Montag, 30. März 2020

Schutz vor schlimmem Tod – Albrecht Dürers „Christophorus“-Grafiken

Albrecht Dürer: Christophorus (1521); Kupferstich
(für die Großansicht einfach anklicken)
Mit dem hl. Christophorus hat sich Albrecht Dürer (1471–1528) mehrfach auseinandergesetzt, besonders im Jahr 1521, als er nicht weniger als 13 Christophorus-Figuren zeichnete und zwei Kupferstiche gleichen Themas anfertigte – einen nach rechts blickenden Christophorus und einen mit zurückgewandtem Kopf.
Die Legende erzählt, dass Reprobus, ein Mann aus Kanaan von riesiger Körpergröße, nur dem Mächtigsten im Land dienen will. Er folgt dem Vorschlag eines Eremiten, allein auf Christus zu hören und den Menschen bei der Überquerung eines gefährlichen Flusses zu helfen. Als er eines Tages ein Kind übersetzt, muss er erstaunt feststellen, dass dessen wachsendes Gewicht seine Kräfte übersteigt. Nur mit Mühe erreicht er das andere Ufer, wo sich das Kind als Christus zu erkennen gibt. Diesem Ereignis verdankt der Helfer der Reisenden seinen neuen, mit der Taufe erworbenen Namen Christophorus, d. h. Christusträger.
Albrecht Dürer: Christophorus (1521); Kupferstich
(für die Großansicht einfach anklicken)
Auf seinem Kupferstich mit dem nach rechts blickenden Christophorus (11,7 x 7,4 cm) setzt Dürer den Heiligen blattfüllend in ein Hochformat: Der Stab und der Kopf Christi berühren beinahe den oberen Bildrand. Im Vordergrund sind zwei Steine platziert, die die Ecken des Bildrechtecks betonen: Während der eine im Wasser liegt, befindet sich der andere am Ufer und trägt Dürers Monogramm und die Jahreszahl „1521“. Die Haltung des Hünen ist gebeugt unter der überraschend schweren Last des Kindes, und deshalb stützt er sich mit festem Griff beider Hände auf seinen robusten Stab. Die körperliche Anstrengung spiegelt sich auch auf dem bärtigen Gesicht. Noch ahnt Reprobus nicht, wen er da auf seinen Schultern trägt, auch den Segensgestus des Jesuskindes nimmt er nicht wahr, dessen hell strahlender Kreuznimbus vor dem Nachthimmel aufleuchet.
Um seine Kleidung vor dem etwas mehr als kniehohem Wasser zu schützen, hat Reprobus seinen Umhang über die Armbeuge gelegt. Einen Zipfel davon weht es nach rechts: Zeichen dafür, dass ein kräftiger Wind bläst. Rings um die Beine des Heiligen und dort, wo die Stange ins Wasser taucht, bilden sich deutliche Wellen. Sonst ist die Waserfläche allerdings so glatt, dass sich der Bewuchs des jenseitiges Ufers trotz der dunklen Nacht darin spiegelt. Dort steht der alte Einsiedler, der Reprobus bei sich aufgenommen hat, mit langem Bart auf seinen Gehstock gestützt und leuchtet mit einer Fackel in die Nacht hinein. Hinter ihm erstreckt sich eine hügelige Landschaft in die Tiefe. Links schlängelt sich ein von Bäumen und Büschen gesäumter Fahrweg in Richtung eines hochragenden Felsengebirges. Rechts schließt eine teilweise von Bäumen verdeckte Kapelle mit einem Dachreiter das Bild ab.
