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Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald (1809/10); Berlin, Alte Nationalgalerie (für die Großansicht einfach anklicken)
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In den
Jahrzehnten nach dem Tod des Landschaftsmalers Caspar David Friedrich
(1777–1840) wurde seine Abtei im Eichwald
immer wieder als Hauptwerk des Künstlers bezeichnet. Wenn man Friedrich in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überhaupt noch kannte, dann weitgehend
aufgrund dieses Bildes. Der Maler hatte es zusammen mit dem Mönch am Meer
(siehe meinen Post „Eisiges Schweigen“) Ende September 1810 verspätet auf die
Berliner Akademieausstellung geschickt, wo die beiden Gemälde übereinander
gehängt waren: oben der Mönch, unten
die Abtei. Das Bilderpaar erregte in
der Ausstellung großes Aufsehen und wurde von König Friedrich Wilhelm III.
erworben.
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Caspar David Friedrich: Mönch am Meer (1809/10); Berlin, Alte Nationalgalerie
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Sechs Mönche tragen einen Sarg durch
das auffällig große Portal einer gotischen Kirchenruine, in das ein Kruzifix
eingesetzt ist. Hinter ihnen folgen weitere acht Mönche in Zweiergruppen; der
Zug bewegt sich an einem offenen Grab vorbei, das zu einem alten und verfallenen
Friedhof gehört. Links und rechts des Kruzifixes nimmt man das Leuchten von
Altarkerzen wahr. Eine feierliche Symmetrie bestimmt den Bildaufbau, trotz des
bizarren Astwerks der kahlen Eichen. Diese bilden mit der Architektur eine Art
Schranke, die den Vordergrund geradezu abschließt. Dahinter steigt eine
geheimnisvolle, grau-braune Nebelwand auf; am darüber liegenden Himmel, vom
Abendglanz erleuchtet, ist ein zunehmender Mond sichtbar.
Friedrich hat sich in einem Brief selbst
zu seinem Bild geäußert: „Jezt arbeite ich an einem grossen Bilde, worin ich
das Geheimnis des Grabes, und der Zukunft darzustellen gedenke. Was nur im
Glauben gesehn, und erkannt werden kann, und dem endlichen Wissen des Menschen
ewig ein Rätsel bleiben wird: (mir selbst ist was ich darstellen will, und wie
ich es darstellen will, auf gewisse Weise ein Räthsel) Unter, mit Schnee bedekten
Grabmälern, und Grabhügeln, stehen die Überreste, einer gothischen Kirche,
umgeben von uralten Eichen. Die Sonne ist untergegangen, und in der Dämmerung
leuchtet über den Trümmern stehent, der Abendstern und des Mondes Viertel.
Diker Nebel dekt die Erde, und wärent man den obern Theil des Gemäuers noch
deutlich sieht, werden nach unten, immer ungewisser, und unbestimmter die
Formen, bis endlich sich alles, je näher der Erde, im Nebel Verliehrt. Die
Eichen streken nach oben die Arme aus dem Nebel, währent sie unten schon ganz
verschwunden“ (Scholl 2004, S. 90).
Auf der Mittelachse des Bildes sind unmittelbar
übereinander das leere Grab, das Portal mit dem Kruzifix, der durch die Tür
getragene Sarg, die Altarleuchter sowie das pfeilartig nach oben weisende
Kirchenfenster angeordnet. Dabei markiert das Kruzifix in zweifacher Hinsicht
einen Durchgang: Unter den ausgebreiteten Armen des Gekreuzigten wird der Sarg
in die Kirche hineingetragen. Offensichtlich wird im Innenraum eine Trauerfeier
abgehalten werden, während das eigentliche Grab vor der Kirche liegt – es ist
offensichtlich nicht die endgültige Ruhestätte des Verstorbenen. Durch die Zentrierung
der wesentlichen Bildgegenstände ergibt sich eine Blickpassage, die sich vom
Grab im Vordergrund über das Kruzifix und das Fenster in den Himmel erstreckt,
obwohl sich jedes dieser Elemente räumlich auf einer anderen Ebene befindet. Der
Weg in den Himmel führt über das Kreuz, so lässt sich die Bildaussage
zusammenfassen. „Dem christlichen Glauben des Künstlers entsprechend ist der im
Kruzifix repräsentierte Erlösungstod Christi der Garant für ein Leben nach dem
Tode“, folgert Christian Scholl (Scholl 2004, S. 92) und schließt sich damit
der Sicht des Friedrich-Forschers Helmut Börsch-Supan an. Im Zusammenhang mit
der Abtei im Eichwald wird daher auch
oft ein Gedicht des Künstlers zitiert, in dem sich dessen gläubige
Jenseitshoffnung unmissverständlich ausdrückt:
„Dunkelheit decket
die Erde
Ungewiß ist aller
Wissen doch nur
Es leuchtet im Abend
der Himmel
Klarheit strahlt von
oben.
