Albrecht Dürer: Das Große Pferd (1505); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Dürers Ausbildung im Vaterhaus und in der
Werkstatt des Malers Michael Wolgemut (1434–1519) war in hohem Maße auf Zeichnung, Grabstichel und
Buchholzschnitt ausgerichtet. Diese Tendenz wurde während seiner fünfjährigen
Wanderschaft und durch die Italienerfahrungen noch verstärkt. Die Hinwendung
zur Grafik mag darüber hinaus darin begründet liegen, „daß der Heimkehrer noch
nicht mit Gemäldeaufträgen rechnen konnte, dagegen im Reich des gedruckten
Bildes weniger oder gar keine Konkurrenz fürchten mußte“ (Rebel 1996, S. 101).
Die technische Reproduzierbarkeit – die Möglichkeit, den bearbeiteten Holzstock
oder die Kupferplatte als Druckvorlage wiederzuverwenden und damit hohe
Auflagen zu drucken – nutzte Dürer in zuvor nicht gekanntem Maß. Als Erster
führte er die Produktion von Druckgrafik im Eigenverlag ein, dem Betrieb einer
Malerwerkstatt gleichwertig. Anders als noch sein Lehrer Michael Wolgemut
stellte Dürer seine Druckgrafik auf Vorrat und nicht im Auftrag her. Das machte
ihn im Bereich dieses Mediums unabhängig von Vorgaben, wie sie ein Auftraggeber
als zahlender Kunde bei der Bestellung eines Werkes in der Regel machte.
Bereits 1497 stellte Dürer seinen ersten eigenen Kunsthändler ein, Conrad
Swytzer, der die Drucke „von einem Ort zu dem anderen und von einer stat zu der
andern“ zu höchstmöglichen Preisen feilbieten sollte.
Kupferstiche und Holzschnitte von Albrecht Dürer
sind in diesem Blog schon öfter vorgestellt worden (u. a. Vier nackte Frauen, Der verlorene Sohn bei den Schweinen, Das Meerwunder oder das Bildnis des Erasmus von Rotterdam),
und so soll es auch weitergehen, denn die Bedeutung der Dürerschen Grafik für die
europäische Kunstgeschichte kann gar nicht hoch genug angesetzt werden. Deswegen
will ich an dieser Stelle auf drei Kupferstiche Dürers mit Pferdedarstellungen eingehen. Es ist das Verdienst des Nürnberger Künstlers, die Wiedergabe von Pferden so weiterentwickelt zu haben, dass sie noch Generationen nach ihm als Vorbild diente. Dürer löst sich von der spätmittelalterlichen Formensprache, in der das Pferd meist stark stilisiert und lediglich als Standesattribut seines Reiters abgebildet wurde. Es geht ihm dabei nicht nur um Naturnähe – Dürer stellt sie als eigenständige Wesen dar und macht sie zum Ausdrucksträger: „Mit Gangart, Gestalt, Haltung und Mimik kann das Pferd eine
seelische Gemütslage zum Ausdruck bringen, wodurch das, was die
Protagonisten der Bilderzählung darstellen, fühlen oder denken, im Bild
unterstützt wird“ (Sroka 2004, S. 251).
Albrecht Dürer: Das Kleine Pferd (1505); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Den Hintergrund bildet eine wuchtige, etwas verfallene und antik anmutende Quaderarchitektur; der Blick durch einen Rundbogen fällt dort auf ein mittig platziertes, rauchendes Feuerbecken. Die Jahreszahl 1505 darüber findet ihre Entsprechung in dem bearbeiteten würfelförmigen Stein am unteren Bildrand, auf dessen hell beleuchteter Oberseite Dürer sein Monogramm gesetzt hat. Jens Sroka deutet das Motiv der rauchenden Feuerschale in Dürers Stich als „verschlüsselten Hinweis auf die Triebhaftigkeit und Wollust des Hengstes“ (Sroka 2004, S. 254). Thema des Kleinen Pferd ist für ihn die Mäßigung menschlicher Sinnlichkeit durch die Vernunft. Matthias Mende ist von dieser Interpretationslinie, die auf Erwin Panofsky zurückgeht, allerdings nicht überzeugt: „Die denkmalhafte Ruhe des Tieres widerlegt solche Gedanken. Und wie bändigt der Kriegsmann in der Realität – ohne Halfter oder Zügel! – ein solches Tier? Ersichtlich aus freiem Willen steht es an dieser Stelle, nicht von Banden gehalten. Im Vorausblick auf Darstellungen wilder Pferde bei Hans Baldung Grien oder Sebald Beham kann animalische Sinnlichkeit nicht Thema des Dürer-Stiches B. 96 sein“ (Mende 2001, S. 71).
