Freitag, 31. Januar 2025

Porträt-Kunst der italienischen Spätrenaissance (3): Agnolo Bronzinos „Bildnis einer Dame in Rot“

Agnolo Bronzino: Bildnis einer Dame in Rot (um 1533); Frankfurt, Städel Museum
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Der italienische Maler Agnolo Bronzino (1503–1572) gehört mit Jacopo da Pontormo (1495–1557), Rosso Fiorentino (1495–1540) und Giorgio Vasari (1511–1574) zu den wichtigsten Künstlern des Florentiner Manierismus. Von Bronzino habe ich in meinem Blog bereits das Bildnis einer Dame in Grün aus Windsor Castle vorgestellt. Nun soll noch sein Bildnis einer Dame in Rot hinzukommen, das zu den Prunkstücken des Städel in Frankfurt zählt. Charakteristisch für diese beiden Bildnisse wie überhaupt für das Porträt des Manierismus (also etwa der Zeitspanne zwischen 1520 und 1600) sind die verzerrten Körperproportionen der Dargestellten: Die Gliedmaßen, insbesondere Hals und Finger, werden überlängt, während der Kopf verkleinert erscheint. Haupt und Oberkörper sind zudem oft in unterschiedliche Richtungen gedreht.

Vor uns sitzt eine vornehme junge Dame, als Kniefigur und nahezu in Lebensgröße wiedergegeben. Ihre Beine weisen nach links, der Oberkörper dagegen dreht sich diagonal dem Betrachter zu. Das Gesicht ist dabei ganz leicht aus der Frontalansicht nach links gewendet; der direkte Blick wirkt distanziert. Die Rechte auf den Oberschenkel, die Linke entspannt auf die nahezu bildparallele Armlehne des Stuhles gelegt, umfangen ihre Arme schützend ein weiß und rotbraun gezeichnetes Schoßhündchen, das uns mit leicht erhobener Pfote gespannt beobachtet. Bei dem Stuhl handelt es sich um einen sogenannten Savonarola-Sessel, der vor einer Pilaster-gerahmten Nische mit einer davor befindlichen, nur rechts im Bild erkennbaren Steinbank platziert ist.

Die malerisch sehr sorgfältig wiedergegeben Details unterstreichen die durch das elegante Ambiente und die kontrollierte Haltung angedeutete edle Herkunft der jungen Dame. Ihr braunes, in der Mitte gescheiteltes Haupthaar liegt eng am Kopf an und ist hinten zu einem Zopf geflochten. Dieser wird, in ein goldfarben-braunes Netz gefasst, kranzartig um das Haupt geführt und am Scheitelpunkt von einer goldenen Agraffe mit Schmuckrosette zusammengehalten. Die Porträtierte trägt ein zinnoberrotes, unterhalb des Busens gegürtetes Kleid, aus dessen voluminösen Puffärmeln in Höhe des Ellbogens lange, eng anliegende Unterärmel aus dunkelgrünem Samt hervortreten. Der Halsausschnitt des Kleides zeigt ein fein gefältetes weißes Hemd, dessen hochstehender, aus Damast gewebter Kragen mit zwei Goldknöpfen eng am Hals geschlossen ist.

Um den Hals hängt eine schwere Goldkette, deren leicht ovale Kettenglieder in Intervallen durch zwei sich gegenläufig überkreuzende Bogensegmente unterbrochen werden. Unten münden sie in einen kleinen Anhänger mit einer nicht näher identifizierbaren Darstellung. An beiden Händen ist je ein Goldring zu erkennen, wobei derjenige am rechten Ringfinger einen kleinen Rubin aufweist. Um das rechte Handgelenk ist eine Kette aus schwarzen Jetperlen geschlungen, die sich über die Oberschenkel ausbreitet und in einen Einzelstrang mit einer aus roter und gelber Seide gefertigten Quaste mündet.