Warum beschäftigte sich Dürer mit diesem Thema gerade 1521 so häufig? Die naheliegende Antwort lautet: weil Christophorus ein sehr populärer Heiliger war, der vor Schiffsunglücken, Missernten, Überschwemmungen und dem „schlimmen“ bzw. „jähen“ Tod (dem Tod ohne Empfang der Sterbesakramente) bewahrte. Hatte man ein Bild des Christophorus erblickt, glaubte man, den ganzen Tag vor einem Unfalltod geschützt zu sein. Der Glaube an diese Wirkung führte zu einer regen Nachfrage nach entsprechenden Einblattdrucken. „Sie wurden als Haussegen aufgehängt, an Kirchenstühle und Opferstöcke geheftet, in Truhen und Schränke geklebt, als Schutzamulett getragen und in Bücher eingelegt“ (Doosry 2002, S. 358). Der Christophorus-Kult hatte sich deshalb vor allem entlang der bedeutenden Pilgerstraßen und Reiserouten verbreitet. Eine persönliche Verwendung seines Kupferstichs als Schutz- oder Andachtsbild liegt auch hier bei Dürer nah: Der Nürnberger Meister unternahm 1520/21 eine große Reise in die Niederlande, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch er vor seinen Bildern des schützenden Riesen um einen guten Verlauf gebeten hat. Immerhin stand Dürer vor der Vollendung seines 50. Lebensjahres und konnte damit nach den Maßstäben des 16. Jahrhunderts als alter Mann gelten. „Mit seinem Monogramm direkt neben Christophorus begibt sich Dürer in den Schutz des Heiligen und des Christusknaben“ (Preising 2004, S. 206). Möglicherweise bilden die beiden Kupferstiche von 1521 aber auch „eine Art Votivgabe Dürers als Dank für die glückliche Heimkehr von der langen Reise“ (Schneider 1999, S. 48). Der wirtschaftliche Aspekt durch den florierenden Absatz von Heiligenbildern mag im Fall der beiden Christophorus-Kupferstiche eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Die weitere Bewilligung einer jährlichen Leibrente, der ursprüngliche Grund der Niederländischen Reise, wurde im November 1520 durch Kaiser Karl V. bescheinigt. Damit musste Dürer nicht mehr um seine materielle Sicherheit im Alter bangen.
Die Verehrung des Christophorus war in der theologischen Diskussion jener Zeit nicht unumstritten: Erasmus von Rotterdam (1466–1536) hatte 1503 in seinem „Enchiridion militis Christiani“ („Handbüchlein des christlichen Streiters“) den populären Christophorus-Kult scharf gegeißelt – wer auf solche Art sein Leben zu verlängern trachte, wolle doch nur so lange wie möglich sündigen. Martin Luther wiederum nahm in seinen Tischreden eine Gegenposition ein, indem er die Christophorus-Legende allegorisch auslegte, und zwar spezifisch reformatorisch: Der wahre Christ sei wie der Christophorus, der sich durch die Wellen der Welt kämpfe, als Hilfe nur seinen Stock, der das Wort Gottes bedeute, und die Fackel des Einsiedlers, die für die Schrift der Propheten stünde. Obwohl bekannt ist, dass Dürer ein Bewunderer Luthers war und auch mehrere seiner Bücher besaß (wenn auch nicht die erst postum veröffentlichten Tischreden), so kann man doch kaum davon ausgehen, dass der Nürnberger Meister einen eher entlegenen Ausspruch Luthers vom Hörensagen kannte und in der vorliegenden Weise illustrierte.
Albrecht Dürer: Christophorus (1511); Holzschnitt (für die Großansicht anklicken)
Dürers Christophorus-Holzschnitt von 1511 ist gegenüber den beiden späteren Kupferstichen geprägt von einer klaren, fast durchsichtigen Helligkeit. Dürer setzt den hl. Christophorus hier auf die Bildmittelachse. „Unmittelbar am vorderen Bildrand platziert, erweckt er den Eindruck, als sei er im Begriff, mit dem Kind auf seinen Schultern aus dem Bild zu treten“ (Doosry 2002, S. 357). Sein aufgebauschter Mantel reicht vom linken bis beinahe zum rechten Bildrand, wo die kleine Figur des Einsiedler mit einer Laterne eingefügt ist. Auch die Längsachse des Bildquadrats wird von einem Attribut des Heiligen beherrscht: seinem langen Stab, auf den er sich stützt und der, so die Legenda aurea, grünte und blühte, nachdem ihn Christophorus auf Geheiß des Jesusknaben vor seiner Hütte in den Boden steckte. Die Schräge des Stockes wird von einem Baumstamm am jenseitigen Ufer wieder aufgenommen.