Mende ist der Ansicht, dass Dürer mit seinem Kleinen
Pferd das berühmteste Ross der Antike zeigen will: Bukephalos. Dieses
sagenumwobene Tier wurde von Alexander dem Großen gezähmt und als Leibpferd auf
seinen Kriegszügen geritten; Alexander könnte mit dem Ritter hinter dem Ross
gemeint sein. Möglicherweise zeigen dann sogar beide Kupferstiche das gleiche
Pferd, „einmal im Zenit seiner Lebenskraft und in größtmöglicher
Schönheit, dann mit gedunsenem Leib, knotigen Gelenken und teigigen Nüstern“
(Mende 1983). Hans Sebald Beham (1500–1550) hat das Blatt seines Lehrers
jedenfalls rund zwanzig Jahre später zitiert und mit dem erklärenden Titel „ALEXANDER
MANGNVS“ versehen. Wie unter Kunstwissenschaftlern üblich, gab es auch Einwände gegen Mendes These: „Die derbe Physiognomie und die knechtische Helmbarte, der gegenüber sogar auf das Schwert verzichtet wurde, sprechen allerdings vehement dagegen, daß hier ein König dargestellt werden sollte“ (Schauerte 2003, S. 147).
Thomas Schauerte erinnert daran, dass der Humanist Conrad Celtis Dürer Ende 1500 als „zweiten Apelles“ bezeichnet hatte. Nach Plinius d.Ä. war Apelles der berühmteste Maler der Antike. Dürer könnte nun, so Schauerte, mit seinem Kleinen Pferd auf diesen Ehrentitel reagiert haben, und zwar in einer Art Ekphrasis: „Er schuf ein verlorenes Bild des Apelles neu, das gemäß der allzeit verfügbaren Naturgeschichte des Plinius (Hist. nat. 35,96) den gerüsteten Antigonus neben seinem Pferd einherschreitend zeigte“ (Schauerte 2003, S. 148).
Das Kleine Pferd basiert auf den jahrelangen Bemühungen
Dürers, die Darstellung des Pferdes mathematisch zu konstruieren. Wahrscheinlich hat
sich Dürer um 1500 nicht nur mit der menschlichen Proportion, sondern auch mit
der des Pferdes befasst. Sein mathematisches Proportionsschema, bei dem das Tier
in die Felder eines Quadratnetzes eingefügt wird, lehnt sich an italienische
Vorbilder an (z. B. an Studien Leonardo da Vincis). Wichtige Modelle für Das Kleine Pferd fand Dürer auch in der
Tradition des Pferde- und Reiterstandbildes wie bei den Pferden von San Marco, dem
Reiterdenkmal des Gattamelata von Donatello (siehe meinen Post „Der Söldnerführer von Padua“) und des Colleoni von Andrea del Verrocchio.Thomas Schauerte erinnert daran, dass der Humanist Conrad Celtis Dürer Ende 1500 als „zweiten Apelles“ bezeichnet hatte. Nach Plinius d.Ä. war Apelles der berühmteste Maler der Antike. Dürer könnte nun, so Schauerte, mit seinem Kleinen Pferd auf diesen Ehrentitel reagiert haben, und zwar in einer Art Ekphrasis: „Er schuf ein verlorenes Bild des Apelles neu, das gemäß der allzeit verfügbaren Naturgeschichte des Plinius (Hist. nat. 35,96) den gerüsteten Antigonus neben seinem Pferd einherschreitend zeigte“ (Schauerte 2003, S. 148).
Die Quadriga von San Marco, Venedig |
Donatello: Reiterdenkmal des Condottiere Gattamelata (um 1443–1453); Padua, Piazza del Santo |
Andrea del Verrocchio: Reiterstandbild des Bartolomeo Colleoni (1480–88); Venedig, Campo Santi Giovanni e Paolo |
Das
Große Pferd (Abb. ganz oben) ist im gleichen Jahr wie Das Kleine Pferd entstanden (1505) und gilt als dessen Pendant. Die
Bildmotive entsprechen sich, doch im Gegensatz zur Profilansicht zeigt Dürer
das Tier jetzt aus dem perspektivisch anspruchsvolleren Blickwinkel von schräg
rückwärts. Seine Hinterbeine stehen erhöht, Kruppe und Hinterbacken treten so
besonders deutlich aus der Fläche. Das beschlagene Ross mit zum Knoten
gebundenem Schweif trägt ein Stallhalfter, an dem es offenbar von einem
Hellebardier mit Knieschutz und Raupenhelm gehalten wird. Hatte Dürer mit dem Kleinen Pferd „ein rassig temperamentvolles
Idealpferd orientalischen Einschlags vorgestellt, so führt er nun mit dem
stoisch gelassenen, nordalpinen Arbeitstier einen anderen Pferdetypus vor“
(Scherbaum 2000, S. 121). Die wollige Mähne, die stark behangenen Köten, die
krummen Hinterbeine und der schwere Leib verweisen darauf, dass es sich um
einen kraftstrotzenden Kaltblüter handelt. Das Ross entspricht dem typischen
Kampfpferd der damaligen Zeit und war ohne weiteres in der Lage, einen gerüsteten
Mann zu tragen.
Hans Baldung Grien: Der behexte Stallknecht (um 1534); Holzschnitt |
Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (2. Fassung, um 1604); Rom, Santa Maria del Popolo/Cerasi-Kapelle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Albrecht Dürer: Der heilige Georg zu Pferd (1505/08); Kupferstich |
Es gibt von Dürer noch einen weiteren
Kupferstich mit einer blattfüllenden Pferdedarstellung: Der heilige Georg zu
Pferd, zwischen 1505 und 1508 entstanden und kleinformatiger als die beiden
anderen Grafiken (12,6 x 8,3 cm). Das kräftige, wohlproportionierte Streitross
streckt die Hinterbeine leicht nach hinten und verlagert sein Gewicht auf die
Vorderbeine – eine gut beobachtete typische Pferdehaltung. Der Schweif ist
kupiert und in zwei Strähnen aufgebunden; hier und am Stirnschopf ist das Tier
mit Eichenlaub geschmückt. Die Sicht von hinten auf das schräg in den Raum
gestellte Pferd erinnert an das Große
Pferd; allerdings wirken hier die ausgeprägten Muskeln an der Hinter- und
Vorderhand sowie an der Brust, der Behang der Köten oder die Haare am Maul
weniger übertrieben. Dürer präsentiert das Pferd insgesamt harmonischer. Der
Ritter in Reiterharnisch und Helm des späten 15. Jahrhunderts, geschlitztem
Lederwams und Lederstulpen ist zeitgenössisch gekleidet. Der erlegte Drache
liegt zu Füßen des Pferdes; der Ritter, in andächtig-gesammelter Haltung,
blickt in die Ferne, die Strahlen um sein Haupt „künden vom dankbaren
Zwiegespräch mit Gott“ (Scherbaum 2000, S. 116).
Literaturhinweise
Eisler, Colin: Dürers Arche Noah. Tiere und Fabelwesen im Werk von Albrecht Dürer. Droemersche Verlagsanstalt, München 1996, S. 233-263; Mende, Matthias: Dürer in Dublin. Kupferstiche und Holzschnitte Albrecht Dürers aus der Chester Beatty Library. Verlag Hans Carl, Nürnberg 1983, Nr. 56;
Mende, Matthias: Bukephalos und Alexander der Große? Zur inhaltlichen Deutung von Albrecht Dürers Kupferstich „Das kleine Pferd“ (B. 96). In: Bodo Brinkmann u.a. (Hrsg.), Aus Albrecht Dürers Welt. Brepols, Turnhout 2001, S. 69-75;
Lippmann, Friedrich: Neue Forschungen über Dürer. In: Sitzungsberichte der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft Berlin 1892 (4), S. 15-17;
Rebel, Ernst: Albrecht Dürer. Maler und Humanist. C. Bertelsmann Verlag München 1996;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 147-148;
Scherbaum, Anna: Das Kleine Pferd/Das Große Pferd. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 117-122;
Sroka, Jens: Das Pferd als Metapher für menschliche Triebe bei Dürer, Baldung und Füssli. In: Katharina Corsepis u.a. (Hrsg.), Opus Tessellatum. Modi und Grenzgänge der Kunstwissenschaft. Festschrift für Peter Cornelius Claussen. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2004, S. 251-261.
(zuletzt bearbeitet am 3. August 2022)
(zuletzt bearbeitet am 3. August 2022)
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