Auch der Savonarola-Sessel ist in seinem Material genau beschrieben: Das für Zarge und Armlehne verwendete braune Holz lässt eine detaillierte Maserung erkennen, seine präzis definierte Form und Härte kontrastiert wirkungsvoll mit dem weichen flaschengrünen Stoff, aus dem die Sitzfläche sowie die hier und an der Lehne angebrachten Fransen gearbeitet sind. Dass es sich um ein kostbares Möbelstück handelt, unterstreichen verschiedene goldfarbene Bronzeappliken, darunter eine groteske Maske und ein Griff aus zwei um eine Kugel gruppierten Delphinen an der Außenseite der Armlehne. Hinzu kommen zwei Kugeln an den Enden der Lehnen, deren vordere die sich spiegelnden Zeige- und Mittelfinger der Porträtierten exakt wiedergibt. Zwei im Hintergrund rechts auf der Steinbank abgelegte, in Pergament gebundene Bücher spielen auf die literarischen Interessen der jungen Frau an.

Nochmals erwähnt werden soll die wohl halbrund zu denkende Mauernische hinter der Dargestellten: Die hell von links beleuchtete – rechte – Gesichtshälfte der jungen Frau steht vor der dunklen, die verschattete Gesichtshälfte vor der ausgeleuchteten Nischenhälfte, wobei auch die durch reflektiertes Licht aufgehellten Halbschatten differenziert beobachtet sind. Darüber hinaus ist der konkaven Nischenform „die konvexe Form der Stirn und des Oberkörpers gegenübergestellt“ (Hiller von Gaertringen 2004, S. 483).

Leonardo da Vinci: Mona Lisa (1503-1506); Paris Louvre

Kompositorisch ist die Frankfurter Dame in Rot in ein etwa gleichseitiges Dreieck eingefügt, dessen Basis von dem waagrecht geführten Unterarm der jungen Frau gebildet wird. Als Vorbild hierfür hat Rudolf Hiller von Gaertringen auf Leonardo da Vincis Mona Lisa verwiesen, und zwar hinsichtlich des bildparallel gestellten Sessels, des horizontal auf dessen Lehne ruhenden linken Unterarms sowie des auf der Mittelachse liegenden linken Auges. Durch die Dreieckskomposition gelinge es Bronzino, „ein ruhevolles Gleichgewicht herzustellen und der Figur innere Stabilität, ja sogar eine hieratische Qualität zu verleihen“ (Hiller von Gaertringen 2004, S. 489). Gleichzeitig setzt sich Bronzino sich aber auch deutlich von Porträts der Hochrenaissance ab, insbesondere durch die spannungsvolle Farbwahl, bei der kräftiges Zinnoberrot mit dem Blaugrün der Ärmel und dem Flaschengrün des Sesselbezuges kontrastiert.

Die Präsenz des kleinen Hundes verleiht dem Bild eine geradezu interaktive Komponente – ob er wohl Bellen oder gar beißen würde, wenn sich der Betrachter noch weiter nähert? Bestimmend für die Wirkung des Porträts bleibt jedoch die distanzierte Attitüde der jungen Dame, ihre kühle Eleganz, die durch ihren Gesichtsausdruck, die extrem aufrechte Haltung, die strenge Frisur, ihre Standesinsignien in Form von Schmuck und kostbarer Kleidung sowie die als Barriere fungierende Armlehne hervorgerufen wird.

