Freitag, 12. Juni 2015

„Nimm deinen einzigen Sohn, den du lieb hast ...“ – Caravaggios „Opferung Isaaks“



Caravaggio: Opferung Isaaks (1597/98); Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken)
Caravaggios querformatiges Gemälde (104 x 135 cm) aus den Uffizien in Florenz zeigt einen der dramatischsten Augenblicke des Alten Testaments: Gott befiehlt dem greisen Abraham, seinen einzigen Sohn Isaak ins Gebirge zu führen und ihn dort zu töten – als Brandopfer (1. Mose 22). Ein ungeheuerlicher, ein monströser Befehl, eine Prüfung, die kein Vaterherz bestehen kann. Und doch gehorcht Abraham. Drei Tage ist er mit seinem Sohn unterwegs, und sie müssen entsetzlich gewesen sein für ihn. Abraham soll nicht nur das Schrecklichste tun, was einem Vater zuzumuten ist, er erhält auch keinerlei Erklärung von Gott.
Im Land Morija angekommen, errichtet Abraham auf einem der Berge einen Altar, schichtet Holz darauf, fesselt Isaak und legt ihn auf den Scheiterhaufen, um ihn mit seinem Messer zu schlachten. Das genau ist der Moment, den Caravaggio in seinem Bild von 1597/98 wiedergibt. Abraham ist als alter, kahlköpfiger Mann mit Vollbart dargestellt, er trägt ein braunes Gewand mit einem voluminösen roten Tuch um die Hüften – vielleicht ist es ein Mantel. Der Patriarch beugt sich über den Körper seines gefesselten Sohnes; mit der linken Hand hat er ihn im Nacken gepackt, um seinen Kopf auf einen Stein zu drücken, während er mit der Rechten ein Messer zückt.
Doch bevor Abraham das grausame Menschenopfer vollziehen kann, schreitet ein Engel ein. Anders als in der biblischen Erzählung ist es bei Caravaggio nicht nur die Stimme eines Engels, die Abraham Einhalt gebietet, sondern der Bote Gottes eilt selbst vom Himmel herab, um dem Greis in den Arm zu fallen. Er tritt von links hinzu, packt energisch Abrahams Hand und weist ihn auf den Widder am rechten unteren Bildrand hin. Der Engel ist im gleichen Größenmaßstab wiedergegeben wie die beiden anderen Figuren. Er begegnet Abraham praktisch „von Mensch zu Mensch“. Nur die Flügelansätze, das liebliche, idealisierte Profil und die blonden Locken künden davon, dass dieses Wesen einer anderen Ordnung entstammt als der todbange Junge und der Patriarch.
Finster entschlossen
Abraham wendet sich zu dem Engel um, der ihn so handfest bremst – und wirkt dabei eher unwillig, wenn nicht gar finster entschlossen als erleichtert: „Abraham scheint mit seinem mißtrauischen Blick sein Recht auf den eigenen Sohn verteidigen zu wollen, nicht um ihn zu schonen, sondern um ihn opfern zu können“ (Held 2007, S. 76). Der Patriarch agiert so unbeirrt, dass er den Oberkörper des Engels durch die Bewegung seines linken Arms regelrecht ins Bild hineinzieht. Entsprechend ist die Messerklinge als wichtigstes Bildmotiv inszeniert: Ihre Spitze bildet nämlich, wie Nevenka Kroschewski gezeigt hat, genau den Punkt, an dem sich der horizontale und der vertikale Goldene Schnitt treffen. 
Es gibt noch eine weitere wichtige Kompositionslinie in diesem Bild: Die lange Diagonale, die vom Arm des Engels nach unten führt, ist auf den Kopf Isaaks gerichtet – der Blick des Betrachters wird damit nicht nur auf den Widder gelenkt, der den Platz des Jungen einnehmen wird, sondern vor allem auf Isaaks Auge und Mund. In ihnen spiegelt sich sein Entsetzen; sein rechtes Auge, mit dem er uns als Betrachter regelrecht anstarrt, macht uns vom Zuschauer zum Zeugen seiner Angst und Verzweiflung. Abraham und der Engel sind in dem entscheidenden Moment der Geschichte einander zugewandt – Isaak scheint in diesem Augenblick wie vergessen zu sein. „Only we notice Isaac; his desperate adress is to us alone (...). Only we are witnesses to his sacrifice (Bernstein 2017, S. 279/280).
Hier ist einer nicht einverstanden
Caravaggio lässt keinen Zweifel an der Todesangst Isaaks. Auf vielen anderen Darstellungen der biblischen Begebenheit wirkt der Jüngling ruhig und gefasst, ergeben, gehorsam und opferbereit. Caravaggio dagegen stellt ihn als schreienden und um sein Leben bangenden Knaben dar, der nicht Heroisches an sich hat und einen höheren Sinn seines Todes nicht erkennen kann. „Diese Inszenierung des Isaakopfers kann kaum beanspruchen, im tradierten Sinne als Präfiguration Christi zu gelten“ (Held 2007, S. 74).
Caravaggio: Judith und Holofernes (1597); Rom, Galleria Nazionale dArte Antica
Caravaggio hat die biblischen Gestalten als Dreiviertelfiguren friesartig angeordnet, wie wir das z. B. auch aus seinem Bild Judith und Holofernes kennen (siehe meinen Post „Barock-Splatter“). Allerdings ist die Opferung Isaaks eines der wenigen Gemälde von ihm, das er mit einem ausgedehnten Landschaftshintergrund versehen hat (zu nennen wäre noch die erste Fassung der Bekehrung Pauli von 1600/01). Links ist der Ausblick durch dunkle Bäume im Gegenlicht verstellt; in der rechten Bildhälfte wiederum öffnet sich eine hügelige Landschaft mit Wegen (auf denen zwei winzige Wanderer zu erkennen sind), Baumgruppen und Gebäuden, durch die sich außerdem ein kleiner Fluss schlängelt.

Literaturhinweise
Ausstellungskatalog Rembrandt – Caravaggio. Rijksmuseum Amsterdam und Van Gogh Museum 24. Februar bis 18. Juni 2006, Belser Verlag, Stuttgart 2006, S. 97-103;
Bernstein, Jay M.: The Insistence of Art. Aesthetic Philosophy after Early Modernity. Fordham University Press, New York 2007, S. 272-280; 
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 1996 und 2007, S. 72-76;
Kroschweski, Nevenka: Über das allmähliche Verfertigen der Bilder. Neue Aspekte zu Caravaggio. Scaneg Verlag, München 2002, S. 122-125.

(zuletzt bearbeitet am 1. Februar 2023)

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