Mittwoch, 6. April 2022

Selbstbewusst und seriös – Hans Holbeins englische Porträts deutscher Kaufleute

Hans Holbein d.J.: Hermann von Wedigh III: (1532);
New York, Metropolitan Museum of Art (für die Großansicht anklicken)
Dieses Porträt aus dem Metropolitan Museum in New York entstand 1532. In diesem Jahr ließ sich Hans Holbein d.J. zum zweiten Mal in England nieder. Der deutsche Maler hatte sich bereits von 1526 bis 1528 in London aufgehalten und war dann nach Basel zurückgekehrt. 1532 war es dann sein Ziel, Hofmaler Heinrich VIII. zu werden – was ihm spätestens 1536 gelang. Zunächst aber musste Holbein in London neue Auftraggeber und Förderer finden: Thomas More war im Mai 1532 wegen seines Dissenses mit dem König in der Frage der Ehescheidung von seinem Amt als Lordkanzler zurückgetreten und in Ungnade gefallen (er wurde 1535 hingerichtet); William Warham, Primas der anglikanischen Kirche, der sich von Holbein während seines ersten England-Aufenthaltes hatte malen lassen, starb 1532 (siehe meinen Post „Ein Maler empfiehlt sich“). Holbein war erfolgreich bei der Akquise: Sein neuer Kundenkreis bestand aus den wohlhabenden Mitgliedern des „Steelyard“ (oder auch „Stalhof“), der nur wenige Gehminuten von seiner Wohnung entfernt lag.

Auf dem New Yorker Porträt ist wahrscheinlich ein Angehöriger dieses Steelyard abgebildet. Steelyard war der Name der englischen Niederlassung einer aus vornehmlich deutschen Kaufleuten bestehenden Handelsorganisation, deren Geschichte auf englischem Boden bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. In Holbeins Zeit war er eine der bedeutendsten Organisationen, die dank der guten Beziehungen zu König Heinrich VIII. einen ansehnlichen politischen Einfluss besaß. Sich Kreditfähgkeit und -würdigkeit zu bewahren, war für einen Kaufmann zentral, ihr Verlust bedeutet wirtschaftlichen Ruin. Entsprechend gaben die Statuten des Steelyard einen strikten kaufmännischen Ehrenkodex vor und verlangten einen moralisch einwandfreien Lebenswandel. Das Leben der Steelyard-Kaufleute spielte sich zum größten Teil auf dem an der Themse gelegenen ummauerten Terrain ab. In diesem Bereich waren die Deutschen von der englischen Gerichtsbarkeit befreit. Hier gab es spezielle Büros, Läden und Lagerhäuser, aber auch Wohnungen, eine Herberge und einen Versammlungssaal. Holbein erhielt um 1533 den Auftrag, für diesen Saal zwei monumentale allegorische Darstellungen anzufertigen („Triumph des Reichtums“ und „Triumph der Armut“), die allerdings verlorengingen. Sie sind aber in Entwürfen und mehreren Kopien überliefert.

Hans Holbein d.J.: Georg Gisze (1532); Berlin, Gemäldegalerie
(für die Großansicht anklicken)

Beinahe alle Holbein-Porträts der Steelyard-Mitglieder stammen aus den Jahren 1532 und 1533. Das bekannteste von ihnen ist das 1532 entstandene Bildnis des Georg Gisze in Berlin: Es ist nicht nur vom Format her das größte von allen, sondern auch das konzeptionell ehrgeizigste. Die Identität des 29-jährigen Mannes auf dem Gemälde aus dem Metropolitan Museum, ebenfalls 1532 angefertigt, konnte über die Inschrift auf dem Buchschnitt „HER (...) WID“ ermittelt werden. Diese Abkürzung verweist vermutlich auf den 1560 verstorbenen Hermann von Wedigh III., Sohn von Hermann von Wedigh II. und Barbara von der Linden. Bereits seit 1480 waren verschiedenen Mitglieder dieser Kölner Patrizierfamilie als Kaufleute im Londoner Steelyard aktiv. Nach seinem Englandaufenthalt war von Wedigh als Richter in Niederich und als Ratsherr in Köln tätig. Von Wedigh ist in Dreiviertelansicht dargestellt, sein Blick richtet sich allerdings direkt auf den Betrachter. In den ein Jahr später entstandenen Steelyard-Porträts sind die Gesichter mehr von vorn gesehen oder sogar völlig frontal angelegt. Auf diese Weise wurde der Blick noch eindringlicher. Ein derartig direkter Augenkontakt mit dem Betrachter ist charakteristisch für diese Gruppe von Holbein-Bildnissen. Auf dem Wedigh-Porträt in New York wird der forschende Blick noch zusätzlich durch die in den Augenwinkeln platzierten Pupillen verstärkt, ebenso durch die angehobene rechte Augenbraue.