Martin Schongauer: Christophorus (um 1475), Kupferstich
(für die Großansicht einfach anklicken)
Gebeugt und gesenktem Blick durchquert die ausladende Gestalt des Hünen eine Furt. Er stemmt sich gegen den Wind, der seinen Umhang wie ein Segel bläht, den Mantel des Knaben hochwirbelt und dessen Körper entblößt. Das segnende Jesuskind blickt auf den bärtigen, alten Mann herab und hält sich an seinen Locken fest. Reprobus jedoch hat keinen Blickkontakt mit dem Knaben (ein Motiv, das Dürer von Martin Schongauer übernommen haben könnte). Seine Augen sind vielmehr fest auf den Weg durchs Wasser gerichtet, wobei seine rechte Hand das Gürtelband umklammert. Kopf- und Armhaltung der beiden nach vorn geneigten Figuren stimmen, wie auch die Faltendraperien ihrer im Wind flatternden Mäntel, nahezu überein. Auffällig ist die deutlich ins Bild gesetzte Gürteltasche: Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der sogenannten Pera, die in Verbindung mit einem Pilgerstab oder auch einer Jakobsmuschel den christlichen Pilger kennzeichnet. Das liegt nahe, weil der hl. Christophorus unter anderem auch der Schutzpatron der Pilger war. Der Stab des Christophorus, sein traditionelles Attribut, konnte von Wallfahrern ohnehin leicht als Pilgerstab verstanden werden.
Hans Baldung Grien: Christophorus (um 1511); Holzschnitt
Albrecht Altdorfer: Hl. Christophorus (1513); Holzschnitt
Um 1511, also in der Zeit, in der Dürer seinen nah an den Betrachter herangerückten Christophorus schuf, fertigte auch
sein früherer Werkstatt-Mitarbeiter Hans Baldung Grien (1480–1545) einen Holzschnitt mit einer bildfüllenden Figur des Heiligen. Nicht nur das zur Seite gewehte Manteltuch, sondern auch das Jesuskind dürften als Dürer-Anleihen zu sehen sein. Baldung fügt allerdings noch eine deutliche Interaktion zwischen dem Riesen und dem Kind hinzu. Dürers Bildlösung war auch der Ausgangspunkt für einen 1513 datierten Holzschnitt von Albrecht Altdorfer (um 1485–1538), auf dem der Künstler die übermenschlichen Anstrengungen des Heiligen noch deutlicher betont: Den Oberkörper stark gekrümmt, muss Reprobus sich mit beiden Riesenpranken an seinen Stab klammern und scheint dabei regelrecht im Wasser zu versinken. Christus sitzt rittlings im Nacken seines Helfers und greift in dessen Haar: Anders als bei Dürer meint man hier fast, der Bändigung eines wilden, doch gutmütigen Wesens beizuwohnen (Messling 2014, S. 234).
Lucas van Leyden: Christophorus (um 1521); Kupferstich
Wahrscheinlich hat Dürers Holzschnitt dann zehn Jahre später auch den niederländischen Künstler Lucas van Leyden (1494–1533) zu seinem Christophorus-Kupferstich inspiriert. Auch hier watet der bärtige Riese, gebeugt von seiner Last, durch knietiefes Wasser, und auch bei van Leyden flattern die Umhänge der beiden Gestalten im Wind. Christophorus hat seine Hosenbeine hochgekrempelt; auf seinen Schultern kauert das Christuskind im Kniestand und hält sich mit der rechten Hand am Kopf seines Fergen fest, während es mit der Linken eine Weltkugel mit Kreuz umklammert. Sein Haupt wird von einem Nimbus umfangen, der taghell vor dem dunklen Nachthimmel aufleuchtet; im Hintergrund ist eine Berglandschaft angedeutet.

Literaturhinweise
Doosry, Yasmin: Der heilige Christophorus. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte. Prestel Verlag, München 2002, S. 357-359;
Fuhrmann, Horst: Bilder für einen guten Tod. Verlag der Akademie der Bayerischen Wissenschaften, München 1997;
Kuder, Ulrich/Luckow, Dirk (Hrsg.): Des Menschen Gemüt ist wandelbar. Druckgrafik der Dürerzeit. Kunsthalle zu Kiel, Kiel 2004, S. 196;
Messling, Guido: Weltenlast, Naturgewalten: Bilder des Hl. Chrostophorus. In: Stefan Roller/ Jochen Sander (Hrsg.), Fantastische Welten. Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500. Hirmer Verlag, München 2014, S. 233-237;
Preising, Dagmar u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Apelles des Schwarz-Weiß. Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen 2004, S. 203-206;
Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Himmel und Erde. Gottes- und Menschenbild in Dürers druckgraphischem Werk. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1999, S. 48;
Unverfehrt, Gerd (Hrsg.): Dürers Dinge. Einblattgraphik und Buchillustrationen Albrecht Dürers aus dem Besitz der Georg-August-Universität Göttingen. Kunstsammlung der Universität Göttingen 1997, S. 264-268.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen