Caravaggio: Opferung Isaaks (1597/98); Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken) |
Caravaggios querformatiges Gemälde (104 x 135
cm) aus den Uffizien in Florenz zeigt einen der dramatischsten Augenblicke des
Alten Testaments: Gott befiehlt dem greisen Abraham, seinen einzigen Sohn Isaak
ins Gebirge zu führen und ihn dort zu töten – als Brandopfer (1. Mose 22). Ein
ungeheuerlicher, ein monströser Befehl, eine Prüfung, die kein Vaterherz
bestehen kann. Und doch gehorcht Abraham. Drei Tage ist er mit seinem Sohn
unterwegs, und sie müssen entsetzlich gewesen sein für ihn. Abraham soll nicht
nur das Schrecklichste tun, was einem Vater zuzumuten ist, er erhält auch
keinerlei Erklärung von Gott.
Im Land Morija angekommen, errichtet Abraham auf
einem der Berge einen Altar, schichtet Holz darauf, fesselt Isaak und legt ihn
auf den Scheiterhaufen, um ihn mit seinem Messer zu schlachten. Das genau ist
der Moment, den Caravaggio in seinem Bild von 1597/98 wiedergibt. Abraham ist
als alter, kahlköpfiger Mann mit Vollbart dargestellt, er trägt ein braunes
Gewand mit einem voluminösen roten Tuch um die Hüften – vielleicht ist es ein
Mantel. Der Patriarch beugt sich über den Körper seines gefesselten Sohnes; mit
der linken Hand hat er ihn im Nacken gepackt, um seinen Kopf auf einen Stein zu
drücken, während er mit der Rechten ein Messer zückt.
Doch bevor Abraham das grausame Menschenopfer
vollziehen kann, schreitet ein Engel ein. Anders als in der biblischen Erzählung
ist es bei Caravaggio nicht nur die Stimme eines Engels, die Abraham Einhalt
gebietet, sondern der Bote Gottes eilt selbst vom Himmel herab, um dem Greis in
den Arm zu fallen. Er tritt von links hinzu, packt energisch Abrahams Hand und
weist ihn auf den Widder am rechten unteren Bildrand hin. Der Engel ist im gleichen Größenmaßstab wiedergegeben wie die beiden anderen Figuren. Er begegnet Abraham praktisch „von Mensch zu Mensch“. Nur die Flügelansätze, das liebliche, idealisierte Profil und die blonden Locken künden davon, dass dieses Wesen einer anderen Ordnung entstammt als der todbange Junge und der Patriarch.
Abraham wendet sich
zu dem Engel um, der ihn so handfest bremst – und wirkt dabei eher unwillig,
wenn nicht gar finster entschlossen als erleichtert: „Abraham scheint mit seinem
mißtrauischen Blick sein Recht auf den eigenen Sohn verteidigen zu wollen,
nicht um ihn zu schonen, sondern um ihn opfern zu können“ (Held 2007, S. 76). Der
Patriarch agiert so unbeirrt, dass er den Oberkörper des Engels durch die
Bewegung seines linken Arms regelrecht ins Bild hineinzieht. Entsprechend ist
die Messerklinge als wichtigstes Bildmotiv inszeniert: Ihre Spitze bildet nämlich,
wie Nevenka Kroschewski gezeigt hat, genau den Punkt, an dem sich der
horizontale und der vertikale Goldene Schnitt treffen.
Es gibt noch eine
weitere wichtige Kompositionslinie in diesem Bild: Die lange Diagonale, die
vom Arm des Engels nach unten führt, ist auf den Kopf Isaaks gerichtet – der
Blick des Betrachters wird damit nicht nur auf den Widder gelenkt, der den Platz des
Jungen einnehmen wird, sondern vor allem auf Isaaks Auge und Mund. In ihnen spiegelt sich sein Entsetzen; sein rechtes Auge, mit dem er uns als Betrachter regelrecht anstarrt, macht uns vom Zuschauer zum Zeugen seiner Angst und Verzweiflung. Abraham und der Engel sind in dem entscheidenden Moment der Geschichte einander zugewandt – Isaak scheint in diesem Augenblick wie vergessen zu sein. „Only we notice Isaac; his desperate adress is to us alone (...). Only we are witnesses to his sacrifice“ (Bernstein 2017, S. 279/280).
Caravaggio lässt keinen Zweifel an der
Todesangst Isaaks. Auf vielen anderen Darstellungen der biblischen Begebenheit
wirkt der Jüngling ruhig und gefasst, ergeben, gehorsam und opferbereit.
Caravaggio dagegen stellt ihn als schreienden und um sein Leben bangenden
Knaben dar, der nicht Heroisches an sich hat und einen höheren Sinn seines
Todes nicht erkennen kann. „Diese Inszenierung des Isaakopfers kann kaum
beanspruchen, im tradierten Sinne als Präfiguration Christi zu gelten“ (Held
2007, S. 74).
Caravaggio hat die biblischen Gestalten als
Dreiviertelfiguren friesartig angeordnet, wie wir das z. B. auch aus seinem
Bild Judith und Holofernes kennen
(siehe meinen Post „Barock-Splatter“). Allerdings ist die Opferung Isaaks eines der wenigen Gemälde von ihm, das er mit einem
ausgedehnten Landschaftshintergrund versehen hat (zu nennen wäre noch die erste
Fassung der Bekehrung Pauli von 1600/01).
Links ist der Ausblick durch dunkle Bäume im Gegenlicht verstellt; in der
rechten Bildhälfte wiederum öffnet sich eine hügelige Landschaft mit Wegen (auf
denen zwei winzige Wanderer zu erkennen sind), Baumgruppen und Gebäuden, durch
die sich außerdem ein kleiner Fluss schlängelt.
Orazio Gentileschi: Opferung Isaaks (1612); Genua, Palazzo Spinola |
Literaturhinweise
Ausstellungskatalog Rembrandt
– Caravaggio. Rijksmuseum Amsterdam und Van Gogh Museum 24. Februar bis 18.
Juni 2006, Belser Verlag, Stuttgart 2006, S. 97-103;
Bernstein, Jay M.: The Insistence of Art. Aesthetic Philosophy after Early Modernity. Fordham University Press, New York 2007, S. 272-280;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 1996 und 2007, S. 72-76;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 1996 und 2007, S. 72-76;
Kroschweski, Nevenka: Über das allmähliche
Verfertigen der Bilder. Neue Aspekte zu Caravaggio. Scaneg Verlag, München
2002, S. 122-125.
(zuletzt bearbeitet am 3. Juni 2024)
(zuletzt bearbeitet am 3. Juni 2024)
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