Von Wedigh ist vor einem azurblauen Hintergrund als nach links gewendete Halbfigur abgebildet. Der Tisch, vor dem er sitzt, ist mit einem lindgrünen Tuch bedeckt, auf dem sein rechter Arm ruht. Der linke Arm ist so angewinkelt, dass sich beide Hände auf der Tischplatte treffen. Der Porträtierte trägt ein schwarzes Barett, dass auf der rechten Seite des Kopfes die mittelbraunen glatten Haare sehen lässt. Seine Kleidung besteht aus einer schwarzen Schaube, unter dessen breitem Kragen ein kleiner Ausschnitt des Wamses sichtbar ist. Es wird von einem in mehreren Brauntönen angelegten Pelz eingefasst und wiederholt ansonsten die Farbe der Oberbekleidung. Überzeugend ist das Spiel von Licht und Schatten auf dem glänzenden schwarzen Satinmantel wiedergegeben, dessen Farbigkeit von einem tiefen Schwarz bis ins Grau changiert. Im Halsbereich sieht man das fein plissierte Hemd mit seiner Ton-in-Ton-Stickerei und einem leicht gekräuselten Kragen, der von einigen Schnüren zusammengehalten wird.

In seiner Linken hält der junge von Wedigh III. ein Paar Handschuhe aus braunem Leder; die Hand wird von der vor ihr liegenden Rechten zum Großteil verdeckt. Am linken Zeigefinger ist dennoch gut sichtbar ein braun-rot-goldener Siegelring angebracht, dessen Wappen drei blassgrüne Lindenblätter auf weißem Grund zwischen den Winkeln eines schwarzen Sparrens zeigen. Links von der Halbfigur befindet sich ein in dunkelbraunes Leder eingebundenes Buch, das etwas über den Tischrand hinausragt. Auf dem Einband, der von zwei goldglänzenden Schnallen zusammengehalten wird (die obere geöffnet), sind die Buchstaben „H H.“ eingeprägt. Zwischen den Versalien auf dem seitlichen Buchschnitt ist ein als Wappen eingefasstes, einem „W“ ähnelndes Zeichen zu erkennen; der obere Buchschnitt zeigt eine verschlungene Kordel. Dort ragt zwischen den Seiten ein Stück Papier hervor, auf dem in Schreibschrift „Veritas odium parit : ~“ zu lesen ist („Die Wahrheit erzeugt Hass“).

Es handelt sich um ein Zitat, das sich sowohl im Werk des Renaissancedichters Pietro Aretino (1492–1556) als auch bei dem römischen Schriftsteller Terenz findet und um 1500 in humanistischen Kreisen weit verbreitet war. Quentin Buvelot hat erwogen, ob der „Hass“ auf „das als Folge der Reformation sehr turbulente politische und religiöse Klima“ (Buvelot 2013, S. 82) hinweisen könnte, in dem man zur Bibel als Quelle des wahren Glaubens zurückkehren wollte. Entsprechend vermutet er in dem Buch, das neben von Wedighs Arm liegt, eine kleine Heilige Schrift. Eine weitere Inschrift ist auf dem nicht näher bestimmten Hintergrund des Porträts angebracht. Die goldene Antiqua hebt sich von dem kräftigen Blauton ab, wobei die Buchstaben in Höhe der Lippen des Dargestellten verlaufen. Sie zeigen an, wann das Gemälde entstanden und wie alt von Wedigh ist: „ANNO.1532. AETATIS. SUAE. 29.“. Die vergoldete Aufschrift mit der Altersangabe und einer Jahreszahl scheint Holbein hier zum ersten Mal verwendet zu haben. Mit der Einführung dieses Bildmotivs vereinfachte Holbein den Hintergrund seiner Porträts deutlich. Die auf älteren Bildnissen zu findenden Weinranken oder Vorhänge verwendete er danach nur noch sporadisch.