Agnolo Bronzino: Bildnis der Lucretia Panciatichi (um 1545); Florenz, Uffizien
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Mit der Dame in Rot vergleichbar ist Bronzinos Porträt der Lucrezia Panciatichi aus den Uffizien. Auch hier ist eine junge Frau als von links beleuchtete Figur vor einer – allerdings verschatteten – Nische dargestellt. Sie blickt mit nach links gewendetem Oberkörper gerade aus dem Bild, wobei ihr Kopf wie bei Dame in Rot etwas aus der Frontalansicht gedreht ist. Ihr linker Arm ruht auf der Lehne des diagonal gestellten Sessels, die rechte Hand liegt auf den Seiten eines geöffneten Buches auf ihrem Oberschenkel. Die Frisur weist ebenfalls bis in den Aufbau reichende Übereinstimmungen auf, wobei dem mittig gescheitelten, eng am Kopf geführten Haupthaar ein geflochtener Haarkranz aufliegt, der seinerseits durch ein Diadem hervorgehoben wird. Verschiedene Schmuckstücke, darunter einige Ketten und ein Fingerring, sind präzise wiedergegeben. Die Porträtierte trägt ebenfalls ein rotes, gegürtetes Gewand mit gerafften Puffärmeln, aus dem eng anliegende Unterärmel hervorkommen, wobei weißlich aufscheinende Lichter Seidenstoff imitieren. Allerdings erhält das Porträt durch die Farbwahl gegenüber dem Frankfurter Bildnis eine gefälligere Note, da an die Stelle des Zinnoberrot ein zurückgenommenes Weinrot tritt und so der beschriebene Rot-Grün-Kontrast aufgegeben wird.

Die Zuschreibung des Frankfurter Damenporträts schwankt seit seiner ersten Erwähnung vor allem zwischen zwei Florentiner Malern, die gut miteinander bekannt waren: einerseits Pontormo und andererseits seinem Schüler Bronzino. Die beiden Künstler pflegten einen ungemein regen Austausch, der im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in Form eines Schüler-Lehrer-Verhältnisses begann und sich ab den 1530er Jahren in Form künstlerischer Zusammenarbeit und persönlicher Freundschaft fortsetzte.

Bronzino zählt, auch wenn sein Aktionsradius sich auf Florenz und das Großherzogtum Toskana beschränkte, neben dem europaweit agierenden Tizian (um 1488–1576) zu den führenden italienischen Porträtmalern des Cinquecento. 1530 wurde die Republik Florenz elf Monate lang von einem kaiserlich-päpstlichen Heer belagert, denn Karl V. hatte dem Medici-Papst Clemens versprochen, die Herrschaft seiner Familie in deren Heimatstadt wiederherzustellen. Die Florentiner mussten sich schließlich, durch Hungersnöte und Epidemien gezwungen, dem kaiserlichen Willen beugen: Allesandro de‘ Medici (1510–1537) wurde neuer Herzog von Florenz. Nach Ende der Belagerung ging Bronzino 1530 für zwei Jahre nach Pesaro an den Hof des Herzogs von Urbino, Francesco Maria I. della Rovere. Dort entwickelte er seinen stupenden, bis heute bewunderungswürdigen Detailrealismus, der sich durch ein beinahe obsessives Interesse für die Oberflächen-Texturen unterschiedlichster Stoffe und Materialien auszeichnet.

 

Literaturhinweise

Eclercy, Bastian: Agnolo Bronzino, Bildnis einer Dame in Rot, um 1533. In: Bastian Eclercy (Hrsg.), Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici. Prestel Verlag, München 2016, S. 168-172;

Hiller von Gaertringen, Rudolf: Italienische Gemälde im Städel 1300 – 1550. Toskana und Umbrien, Philipp von Zabern, Mainz 2004, S. 479-494;

Krystof, Doris: Jacopo Carrucci, genannt Pontormo. 1494–1557. Könemann Verlagsgesellschaft, Köln 1998, S. 107.


Montag, 20. Januar 2025

Der Weg ins Dunkel – Caspar David Friedrichs „Frühschnee“ (um 1828)

Caspar David Friedrich: Frühschnee (um 1828); Hamburg, Kunsthalle
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Wir sehen einen verschneiten, beiderseits von niedrigen Tannen gesäumten Weg, der auf einen dichten Fichtenwald zuläuft. Vor den dunklen, eng beieinander stehenden Baumstämmen, die wie eine düstere Wand den Blick versperren, biegt der Weg nach rechts ab, ohne dass sich jedoch erkennen ließe, wohin er führt. Unmittelbar am oberen Bildrand zeigt sich in einem kleinen Bereich oberhalb der Baumwipfel ein hellblauer, von freundlichen weißen Wölkchen besetzter Himmel. Genau auf der senkrechten Mittelachse, die ausgreifenden Zweige eingefasst von den linken und rechten Vertikalen des Goldenen Schnitts, hebt sich eine sanft beschneite Fichte von den dunklen Stämmen des Waldes ab.

Caspar Dacid Friedrich: Der Chasseur im Walde (um 1813), Privatbesitz
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Caspar David Friedrich hat dieses Frühschnee genannte Gemälde um 1828 gemalt. Eng mit diesem verwandt ist sein um 1813 entstandenes Bild Der Chasseur im Walde. Es zeigt einen im bedrohlich einsamen Winterwald verlorenen, wahrscheinlich französischen Soldaten und wird gemeinhin als politischer Kommentar Friedrichs im Kontext der Freiheitskriege gegen Napoleon (1813 bis 1815) gedeutet. Der Fichtenwald meint sinnbildlich die im Vertrauen auf ihre Befreiung zusammenstehenden Deutschen, die dem Franzosen den Untergang bereiten werden. Der im Vordergrund auf einem Baumstumpf hockende Rabe ist daher eindeutig als Todessymbol zu verstehen – er singt dem Soldaten sein Sterbelied, so die „Vossische Zeitung“ anlässlich der Ausstellung des Gemäldes im Oktober 1814 in der Berliner Akademie. Von „heiligem Zorn“, gar Hass ist auf dem Bild allerdings nichts zu spüren: „Friedrich gibt dem Gegner die Gelassenheit eines Menschen, der das ihm bestimmte Schicksal mit Würde erwartet. (…) Der Chasseur hat keine Eile, denn er weiß, daß er die Heimat nicht mehr sehen wird“ (Hofmann 2000, S. 96/98). Kompositorisch unterscheiden sich Frühschnee und der Chasseur kaum voneinander, der entscheidende Unterschied liegt im Fehlen von Mensch und Rabe.

Caspar David Friedrich: Das Kreuz im Gebirge (1807/08); Dresden, Gemäldegalerie

Friedrich selbst verglich das Immergrün der Tannen mit der immerwährenden Hoffnung der Gläubigen auf Christus – so in einer seiner seltenen Äußerungen über seine Kunst, zu der er sich im sogenannten Ramdohr-Streit um sein Gemälde Das Kreuz im Gebirge veranlasst sah (siehe meinen Post „Der große Mittler“). Entsprechend hat der Friedrich-Forscher Helmut Börsch-Supan den Frühschnee christlich gedeutet: Der auf den Wald zulaufende Weg versinnbildliche – wie so oft auf den Bildern Friedrichs – den Lebensweg, der zum Tod führt. Es ist ein Weg, den der Mensch am Ende ganz allein beschreiten muss, und wir als Betrachter sind es, die ihn – zumindest mit den Augen – auf Friedrichs Bild betreten haben und entlanggehen. „Der Wald in seiner unheimlichen Dunkelheit erscheint jedoch nicht als das Ziel des Weges, vielmehr erweckt der blaue Himmel darüber die Vorstellung einer heiteren Gegend hinter dem Wald“ (Börsch-Supan 1987, S. 158). Ebenso verweise die durch den Schnee durchscheinende Erde darauf, dass Winter und Tod Übergangsstadien für ein neues Leben seien. Damit wäre auch der Frühschnee eine „allegorische Landschaft“ Friedrichs, die die christliche Auferstehungshoffnung versinnbildlicht, vergleichbar seinem Dortmunder Winterlandschaft mit Kirche (siehe meinen Post „Gemalter Glaube“).

Caspar David Friedrich: Winterlandschaft mit Kirche (1811);
Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte

Literaturhinweise

Bertsch, Markus/Grave, Johannes (Hrsg.): Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2023, S. 180;

Börsch-Supan, Helmut: Caspar David Friedrich. Prestel-Verlag, München 41987, S. 158;

Hofmann, Werner (Hrsg.), Caspar David Friedrich 1774 – 1840. Prestel-Verlag, München 1974, S. 199 und 282-283;

Hofmann, Werner: Caspar David Friedrich. Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit. Verlag C.H. Beck, München 2000, S. 96-98.


Mittwoch, 15. Januar 2025

Raum ist in der kleinsten Hütte – Adam Elsheimers „Jupiter und Merkur bei Philemon und Baucis“

Adam Elsheimer: Jupiter und Merkur bei Philemon und Baucis (1608/09); Dresden, Gemäldegalerie

Der römische Dichter Ovid (43 v.Chr.–12 n.Chr.) erzählt in seinen berühmten „Metamorphosen“ die Geschichte von Philemon und Baucis, die von den beiden antiken Göttern Jupiter und Merkur besucht werden (VIII, 611–724). Jupiter und Merkur wandern in Menschengestalt über die Erde; an tausend Türen bitten sie um Unterkunft – überall werden sie abgewiesen. Schließlich nehmen die alten, einträchtig zusammenlebenden Eheleute Philemon und Baucis sie in ihre ärmliche Hütte auf. Sie unternehmen alle erdenklichen Anstrengungen, um es den Gästen, in denen sie zunächst keine Götter erkennen, bequem zu machen. Sie bieten sogar an, ihre einzige Gans für die beiden Fremden zu schlachten. Zum Dank werden sie später von dem Untergang, der ihre ganze Umgebung trifft, verschont. Die Hütte wird in einen Tempel verwandelt, dem die Eheleute als Priester dienen. Und statt den Tod des jeweils anderen betrauern zu müssen, werden sie am Ende ihres Lebens im selben Augenblick zu Bäumen.

Adam Elsheimer (1578–1610) zeigt auf seinem um 1608/09 entstandenen Gemälde, einem kleinformatigen Kupfertäfelchen (16,5 x 22,5 cm), nicht die Verwandlung der beiden Eheleute, sondern konzentriert sich auf die auch bei Ovid ausführliche geschilderte Bewirtung der Götter. Die niedrige Tür und die Beengtheit der fensterlosen, aus rohen Balken zusammengefügten Hütte, das mit einem einfachen Polster bedeckte Bett, die emsigen Bemühungen um die beiden Gäste – all das entnimmt der deutsche Maler den „Metamorphosen“ und reichert es noch um weitere Motive an (wie etwa ein Bild an der Wand). Selbst die Gans, die die Alten für die Wanderer opfern wollen und die auf Geheiß der Götter verschont bleibt, ist im Vordergrund zu sehen.

Jupiter und Merkur haben abwartend Platz genommen, während Baucis mit Tüchern und decken für sie das Nachtlager bereitet und Philemon Speisen herbeiträgt. In ihrer legeren Haltung sind die olympischen Götter als solche kaum erkennbar, „der Maler schildert sie gleichsam mit den Augen der unwissenden Alten“ (Klessmann 2006, S. 170). Elsheimer fügt an verschiedenen Stellen seines Bildes künstliche Beleuchtung ein, um die verschiedenen Facetten der Handlung zu hervorzuheben. In der rechten Bildhälfte werden schwächere Lichtquellen verwendet, um die Vorbereitungen des kärglichen Mahles zu illuminieren: Aus dem Hintergrund tritt Philemon, der eine Kerze in der Hand hält, mit dem frisch geernteten Kohl herein, während rechts von ihm ein Feuer in der Herdstelle glimmt. Ein aus Fischen und Gemüsen bestehendes Stillleben am unteren Bildrand erhält seine Beleuchtung von einem kleinen Öllicht.

