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Giambologna: Samson erschlägt einen Philister (um 1562, Marmor), London, Victoria & Albert Museum |
Freitag, 26. Oktober 2012
Robert Graves: Zorniger Simson
Dienstag, 23. Oktober 2012
Paulus am Boden – Caravaggio in der Cerasi-Kapelle von Santa Maria del Popolo (1)
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Die Bekehrung des Paulus (2. Fassung, um 1604); Rom, Santa Maria del Popolo, |
Zwischen Juli 1599 und Juli 1600 malte Caravaggio für die Seitenwände der Contarelli-Kapelli in San Luigi dei Francesi (Rom) Die Berufung des Matthäus (siehe meinen Post „Heimgeleuchtet“) und Das Martyrium des Matthäus (siehe meinen Post „Mord am Altar“) – zwei Gemälde, die ihn mit einem Schlag berühmt machten. Kaum hatte Caravaggio diesen ersten großen Auftrag beendet, als im September 1600 ein neuer Vertrag für ein öffentlich zugängliches Werk mit ihm abgeschlossen wurde. Für die Familienkapelle des Tiberio Cerasi, Schatzmeister von Papst Clemens VII., sollte er in Santa Maria del Popolo erneut zwei Wandgemälde ausführen: eine Bekehrung des Paulus und eine Kreuzigung Petri. Für das Altarbild mit der Himmelfahrt Mariens und die Deckenfresken wurde Annibale Carracci verpflichtet. Die Kirche befindet sich am stadtauswärts gelegenen Ende der Piazza del Popolo. Die relativ schmale und langgestreckte Cerasi-Kapelle liegt im linken Querschiff auf der rechten Seite.
Zunächst fertigte Caravaggio zwei Gemälde auf Holz an (so war es im Vertrag vorgesehen), die jedoch niemals in der Kapelle angebracht wurden. Eines davon, Die Bekehrung des Paulus (Apostelgeschichte 9,1-22), befindet sich heute in der römischen Privatsammlung Odescalchi. Caravaggio hat hier eine eng gedrängte Figurengruppe in eine landschaftliche Szenerie gesetzt (eine der wenigen, die er überhaupt gemalt hat). Die Macht des gleißenden Lichts hat Paulus zu Boden gerissen, schützend hält er sich beide Hände vor die Augen. Von rechts oben schwebt die von einem Engel begleitete Gestalt Christi mit ausgestreckten Armen auf ihn zu; „a gesture of acceptance and exhortation rather than a reprimand against the former persecutor of Christians“ (Pericolo 2011, S. 249). Ungewöhnlich an Caravaggios Gemälde ist nicht, dass Christus im Bild erscheint, „sondern vielmehr seine physische Präsenz, die unmittelbare, jede Trennung zwischen himmlischer und irdischer Sphäre negierende Interaktion“ (Schütze 2009, S. 110).
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Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (2. Fassung, um 1600/01); Rom, Sammlung Odescalchi (für die Großansicht einfach anklicken) |
Es ist eine unübersichtliche Komposition, aber Jutta Held vermutet, dass weniger ästhetische als theologische Bedenken ausschlaggebend für die Ablehnung des Bildes waren, nämlich die „respektlose Nähe, in die Caravaggio den römischen Krieger zu Christus im Himmel gesetzt hat, der sich sogar anschickt, mit Schild und Lanze gegen die Himmelserscheinung vorzugehen; ferner die heftige Geste, mit der Paulus den Anruf Christi abwehrt“ (Held 2007, S. 98). Der Widerstand des Paulus gegen die göttliche Gnade sei wohl „allzu entschieden“ ausgefallen; für den Gründungsapostel der katholischen Kirche habe man wahrscheinlich eine deutlichere Bejahung seiner Mission erwartet.
Sybille Ebert-Schifferer
hält es für wahrscheinlicher, dass die Raumsituation in der Kapelle Caravaggio
dazu bewog, eine zweite Fassung der Bekehrung des Paulus anzufertigen.
Details des ersten Bildes wie die akribisch gemalten Pflanzen oder die ferne
Landschaft im Morgenlicht seien nur aus der Nähe zu goutieren. „Den
Zusammenhang der Komposition wahrzunehmen, gelingt allerdings erst aus einer
Entfernung, welche die Enge der Kapelle nicht gestattet; angesichts der Höhe
der Anbringung hätte der Betrachter kaum mehr als die Figur des Saulus gut
sehen können“ (Ebert-Schifferer 2009, S. 137).
Sebastian Schütze bietet noch eine weitere Erklärung für Caravaggios Neufassung:
Die erste Version seines Bildes sei offensichtlich für die linke Seitenwand der
Kapelle bestimmt gewesen. „Darauf weisen unmissverständlich die Komposition und
die Lichtführung ebenso wie die sich von rechts oben nach links unten
entwickelnde Narration hin“ (Schütze 2009, S. 110). Nur auf der linken
Seitenwand hätte das Gemälde den Darstellungskonventionen eines Sakralraums
entsprochen. Christus hätte sich dann, entlang der vom göttlichen Licht
betonten Diagonalen, aus der himmlischen Sphäre und vom Altar her kommend auf
den in Richtung Kirchenraum zurückweichenden Paulus zubewegt. „Da es im
päpstlichen Rom, zumal in der Kapelle des päpstlichen Schatzmeisters, zwingend
erscheinen musste, dem heiligen Petrus die hierarchisch höher stehende
Evangelienseite zuzuweisen, verständigten sich Caravaggio und seine
Auftraggeber auf die Ausführung der zweiten Fassungen, zumal der Maler
vielleicht bereits einen Käufer für die ersten Bilder in Aussicht hatte“
(Schütze 2009, S. 110).
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Raffael: Bekehrung des Paulus, Wandteppich; Kartons von Raffael (1516/16), Teppich von Pieter van Aelst (1517/19); Rom, Vatikanische Museen |
Für die erste Fassung der Bekehrung des Paulus hat sich Caravaggio unter Umständen von einem Teppichentwurf Raffaels anregen lassen. Die Haltung des am Boden liegenden Paulus und die von Christus sind vergleichbar; „Caravaggio took up the attitude of Raphael’s Saul by turning it nearly upside down, and by inverting the posture of his legs: the right stretched, the left bent, with which a fallen sword also happens to rhyme in the tapestry“ (Pericolo 2011, S. 258). Raffaels Paulus akzeptiert jedoch ergeben den göttlichen Anruf, zudem erscheint die himmlische Gruppe in weit größerem Abstand.
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Die Cerasi-Kapelle in Santa Maria del Popolo: links Caravaggios Kreuzigung Petri, rechts seine Bekehrung des Paulus; das Altarbild stammt von Annibale Carracci |
Paulus wird von Caravaggio nun erheblich jünger, bartlos und in kühner Verkürzung wiedergegeben. Statt des edlen, sich aufbäumenden Schimmels hat er ein schweres, geschecktes Pferd mit gesenktem Kopf gemalt, das fast vollständig die obere Bildhälfte einnimmt. Es hebt ruhig und behutsam den Huf, um seinen Herrn nicht zu verletzen. Aus dem kampfbereiten greisen Soldaten mit dem Halbmond auf seinem Schild – wir befinden uns ja in der Nähe von Damaskus! – wird ein einfacher, unbeteiligt wirkender alter Mann mit bloßen Beinen, der das Pferd am Zaumzeug führt und ihm beruhigend die Hand auf die Nüstern legt. Caravaggio verlegt das Geschehen von der Landschaft in einen Stall – das Ross ist noch gar nicht gesattelt. Auch Pferd und Reitknecht werden von dem Licht gestreift, sind also von dem Gnadenereignis nicht ausgeschlossen. Für den perspektivisch von schräg rückwärts gesehenen Gaul hat Caravaggio übrigens auf Albrecht Dürers Kupferstich Das Große Pferd von 1505 zurückgegriffen (siehe meinen Post „Dürers Pferde“).
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Albrecht Dürer: Das Große Pferd (1505); Kupferstich |
In der ersten Fassung hatte die Wucht des Ereignisses noch einen ganzen Ast abbrechen lassen. Panik und Schrecken sind jetzt einer mystischen Stimmung gewichen. „Turning his back on the tumult and drama conventionally associated with Paul’s conversion, Caravaggio created a picture of unprecedented calm and strange stillness“ (Jansson 2013, S. 121). Vor allem aber ist die Figur Christi verschwunden. Seine Nähe und die Wirkung seiner Worte („Saul, Saul, was verfolgst du mich?“, Apostelgeschichte 9,4; LUT) werden nur durch das dramatisch einfallende Licht veranschaulicht. Was hier Bedeutsames passiert, spielt sich allein in Paulus ab. So viel steht fest: Die temporäre Erblindung steht sinnbildlich für seine frühere spirituelle Blindheit. Aber als Betrachter können wir nur ahnen, was in dem Apostel vor sich geht: Es ist ein „Sehen bei gleichzeitiger physischer Blindheit“ (Oy-Marra 2013, S. 295).
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Für Caravaggio-Fans ein Must: Santa Maria del Popolo in Rom |
Wohl kein Maler vor Caravaggio und zu seiner Zeit hat die religiöse Erweckung „derart radikal als ein subjektives, inkommensurables, empirisch nicht faßbares Geschehen gedeutet, das lediglich den einzelnen betrifft“ (Held 2007, S. 101). In Raffaels Wandteppich liegt der Bekehrte zwar ebenfalls am Boden, wendet sich aber mit vollem Bewusstsein der himmlischen Erscheinung zu. Damit verdeutlicht er seine innere Zustimmung zur Berufung durch Christus. Dass der Mensch sich frei entscheiden kann, war für die Humanisten der Renaissance von größter Bedeutung, damit begründeten sie seine besondere Würde. Caravaggio dagegen betont die Ergebenheit des von Gott überwältigten und erwählten Paulus, der die himmlische Gnade mit ausgestreckten Armen empfängt. Der freie Wille und die eigene Entscheidung spielen bei dieser Bekehrung keine Rolle.
Literaturhinweise
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der
Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009;
Goez, Werner: Caravaggio: vier umstrittene Bilder eines umstrittenen
Malers. In: Karl Möseneder (Hrsg.), Streit um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp. Dietrich Reimer
Verlag, Berlin 1997, S. 119-140;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper.
Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage);
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London 1983, S. 121-132;
Jansson, Peter: Some reflections on Caravaggio’s Religious Art Based on
The Conversion of St Paul and The Crucifixion of St Peter. In: Maj-Britt
Andersson (Hrsg.), New Caravaggio. Papers presented at the international
conferences in Uppsala and Rome 2013. Edizioni
Polistampa, Florenz 2013;
Krüger, Klaus: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische
Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. Wilhelm Fink Verlag, München
2001, S. 273-274;
Pericolo, Lorenzo: „Completely Bereft of Action“: Narrative Blindness
and the Heroic Horse in the Cerasi Conversion of Saint Paul. In: Lorenzo
Pericolo, Caravaggio and Pictoral Narrative. Dislocating the Istoria in Early
Modern Painting. Harvey Miller
Publishers, Turnhout 2011, S. 243-263;
Oy-Marra, Elisabeth: Die Konversion des Saulus/Paulus am Beispiel
Parmigianinos, Michelangelos und Caravaggios. In: Ricarda Matheus u.a. (Hrsg.),
Barocke Bekehrungen. Konversionsszenarien im Rom der Frühen Neuzeit. transcript
Verlag, Bielefeld 2013, S. 279-299;
Racco, Tiffany A.: Darkness in a Positive Light: Negative Theology in
Caravaggio’s Conversion of Saint Paul. In: artibus et historiae 73 (2015), S.
285-298;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag,
Köln 2009, S. 105-111;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999
Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 1. März 2025)
Donnerstag, 18. Oktober 2012
Der Pinselstrich zeigt die Persönlichkeit – Rembrandts Bildnis des Jan Six (1654)
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Rembrandt: Bildnis des Jan Six (1654); Amsterdam, Six Collection (für die Großansicht einfach anklicken) |
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Frans Hals: Willem Coymans (1645); Washington D.C., National Gallery of Art |
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Rembrandt: Bildnis des Jan Six (1647); Radierung |
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Raffael: Bildnis des Baldassare Castiglione (1514/15); Paris, Louvre |
Jan Six’ salopp getragene, vor allem aber praktische Kleidung zeigt ihn als Mann, für den weniger Status als vielmehr Geist und Kultur entscheidenden Stellenwert besitzen. Denn Jan Six war begeistert von Kunst und Literatur und richtete sein Leben so ein, dass sie eine bestimmende Rolle darin spielen konnten. Auch hier ähnelt er Castigliones Idealbild eines perfekten Höflings: ein Kunstliebhaber, der mehrere Sprachen spricht, hoch gebildet und sein Leben dem Studium widmend; zugleich ein Mann von Welt und auch ein Gentleman, ebenso aber auch ein guter Soldat und Reiter. Ein entscheidendes Element in Castigliones Beschreibung bildet die ausgewogene Balance zwischen dem geistigen und dem aktiven, dem inneren und dem äußeren Leben, der vita contemplativa und der vita activa.
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Rembrandt: Aristoteles vor der Büste des Homer (1653); New York, Metropolitan Museum of Art |
Sonntag, 14. Oktober 2012
Eisiges Schweigen – Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“
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Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer (1809/10); Berlin, Alte Nationalgalerie, restauriert von 2013-2015 (für die Großansicht einfach anklicken) |
In einem Brief von vermutlich 1810 oder Anfang 1811 erklärt Friedrich zu seinem „Seestük“ genannten Bild, im Vordergrund finde sich „ein öder sandiger Strand, dann, das bewegte Meer, und so die Luft. Am Strandte geht Tiefsinnig ein Mann, im schwarzen Gewande; Möfen fliegen ängstlich schreient um ihn her, als wollten sie Ihm warnen, sich nicht auf ungestümmen Meer zu wagen. – Dies war die Beschreibung, nun kommen die Gedanken: Und sännest Du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits! Mit übermüthigen Dünkel, wennest [wähnst] du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträzlen der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klahr zu wissen und zu Verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel!“ (Zimmermann 2000, S. 213).
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„Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern.“ Blaise Pascal |
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Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald (1809/10); Berlin, Alte Nationalgalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Begemann, Christian: Brentano und Kleist vor Friedrichs Mönch am Meer. Aspekte eines Umbruchs in der Geschichte der Wahrnehmung. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 64 (1990), S. 89-145;
Börsch-Supan, Helmut: Bemerkungen zu Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 19 (1965), S. 63-76;
Brinkmann, Bodo: Zu Heinrich von Kleists „Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft“. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 44 (1981), S. 181-187;
Burwick, Roswitha: Verschiedene Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft: Arnim, Brentano, Kleist. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 107 (1988), S. 33-44;
Illies, Florian: Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023, S. 107-111;
Noll, Thomas: Die allegorische Landschaft bei Caspar David Friedrich. Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 72 (2011), S. 281-296;
Scholl, Christian: Bildobjekt und Allegorie – Caspar David Friedrichs Selbstdeutungen zu „Mönch am Meer“, „Abtei im Eichwald“ und „Tetschener Altar“. In: Susanne H. Kolter u.a. (Hrsg.), Forschung 107. Kunstwissenschaftliche Studien Band 1. Herbert Utz Verlag, München 2004, S. 85-122;
Traeger, Jörg: Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich. In: Hamburger Kunsthalle (Hrsg.), Runge. Fragen und Antworten. Ein Symposion der Hamburger Kunsthalle, Prestel-Verlag, München 1979, S. 96-114;
Zimmermann, Jörg: Bilder des Erhabenen – Zur Akualität des Diskurses über Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“. In: Wolfgang Welsch/Christine Pries (Hrsg.), Ästhetik im Widerstreit. Interventionen zum Werk von Jean-François Lyotard. VCH, Weinheim 1991, S. 107-127;
(zuletzt bearbeitet am 14. März 2024)