Sinnet und grübelt,
wie ihr auch wollt
Geheimnis bleibt auch
ewig der Tod,
Aber Glaube und Liebe
sieht
Freude und Licht
jenseits dem Grabe.“
(Hinz 1984, S. 79)
Friedrich hat wie so oft in seinen
Gemälden auch in der Abtei im Eichwald
zwei Bildschichten streng voneinander getrennt. Der Vordergrund erweist sich als
einheitlich düstere Grenzzone der Vergänglichkeit und des Todes: eine dunkle
frostige Winterlandschaft, die mit Vanitas-Symbolen wie Grabsteinen und
-kreuzen, abgestorbenen Sträuchern und verkrüppelten Bäumen besetzt ist. Auch
der Kirchbau als Menschenwerk hat letztlich keinen Bestand. Börsch-Supan hat die
Eichen als Sinnbilder einer heidnischen Götterwelt und Lebensauffassung
gedeutet, die angesichts des Todes in Verzweiflung erstarrt. Eichen erscheinen
in Friedrichs Bildern oft in Verbindung mit Hünengräbern, so z. B. im Dresdener Hünengrab im Schnee.
Ebenso steht die gotische Ruine für die mittelalterliche, endgültig vergangene
Frömmigkeit: Sie muss ersetzt werden durch eine neue Art der Jenseitserwartung,
die auf das vertraut, was „nur im Glauben gesehn, und erkannt werden kann“.
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Caspar David Friedrich: Hünengrab im Schnee (1807), Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister
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Gegen die
gespenstische Unruhe der Eichen mit ihrem wilden Wuchs setzt Friedrich den
gemessenen Rhythmus des Leichenzuges. Auffällig ist, dass der Sarg gerade nicht
zu Grabe getragen wird, sondern unter dem Kreuz hindurch in den nicht näher
erkennbaren Hintergrund hinein, dem anbrechenden Tag entgegen. Diese Lichtzone
erfasst sowohl den oberen Teil der Kirchenruine mit dem Maßwerkfenster wie auch
den oberen Teil der umstehenden Bäume – es ist der Auferstehungsmorgen. Die
Sichel des zunehmenden Mondes verwendet Friedrich, so Börsch-Supan, als Symbol
für den Gottessohn: Er ist das Licht, das die Nacht des Todes erhellt. Die
volle Scheibe zeichnet sich bereits als Verheißung einer helleren Zukunft im
ewigen Reich Gottes ab. |
Caspar David Friedrich: Ruine Eldena mit Begräbnis (1801); Dresden, Kupferstich-Kabinett
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Jacob van Ruisdael: Der Judenfriedhof (um 1660); Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister
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Als Vorstufe
für die Abtei im Eichwald gilt ein
Sepia-Blatt, das Friedrich um 1801 angefertigt hat: Es zeigt den Westteil der Klosterkirche
Eldena bei Greifswald. Leicht zu übersehen, weil nur sehr klein im Mittelgrund
dargestellt, ist eine Prozession mit Sarg, die durch ein Friedhofstor eintritt;
die Gruppe der Träger steht gerade in der Toröffnung, sodass sie von ihm
gerahmt scheint. Den Hügel im Vordergrund bekrönt ein Kruzifix, vor dem ein Betender
kniet. Als „entscheidende Inspirationsquelle“ für Friedrichs Gemälde verweist
Reinhard Zimmermann (Zimmermann 2000, S. 217) auf das um 1660 entstandene Bild Der Judenfriedhof von Jacob van Ruisdael
(1628–1682), das der Künstler von der Dresdener Gemäldegalerie her kannte: Wie
bei Friedrich sind hier Kirchenruine, Friedhof und abgestorbene Eichen als
Vanitas-Motive vereint.
Literaturhinweise
Börsch-Supan, Helmut: Caspar David
Friedrich. Prestel-Verlag, München 41987, S. 82-87;
Grave,
Johannes: Caspar David Friedrich. Prestel Verlag, München 2012, S. 162-169;
Hinz, Sigrid (Hrsg.): Caspar
David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen. Henschel Verlag, Berlin 1984
Scholl, Christian:
Bildobjekt und Allegorie – Caspar David Friedrichs Selbstdeutungen zu „Mönch am
Meer“, „Abtei im Eichwald“ und „Tetschener Altar“. In: Susanne H. Kolter u.a.
(Hrsg.), Forschung 107. Kunstwissenschaftliche Studien Band 1. Herbert Utz
Verlag, München 2004, S. 85-122;
Zimmermann,
Reinhard: Das Geheimnis des Grabes und der Zukunft. Caspar David Friedrichs
„Gedanken“ in den Bilderpaaren. In: Jahrbuch der Berliner Museen 42 (2000), S.
187-257.
(zuletzt bearbeitet am 21. März 2023)