Freitag, 7. August 2015

„Was du von mir bittest, will ich dir geben“ – Caravaggio malt „Salome mit dem Haupt des Täufers“


Caravaggio: Salome mit dem Haupt des Täufers (1609/10); London, National Gallery
Henker, Prinzessin, Dienerin, abgeschlagener Kopf und Schüssel – auf diese wenigen Bildelemente beschränkt sich Caravaggio (1571–1610), wenn er in zwei Versionen darstellt, wie das Haupt Johannes des Täufers an Salome übergeben wird. Die Hinrichtung des Propheten wird im Neuen Testament ausführlich in Matthäus 14,3-12 und Markus 6,17-29 beschrieben. Dort wird zwar der Name Salomes nicht genannt, aber wir kennen ihn aus den Jüdischen Altertümern des Flavius Josephus (18, 136-137).
Caravaggio: Salome mit dem Haupt des Täufers (1609); Madrid, Palacio Real
In beiden Fassungen des Gemäldes (die eine befindet sich heute in London, die andere in Madrid) wendet sich Salome von der Trophäe ab: Im Londoner Gemälde scheint sie den unerfreulichen Anblick zu verweigern; darüber hinaus verrät ihr Angesicht jedoch keinen Unwillen, keine Missbilligung, eher fatalistischen Gleichmut. Trotzdem zieht sie es vor, nicht hinzusehen, als ihr der Henker den blutenden Kopf auf die Schale legt. Ihre Mitschuld am Tod des Täufers deutet der Künstler sehr subtil durch die schräge Kopfhaltung an, die der des Scharfrichters genau entspricht. Caravaggios Salome in Madrid dreht ihr Gesicht ebenfalls vom Haupt des Johannes weg; ihr Blick schweift jedoch nicht zur Seite ab, sondern ist nach vorne auf den Betrachter gerichtet und nicht einfach zu deuten. Weist sie kalt und unberührt ihre Trophäe vor?
Im Unterschied zur Londoner Fassung dominiert Salome die halbfigurige Komposition. Sie steht in leichter Schrägstellung in vorderster Bildebene und hält mit beiden Händen die metallene Schale, auf die der Henker das Haupt des Täufers gelegt hat. In ein grünes Kleid und einen roten Mantel gekleidet, ist Salomes Bustier leicht geöffnet, ein noch unordentlich über der Brust hängender Schleier verweist auf den vorausgegangenen Tanz vor Herodes – beides betont ihre erotischen Reize, mit denen sie ihren Stiefvater betört hat. Rechts von ihr steht der jugendliche Henker, eine Rückenfigur mit muskulösem nackten Oberkörper, das Richtschwert in der rechten Hand haltend. Er wirkt betroffen und scheint echtes Bedauern zu empfinden. „Dem jungen Mann mit dem edlen Profil wird eine Feinfühligkeit zugeschrieben, die für das Berufsbild untypisch erscheint“ (Lang 2001, S. 125). Auch auf der Londoner Version zeigt das Gesicht des Henkers eine unerwartete Betrübnis. In beiden Fällen werden die Scharfrichter auf diese Weise moralisch entlastet. Der ausgestreckte, in Verkürzung wiedergegebene rechte Arm des Londoner Henkers dient darüber hinaus als sprechende Geste: „to defer und assign blame“ (Cassani/Sapia 2012, S. 132).
Etwas tiefer im Bild hat Caravaggio noch eine alte Dienerin platziert, von der nur der Kopf zu sehen ist. Sie trägt ein weißes Kopftuch und starrt über Salomes Schulter hinweg gleichfalls auf das abgeschlagene Haupt. Die lederartige Haut ihres Gesichts ist von tiefen Falten durchzogen und betont im Kontrast die jugendliche Schönheit der Salome – verweist gleichzeitig aber auch auf die Vergänglichkeit weiblicher Reize. Auch die Dienerin scheint das grausige Geschehen zu berühren: Ohne dass deutliche Gesten dies zeigen, spiegeln die Dienerin wie der Henker die Willkur dieser Hinrichtung. In der Londoner Version deutet sich das Mitgefühl der Alten auch dadurch an, dass Caravaggio wie schon bei Salome und dem Henker ihren Kopf und das Haupt des Täufers parallelisiert. Dicht zusammengedrängt, jedoch ohne zu kommunizieren, wirken die Gestalten seltsam isoliert. „Auf der linken Seite wird die Figurenkomposition durch eine vollständig schwarze Fläche begrenzt, die etwa ein Viertel des Bildes einnimmt und den Eindruck von Isolation und Sprachlosigkeit machtvoll verstärkt“ (Schütze 2009, S. 282).
Caravaggio: David mit dem Haupt Goliaths (1598/99); Madrid, Museo del Prado
Manifestiert sich in diesen Gemälden eine Gewaltobsession Caravaggios, die nicht loskommt von Enthauptungen und abgeschlagenen Köpfen? Erhalten sind von dem italienischen Barockmaler eine Enthauptung des Holofernes (Rom, siehe meinen Post „Barock-Splatter“), eine Enthauptung Johannes des Täufers (siehe meinen Post „Ein Tod ohne jeden Märtyrerglanz“), drei David mit dem Haupt Goliaths (Madrid, Wien, Rom; siehe meinen Post Der Quentin Tarantino der Barockmalerei), ein Medusenhaupt (Florenz, siehe meinen Post Wenn Blicke töten können) und unsere beiden Salome mit dem Haupt des Täufers. Zudem hat eine Radiografie gezeigt, dass im Begräbnis der hl. Lucia die Märtyrerin ursprünglich enthauptet und der abgetrennte Kopf zum Rumpf gelegt war. Ohne Zweifel kann man davon ausgehen, dass Caravaggio dieses Motiv in besonderer Weise faszinierte. Allerdings sind abgeschlagene Köpfe überhaupt ein weit verbreiteter Bildgegenstand in der Malerei des 17. Jahrhunderts gewesen. Sie waren auch aufgrund der öffentlichen Hinrichtungspraxis alles andere als ein seltener Anblick.
Caravaggio: Geißelung Christi (1606/07); Rouen, Musée des Beaux-Arts
Auf das Modell für den Henker hat Caravaggio übrigens noch in zwei anderen Gemälden zurückgegriffen, und zwar für einen der Folterknechte in den beiden Fassungen der Geißelung Christi, die um 1606/1607 entstanden sind (siehe meinen Post In der Hand der Folterknechte“).
Caravaggio: Geißelung Christi (1606/07); Neapel, Museo Nazionale di Capodimonte
Caravaggio, wie sich der lombardische Maurersohn Michelangelo Merisi nach dem Herkunftsort seiner Familie nannte, gilt als einer der Gründerväter der Barockmalerei. Seine wichtigste Erfindung, die ihn zu einem der einflussreichsten Künstler der europäischen Kunstgeschichte machte, ist die Helldunkel-Dramaturgie: Schräg und streuungsfrei einfallendes Licht betont vor allem die Körperlichkeit seiner Figuren – Muskeln, Haut, Falten, Blut – und belässt große Partien des Bildes im Schatten. Aus dem Dunkel tauchen Gesichter und Gesten der oft dichtgedrängten Gestalten wie Sandbänke auf – man spricht auch vom „Schlag- bzw. Scheinwerferlicht“ Caravaggios.
Antiveduto della Grammatica: Salome empfängt das Haupt des Johannes (um 1616);
Aschaffenburg, Staatsgalerie im Schloss Johannisburg
Eine sich eng an Caravaggios Salome anlehnende Fassung des Themas befindet sich im Aschaffenburger Schloss Johannisburg: Sie stammt von dem italienischen Maler Antiveduto della Grammatica (1570–1626). Um 1593 hatten sich die beiden Künstler kennengelernt; der gerade in Rom angekommene Caravaggio arbeitete in Anivedutos Atelier und beeinflusste dessen Malstil mit seinem Verismus offensichlich nachhaltig.


Literaturhinweise
Cassani, Silvia/Sapio, Maria (Hrsg.): Caravaggio. The Final Years. Electa Napoli, Neapel 2005, S. 130-133;
Lang, Walther K.: Grausame Bilder. Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001, S. 121-126;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2009, S. 281-283.

(zuletzt bearbeitet am 8. März 2023) 

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