenigen Bildelemente beschränkt sich Caravaggio (1571–1610),
wenn er in zwei Versionen darstellt, wie das Haupt Johannes des Täufers an
Salome übergeben wird. Die Hinrichtung des Propheten wird im Neuen Testament
ausführlich in Matthäus 14,3-12 und Markus 6,17-29 beschrieben. Dort wird zwar
der Name Salomes nicht genannt, aber wir kennen ihn aus den Jüdischen Altertümern des Flavius
Josephus (18, 136-137).
Caravaggio: Salome mit dem Haupt des Täufers (1609); Madrid, Palacio Real |
In beiden Fassungen des Gemäldes (die eine
befindet sich heute in London, die andere in Madrid) wendet sich Salome von der
Trophäe ab: Im Londoner Gemälde scheint sie den unerfreulichen Anblick zu
verweigern; darüber hinaus verrät ihr Angesicht jedoch keinen Unwillen, keine
Missbilligung, eher fatalistischen Gleichmut. Trotzdem zieht sie es vor, nicht
hinzusehen, als ihr der Henker den blutenden Kopf auf die Schale legt.
Ihre Mitschuld am Tod des Täufers deutet der Künstler sehr subtil durch die schräge Kopfhaltung an, die der des Scharfrichters genau entspricht. Caravaggios Salome in Madrid dreht ihr Gesicht ebenfalls vom Haupt des Johannes
weg; ihr Blick schweift jedoch nicht zur Seite ab, sondern ist nach vorne auf
den Betrachter gerichtet und nicht einfach zu deuten. Weist sie kalt und
unberührt ihre Trophäe vor?
Im Unterschied zur Londoner Fassung dominiert Salome
die halbfigurige Komposition. Sie steht in leichter Schrägstellung in
vorderster Bildebene und hält mit beiden Händen die metallene Schale, auf die
der Henker das Haupt des Täufers gelegt hat. In ein grünes Kleid und einen
roten Mantel gekleidet, ist Salomes Bustier leicht geöffnet, ein noch
unordentlich über der Brust hängender Schleier verweist auf den vorausgegangenen
Tanz vor Herodes – beides betont ihre erotischen Reize, mit denen sie ihren
Stiefvater betört hat. Rechts von ihr steht der jugendliche Henker, eine
Rückenfigur mit muskulösem nackten Oberkörper, das Richtschwert in der rechten
Hand haltend. Er wirkt betroffen und scheint echtes Bedauern zu empfinden. „Dem
jungen Mann mit dem edlen Profil wird eine Feinfühligkeit zugeschrieben, die
für das Berufsbild untypisch erscheint“ (Lang 2001, S. 125). Auch auf der
Londoner Version zeigt das Gesicht des Henkers eine unerwartete Betrübnis. In
beiden Fällen werden die Scharfrichter auf diese Weise moralisch entlastet. Der ausgestreckte, in Verkürzung wiedergegebene rechte Arm des Londoner Henkers dient darüber hinaus als sprechende Geste: „to defer und assign blame“ (Cassani/Sapia 2012, S. 132).
Etwas tiefer im Bild hat Caravaggio noch eine
alte Dienerin platziert, von der nur der Kopf zu sehen ist. Sie trägt ein
weißes Kopftuch und starrt über Salomes Schulter hinweg gleichfalls auf das
abgeschlagene Haupt. Die lederartige Haut ihres Gesichts ist von tiefen Falten
durchzogen und betont im Kontrast die jugendliche Schönheit der Salome –
verweist gleichzeitig aber auch auf die Vergänglichkeit weiblicher Reize. Auch
die Dienerin scheint das grausige Geschehen zu berühren: Ohne dass deutliche
Gesten dies zeigen, spiegeln die Dienerin wie der Henker die Willkur dieser
Hinrichtung. In der Londoner Version deutet sich das Mitgefühl der Alten auch dadurch an, dass Caravaggio – wie schon bei Salome und dem Henker – ihren Kopf und das Haupt des Täufers parallelisiert. Dicht zusammengedrängt, jedoch ohne zu kommunizieren, wirken die
Gestalten seltsam isoliert. „Auf der linken Seite wird die Figurenkomposition
durch eine vollständig schwarze Fläche begrenzt, die etwa ein Viertel des
Bildes einnimmt und den Eindruck von Isolation und Sprachlosigkeit machtvoll
verstärkt“ (Schütze 2009, S. 282).
Caravaggio: David mit dem Haupt Goliaths (1598/99); Madrid, Museo del Prado |
Caravaggio: Geißelung Christi (1606/07); Rouen, Musée des Beaux-Arts |
Auf das Modell für den Henker hat Caravaggio übrigens
noch in zwei anderen Gemälden zurückgegriffen, und zwar für einen der
Folterknechte in den beiden Fassungen der Geißelung
Christi, die um 1606/1607 entstanden sind (siehe meinen Post „In der Hand der Folterknechte“).
Caravaggio: Geißelung Christi (1606/07); Neapel, Museo Nazionale di Capodimonte |
Caravaggio,
wie sich der lombardische Maurersohn Michelangelo Merisi nach dem Herkunftsort
seiner Familie nannte, gilt als einer der Gründerväter der Barockmalerei. Seine
wichtigste Erfindung, die ihn zu einem der einflussreichsten Künstler der
europäischen Kunstgeschichte machte, ist die Helldunkel-Dramaturgie: Schräg und
streuungsfrei einfallendes Licht betont vor allem die Körperlichkeit seiner
Figuren – Muskeln, Haut, Falten, Blut – und belässt große Partien des Bildes im
Schatten. Aus dem Dunkel tauchen Gesichter und Gesten der oft dichtgedrängten
Gestalten wie Sandbänke auf – man spricht auch vom „Schlag- bzw.
Scheinwerferlicht“ Caravaggios.
Antiveduto della Grammatica: Salome empfängt das Haupt des Johannes (um 1616); Aschaffenburg, Staatsgalerie im Schloss Johannisburg |
Literaturhinweise
Cassani, Silvia/Sapio, Maria
(Hrsg.): Caravaggio. The Final Years. Electa Napoli, Neapel 2005, S. 130-133;
Lang, Walther K.: Grausame Bilder. Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001, S. 121-126;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige
Werk. Taschen Verlag, Köln 2009, S. 281-283.Lang, Walther K.: Grausame Bilder. Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001, S. 121-126;
(zuletzt bearbeitet am 8. März 2023)
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