Santo Spirito, Florenz; Blick in das Langhaus (für die Großansicht einfach anklicken) |
1434 erhielt Brunelleschi von einer Gruppe
reicher Florentiner Bürger den Auftrag, die Kirche Santo Spirito jenseits des Arno zu erneuern. Begann man auch schon
recht bald, die Fundamente in Angriff zu nehmen, so wurde doch erst unmittelbar
vor Brunellschis Tod 1466, als die Außenmauern mit ihren Kapellen schon
standen, im Innern die erste Säule aufgerichtet. Die Fassade wiederum war erst
1482 fertiggestellt. Sie ist so bescheiden angelegt, dass man kaum vermutet, innen einen der reinsten Renaissance-Räume Italiens anzutreffen.
Am Grundriss von Santo Spirito ist abzulesen, dass die Mittelschiffe der Querhausarme,
der Chor und die Vierung aus einander genau gleichenden Quadraten bestehen. Im
Mittelschiff des Langhauses finden wir dieses Quadratmaß viereinhalbmal.
Die Breite der Seitenschiffe in Quer- und Langhaus entspricht exakt der Hälfte
einer Seite dieses Quadrats. Auch der Säulenabstand folgt der halben
Quadratseite. Die Seitenschiffeinheit ist also wiederum ein Quadrat, das in
seiner Größe ein Viertel des großen Quadratmaßes umfasst. Es kommt
sechsundreißigmal vor; mit Ausnahme des Westabschlusses (auf die ich gleich
noch eingehe) zieht es sich um den ganzen Baukörper der Kirche. Im Fußboden wird die Quadratur des gesamten Gebäudes auch durch die zwischen den Ziegeln eingelegten grauen Steinbänder sichtbar.
Santo Spirito im Grundriss: ursprünglicher Bauplan von Brunelleschi (links) und letztendliche Ausführung (rechts) |
Die Grundeinheit, die das Maß der Mittel- und
der Seitenschiffe bildet, ist der Abstand von Säule zu Säule, d. h., für die
Quadrateinheit der Seitenschiffe gilt der Säulenabstand selbst, für die der
Mittelschiffe der doppelte. „Die Propotionen im Grundriß, das Verhältnis von
kleiner zu großer Einheit, sind also in einem Zahlenverhältnis von eins zu vier
auszudrücken“ (Gärtner 1998, S. 44). Die umlaufenden Seitenschiffe werden durch
halbrunde Grabkapellen geöffnet – davon standen insgesamt vierzig „für
potentielle Sponsoren des Neubaus zur Verfügung – ungleich mehr als in jeder
anderen Florentiner Kirche“ (Frommel 2009, S. 26). Die Kapellen sind gegenüber dem Bodenniveau der Seitenschiffe jeweils um zwei Stufen erhöht.
Die bescheidene Fassade mit ihren drei statt urspünglich geplanten vier Portalen samt barocken Zutaten |
Ein Grundriss der Kirche aus dem Jahr 1465 zeigt
Santo Spirito in einer etwas anderen
Gestalt als der heutigen. Die Seitenschiffe sollten offensichtlich auch um die
Eingangsseite des Langhauses herumgeführt werden, ebenso der Kapellenkranz. Die
Folge wäre gewesen, dass die Gläubigen die Kirche durch vier Eingänge hätten
betreten können. Doch es kam anders: 1482 wurde der Entwurf von Salvi d’Andrea,
dem Nachfolger Brunelleschis als Bauleiter, für die Fassade von Santo Spirito angenommen – sie erhielt
nur drei Türen, dem traditionellen Schema entsprechend. Die Voluten und der
Giebel an der Fassade sind Zutaten aus barocker Zeit (ebenso wie der Tabernakelaltar von Giovanni Battista Caccini im Inneren). Im heute flachgedeckten
Mittelschiff hatte Brunelleschi eigentlich ein Tonnengewölbe vorgesehen. Die letzte auffällige
Abweichung vom ursprünglichen Plan betrifft die Kapellen, deren Außenfronten
unverkleidet bleiben sollten. Doch da sie später (1758) dennoch verkleidet wurden,
sind deren Grundformen, die Konchen, heute nicht mehr erkennbar. Die Kranz der
Kapellen wäre als eine Abfolge konvexer, nach außen gewölbter Ausbuchtungen in
Erscheinung getreten. „Die von Brunelleschi intendierte Durchdringung von Außen
und Innen ist verlorengegangen, seine bemerkenswerte Aufassung von der Wand
wurde aufgegeben“ (Gärtner 1998, S. 46).
Mit der Gestaltung des Ostabschlusses weicht
Brunelleschi entscheidend von der traditionellen Form romanischer oder
gotischer Kirchen ab. Der Chor und die Querschifffarme haben die gleiche Gestalt,
die Seitenschiffe sind rechtwinklig, wie ein Umgang, um alle drei Bauteile geführt,
die Vierung wird von einer Kuppel gewölbt. Wenn man im Innern von Santo Spirito steht und vom Langhaus
nach Osten blickt, hat man den Eindruck, man befinde sich in einem Zentralbau.
„Der zentralisierende Ostabschluß ist ein Beleg für Brunelleschis Bestreben,
die Zentralkomposition, das ästhetische Ideal seiner Zeit, mit dem
traditionellen Langhaus zu verbinden“ (Gärtner 1998, S. 47).
Eine der insgesamt 35 korinthischen Säulen aus Sandstein |
Glossar
Arkade: ein von Pfeilern oder Säulen getragener
Bogen.
Basilika: meist nach Osten ausgerichteter
Kirchenbau mit einem Hauptschiff und zwei oder vier niedrigeren Seitenschiffen;
durch Fenster im Obergaden des Mittelschiffs und in den Seitenwanden der
äußeren Seitenschiffe belichtet.
Konche: Einbuchtung oder halbrunde Nische mit einer Halbkuppel.
Obergaden: Fensterzone im oberen Teil des
Mittelschiffes einer Basilka.
Vierung: der Bereich einer Kirche, in dem sich
Lang- und Querhaus kreuzen.
Volute: spiral- oder schneckenförmiges Schmuckelement.
Volute: spiral- oder schneckenförmiges Schmuckelement.
Literaturhinweise
Frommel, Christoph Luitpold: Die Architektur der
Renaissance. Verlag C.H. Beck, München 2009, S. 25-26;
Gärtner, Peter J.: Filippo Brunelleschi
1377–1446. Könemann Verlag, Köln 1998, S. 44-53;
Markschies, Alexander: Brunelleschi. Verlag C.H. Beck. München 2011, S. 116-119;
(zuletzt bearbeitet am 23. September 2019)
Markschies, Alexander: Brunelleschi. Verlag C.H. Beck. München 2011, S. 116-119;
Paolucci, Antonio: Kirchen in Florenz. Hirmer Verlag, München 2003, S. 266-285.
(zuletzt bearbeitet am 23. September 2019)
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