Eine größere Intensität – und damit das Zentrum der Handlung betonend – hat die Lampe, die auf dem Tisch in der linken Bildhälfte abgestellt ist. Sie wird von den beiden Göttern flankiert, deren Gesichter auf diese Weise besonders herausgehoben sind. „Die Helligkeit geht von den Göttern aus, die das ärmliche Leben von Philemon und Baucis verändern werden“ (Klessmann 2006, S. 173). Die am unteren Bildrand erkennbare Gans verdeutlicht, dass sie sich in diesem Moment den beiden Alten zu erkennen geben. Auf das für die „Metamorphosen“ konstitutive Thema der Verwandlung weist auch das „Bild im Bild“ hin: Das an der Wand befestigte Blatt zeigt die von Ovid berichtete Tötung des Argus durch Merkur (I, 668-721), der im Auftrag Jupiters die in eine Kuh verwandelte Io befreite.

Pieter Bruegel d.Ä.: Der Tod Mariens (Nachstich von Philips Galle, 1574)

„Im sorgfältigen Umgang mit verschiedenen Lichtqualitäten, deren Intensitäten differenziert und genau abgewogen werden, offenbart sich die Einbindung Elsheimers in die niederländische Tradition“, so Mirjam Neumeister (Neumeister 2003, S. 283). Allen voran wäre hier die Grisaille Der Tod Mariens von Pieter Bruegel d.Ä. (1525/30–1569) zu nennen (1564 entstanden), die Elsheimer wahrscheinlich über den Nachstich durch Philips Galle kannte. Der intensive Lichtfokus, der Maria umgibt, zeichnet sie als Zentrum des Bildes aus – dem entspricht bei Elsheimer die sich ankündigende Offenbarung der beiden Götter. Daher erfasst der Schein des Öllichts nicht nur die Götter, sondern auch die Weinkaraffe, die sich während des Mahles nicht leeren wird und somit auf das spätere Wunder vorausdeutet.

Die Betonung der für die Handlung entscheidenden Motive erzielte Elsheimer durch ein stark zurückgenommenes, aus der Beimischung von Schwarz entstehendes Kolorit, das im Kontrast zu der ausgeprägten Farbigkeit im Umkreis der Lichtquellen steht. „Diese bewirken aufblitzende, durch aufgetupfte weiße Höhungen angezeigte Glanzlichter, welche die Aufmerksamkeit des Betrachters lenken (Neumeister 2003, S. 283). So erfüllt ein abendliches Dunkel, durch einen tiefen Braunton wiedergegeben, den Raum, dessen gemütlich-trauliche Wirkung durch die im Kerzenschimmer nur schemenhaft hervortretenden Details wie die Deckenbalken oder einzelne Einrichtungsgegenstände gesteigert wird. Das gelbliche Licht der Leuchtmittel erzeugt eine warme Tonigkeit, die Elsheimers harmonisch-idyllische Tischszene prägt.

Adam Elsheiemr: Der Brand Trojas (1600/01); München, Alte Pinakothek
Adam Elsheimer: Judith enthauptet Holofernes (1601/03);
London, The Wellington Museum
Adam Elsheimer: Die Flucht nach Ägypten (1609); München, Alte Pinakothek

Das Gemälde fügt sich damit in eine Reihe von „Nachtstücken“, die Elsheimer in Rom anfertigte, so etwa Der Brand Trojas, Judith enthauptet Holofernes (siehe meinen Post „Barock-Splatter“) und Die Flucht nach Ägypten. Sie wurden in Nachstichen und Kopien verbreitet und inspirierten Maler wie Peter Paul Rubens und Rembrandt zu eigenen Kompositionen (siehe meinen Post „Friedvolle Flucht“).

 

Literaturhinweise

Klessmann, Rüdiger: Im Detail die Welt entdecken. Adam Elsheimer 1578–1610. Edition Minerva. Wolfratshausen 2006, S. 170-173;

Neumeister, Mirjam: Das Nachtstück mit Kunstlicht in der niederländischen Malerei und Graphik des 16. und 17. Jahrhunderts. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2003, S. 281-283.