Dass es sich bei diesem Porträt um ein augesprochenes Steelyard-Bildnis handelt, ist zuletzt von Katrin Petter-Wahnschaffe angezweifelt worden. Nichts verweise bei dieser Darstellung auf einen Kaufmann, man vermisse das charakteristische Briefmotiv mit den Namens- und Adressangaben – Details, die auch die gleichzeitig entstandenen Gemälde auszeichnen; ebenso fehlten die für die Steelyard-Porträts typischen stolzen Hinweise auf Beruf und Wirkungsort in Form von Inschriften. Auch die Tatsache, dass das Von-Wedigh-Bildnis 20 cm kleiner sei (42,2 x 32,4 cm) als die gesicherten Steelyard-Bildnisse, „deutet eine Entstehung für private Zwecke an“ (Petter-Wahnschaffe 2010, S. 86).

Hans Holbein d.J.: Hermann Hillebrandt von Wedigh (1533),
Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht anklicken)
Holbein porträtierte 1533 erneut ein Mitglied der Familie von Wedigh, das Gemälde befindet sich heute in Berlin. Der 39-jährige Mann trägt wie Hermann von Wedigh III. einen Siegelring mit dem Wappen der von Wedighs. Man nimmt an, dass es sich um Hermann Hillebrandt von Wedigh handelt, der aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls dem Steelyard angehörte. Das Brustbild zeigt ihn vor einem einfarbig, leichtend blauen Hintergrund. Hermann Hillebrandt ist streng frontal wiedergegeben und blickt den Betrachter direkt an. Auffällig ist die Augenpartie des Mannes, denn sein rechtes Auge ist deutlich größer als das linke, was durch die hochgezogene Braue noch unterstrichen wird.

Der Porträtierte trägt ein schief sitzendes Barett und einen schwarzen, weit fallenden Umhang, der in viele Falten gelegt ist und den er über die Schulter geschlagen hat. Im oberen Brustbereich wird ein Stück des schwarzen Wamses sichtbar, darunter ein fein plissiertes, von zwei Schnüren zusammengehaltenes Hemd mit schmaler Zierborte. Die durch Kleidung und das begrenzte Format gedrungen und mächtig wirkende Gestalt nimmt einen Großteil der Bildfläche ein. Unvermittelt tauchen die drei mittleren Finger der rechten Hand und ein Stück des Daumens aus dem Mantelumschlag auf. Die vollständig wiedergegebene linke Hand hält ein Paar hellbrauner Lederhandschuhe, an ihrem Zeigefinger steckt ein rot-goldener Siegelring. Auch hier verläuft in Lippenhöhe eine Inschrift in Goldbuchstaben, die ein Gegengewicht zur vertikalen Ausrichtung der Figur bildet: „ANNO 1533 AETATIS SUAE 39“. Der zurückhaltenden Komposition entsprechen das geringe Bildformat (42,1 x 32,6 cm) und die Reduzierung auf vier Farbtöne: Schwarz und Weiß für die Bekleidung, Blau für den Hintergrund und ein vielfältig nuanciertes Beigebraun für das Inkarnat.

 

Literaturhinweise

Buvelot, Quentin: Hermann von Wedigh III. (um 1503–1560), 1532. In: Hans Holbein der Jüngere: 1497/98–1543. Porträtist der Renaissance. Besler Verlag, Stutgart 2013, S. 80-82;

Foister, Susan: Holbein in England. Tate Publishing, London 2006, S. 64;

Petter-Wahnschaffe, Katrin: Hans Holbein und der Stalhof in London. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2010.


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