Donnerstag, 17. Oktober 2019

Friedrich Schiller: Der Pilgrim

Caspar David Friedrich:; Der Mönch am Meer (1810); Berlin, Alte Nationalgalerie
(für die Großansicht einfach anklicken)


Der Pilgrim

Noch in meines Lebens Lenze
   War ich, und ich wandert aus,
Und der Jugend frohe Tänze
   Ließ ich in des Vaters Haus.

All mein Erbteil, meine Habe
   Warf ich fröhlich glaubend hin,
Und am leichten Pilgerstabe
   Zog ich fort mit Kindersinn.

Denn mich trieb ein mächtig Hoffen
   Und ein dunkles Glaubenswort,
Wandle, rief’s, der Weg ist offen,
   Immer nach dem Aufgang fort.

Bis zu einer goldnen Pforten
   Du gelangst, da gehst du ein,
Denn das Irdische wird dorten
   Himmlisch, unvergänglich sein.

Abend ward’s und wurde Morgen,
   Nimmer, nimmer stand ich still;
Aber immer blieb’s verborgen,
   Was ich suche, was ich will.

Berge lagen mir im Wege,
   Ströme hemmten meinen Fuß,
Über Schlünde baut ich Stege,
   Brücken durch den wilden Fluß.

Und zu eines Stroms Gestaden
   Kam ich, der nach Morgen floß;
Froh vertrauen seinem Faden,
   Werf ich mich in seinen Schoß.

Hin zu einem großen Meere
   Trieb mich seiner Wellen Spiel;
Vor mir liegt’s in weiter Leere,
   Näher bin ich nicht dem Ziel.

Ach, kein Steg will dahin führen,
   Ach, der Himmel über mir
Will die Erde nicht berühren,
   Und das Dort ist niemals hier!

Friedrich Schiller

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