Freitag, 3. Januar 2025

Märchenhafter Zauber – Adam Elsheimers „Heilige Familie mit Engeln und dem kleinen Johannes der Täufer“

Adam Elsheimer: Heilige Familie mit Engeln
und dem kleinen Johannes der Täufer (um 1599);
Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)

Der in Frankfurt am Main geborene Maler Adam Elsheimer (1578–1610) ließ sich im Jahr 1600 in Rom nieder, wo er im Alter von nur 32 Jahren starb. Seine meist kleinformatigen Bilder, überwiegend auf Kupfer und in miniaturhaft feiner Ausführung unter Zuhilfenahme einer Lupe gemalt, machten ihn berühmt und wurden besonders von seinen Künstlerkollegen hoch geschätzt, u.a. von Peter Paul Rubens. Zeitlebens hat sich Elsheimer mit der Darstellung des Lichts auseinandergesetzt und dabei sowohl stimmungsvolle Landschaften im Mondlicht geschaffen wie auch geheimnisvolle nächtliche Innenräume, die nur von spärlichem Kerzenschein erleuchtet werden. Der deutsche Maler war aber auch ein spannender Erzähler: Auf seinen Bildern werden dramatische Ereignisse wie die Sintflut, brutale Mord- und Marterszenen und ebenso erstaunliche christliche Wunder geschildert. Elsheimers früher Tod und seine langsame Malweise sind der Grund dafür, dass er ein überschaubares Werk hinterlassen hat: Gegenwärtig sind nur 40 Gemälde von seiner Hand bekannt. Zwei davon habe ich in diesem Blog bereits vorgestellt: Die Steinigung des Stephanus (siehe meinen Post „Palmzweige für den Sieger“) und Der hl. Christophorus (siehe meinen Post „Nichts leuchtet heller“). Diesmal soll es um Die Heilige Familie mit Engeln und dem kleinen Johannes der Täufer aus Berlin gehen (um 1599 entstanden).

Auf seinem Kupfertäfelchen (37,5 x 24,3 cm) mit rundbogigem Abschluss führt Elsheimer zwei Erzählungen zusammen: die Ruhe der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten und die Begegnung des Jesuskindes mit dem Johannesknaben auf der Rückkehr aus Ägypten, von der nur Legenden erzählen. In einer dicht bewaldeten Landschaft hat sich Maria, traditionell mit rotem Gewand und blauem Mantel bekleidet, am Fuß eines Baumes mit abgebrochener Krone niedergelassen. Sie hält ihren Sohn mit der rechten Hand auf dem Schoß und hat ihre Linke auf den Rücken des kleinen Johannes gelegt, der das Jesuskind mit einer Umarmung begrüßt. Links neben Maria sitzt, angetan mit einer kostbaren Dalmatika und das Gesicht ins Profil gewendet, ein großer geflügelter Engel und nimmt mit seiner Linken den Ärmel ihres Mantels in die Hand. Er ist als Begleiter des jungen Besuchers anzusehen, denn vor ihm hat Elsheimer die Insignien des Täufers platziert, das Lamm mit dem Kreuzstab. Mit dem Tier ist das Lamm Gottes gemeint, von dem im Johannes-Evangelium die Rede ist (Johannes 1,29). Auf der schmalen Fahne, die sich um den Rohrstab windet, ist das Wort „Ecce“ zu lesen, das mit „Agnus Dei“ ergänzt werden muss.

Albrecht Altdorfer: Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (1510);
Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)

Am rechten Bildrand sitzt Joseph auf einem Baumstumpf, in sich versunken, mit seiner Zimmermannsaxt im Arm. Er dient als Repoussoirfigur, ähnlich der analogen Figur in Albrecht Altdorfers Ruhe auf der Flucht von 1510. Auf seiner Wanderschaft von Frankfurt nach Rom hatte Elsheimer in München auch Werke Altdorfers kennengelernt. Der knorrige Baumstamm auf der linken Seite ragt schräg in die Höhe, wo er abrupt endet und einige Zweige die überirdische himmlische Zone abgrenzen gegen den natürlich blauen Himmel über der zerklüfteten, wilden Gebirgslandschaft im Hintergrund. Von dieser überirdischen Zone gehen geht ein mystisch-göttliches Licht aus, das den gesamten Bildraum durchdringt und der innigen Szene einen geradezu märchenhaften Zauber verleiht.

Tintoretto: Das Markuswunder (1547/48); Venedig, Accademia

Hinter dem Baumstamm kommt oben ein großer Engel hervor, der auf die Szene unter ihm weist. Sowohl dessen Bewegung an sich wie auch die starke Verkürzung, in der ihn Elsheimer wiedergibt, erinnern an den venezianischen Maler Tintoretto (1518–1594). Elsheimer hielt sich, bevor er nach Rom ging, 1599 zu Studienzwecken in Venedig auf, wo er sicherlich dem Werk Tintorettos begegnet ist. Rechts sitzt auf einer unsichtbaren Wolke ein weiterer, Blüten streuender Engel. Ein himmlischer Strahl geht durch seine Hand und verdeutlicht das Herabschweben der Blüten.

Zwischen den beiden Engeln, die ein kompositorisches Gegengewicht zu den großen Figuren unten bilden, zieht sich in mehreren Windungen ein bewegter Reigen kleiner, mit Kränzen geschmückter und einander an den Händen fassender Engel herab, deren unterster huldigend dem Christus-Johannes-Paar einen Blumenkranz darbringt. „So wie der Engelreigen die fernste Himmelszone mit dem Geschehen am Fuße des Baumes im Vordergrund verbindet, so durchpulst das Licht, das die Körper aufscheinen läßt und sich in den Zweigen der Bäume bricht, den Bildraum und erfüllt ihn mit einer poetischen Stimmung, welche Figuren und Landschaft zu einer harmonischen Einheit verbindet“ (Schleier 1998, S. 420). Dieser stille poetische Zauber und die Intimität des kleinen Formats sind unverwechselbare Merkmale der Kunst Elsheimers. Mit dem Berliner Bild hat der Frankfurter Maler, kaum über zwanzig Jahre alt, ohne Frage eines seiner ersten Meisterwerke geschaffen.

Adam Elsheimer: Taufe Christi (um 1599); London, National Gallery
Adam Elsheimer: Steinigung des  Stephanus (um 1603/04),
Edinburgh, National Gallery of Scotland

Das Gemälde kommt in seinem Stil sowie in der Farbigkeit und Lichtführung der Taufe Christi in London nahe, mit der es auch den rundbogigen Abschluss teilt. Auch auf der Taufe Christi erscheint oben rechts ein großer Engel, der ein rotes Gewand oder Tuch trägt und auf die Hauptszene herabsieht. Die beiden Gemälde dürften in kurzem zeitlichen Abstand entstanden sein. Die prächtige Dalmatika des neben Maria sitzenden Engels wiederum weist auf die Roben voraus, die Elsheimer später in seinen Bildern des Hl. Laurentius und der Steinigung des hl. Stephanus gemalt hat.

 

Glossar

Eine Dalmatika ist ein liturgisches Gewand und die Amtskleidung eines Diakons.

Repoussoirfiguren sind Gestalten im Vordergrund eines Gemäldes, die die Funktion haben, den Blick des Betrachters in die Tiefe zu ziehen. Sie werden deswegen häufig von hinten dargestellt.

 

Literaturhinweise

Klessmann, Rüdiger: Im Detail die Welt entdecken. Adam Elsheimer 1578–1610. Edition Minerva. Wolfratshausen 2006, S. 62-65;

Schleier, Erich: Adam Elsheimer, Die Heilige Familie mit Engeln und dem kleinen Johannes dem Täufer (um 1599). In: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin 1998, S. 418-420.