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Hans Baldung Grien: Maria mit dem schlafenden Kind (1509 oder 1520); Freiburg, Augustinermuseum |
Das Augustinermuseum in Freiburg besitzt ein ungewöhnliches Marienbild von Hans Baldung Grien (1480/85–1545), das sich durch seinen ungewöhnlich intensiven Hintergrund aus strahlendem Karmensinrot von ähnlichen zeitgenössischen Darstellungen der Gottesmutter abhebt. Marias stahlblauer, über den Kopf gezogener Mantel bildet ein strenges, leicht nach links versetztes Dreieck. Am rechten Bildrand deutet sich durch eine nur leicht abgedunkelte Nuance des raumlosen Hintergrunds ihr Schatten an. Das flammende Rot steht in irritierendem Gegensatz zur melancholischen Stille der Gottesmutter und zum vertrauensvollen Schlaf ihres Kindes. Die glätte Flächigkeit und der Glanz der Farben erinnern an die Oberfläche von Porzellan oder Emaille.
Mit schräg nach rechts gelehntem Kopf blickt Maria aus großen braunen Augen in eine unbestimmte Ferne wie durch den Betrachter hindurch. Das harmonische Gesicht mit den gerundeten Wangen, dem fein geschwungenen Mund und der schmalen Nase drückt hoheitsvolle Würde aus. Über der Stirn liegt ein durchsichtiger Schleier, der ihre Zartheit betont, während der tiefblaue Mantel Haupt und Schultern wie ein Schutzschirm umfängt. Über ihre rechte Schulter fällt das lange gelockte Haar. Die Hände halten ein violettes Tuch, auf dem das nackte Jesuskind sitzt.
Der Knabe schläft sanft auf dem linken Arm seiner Mutter, den Kopf auf dem rechten, an ihren Hals gelehnten Arm. Mit der linken Hand fasst er ihren Daumen – ein Ausdruck erfüllten Friedens. Aber das Bild ebenso anmutiger wie glücklicher Mutterschaft hat auch eine theologische Aussage: Es enthält bereits einen Verweis auf die bevorstehende Passion Christi, denn der Schlaf des Jesuskindes deutet auf den Kreuzestod hin. Dieses Motiv wurde in Deutschland erstmals von Albrecht Dürer gemalt, dessen Mitarbeiter Baldung zwischen 1503 und 1508 gewesen ist. Es taucht in der Mitteltafel von Dürers 1496 entstandenem Wittenberger Altar auf, der heute in der Dresdener Gemäldegalerie aufbewahrt wird. Baldung verwandte das Motiv mehrfach, etwa auch für seine Maria in der Weinlaube in Straßburg (um 1541 entstanden).![]() |
Albrecht Dürer: Mitteltafel des Wittenberger Altars (1496); Dresden, Staatliche Kunstsammlungen |
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Hans Baldung Grien: Maria in der Weinlaube (1541); Straßburg, Musée de l‘Œuvre Notre-Dame |
Das schlafende Jesuskind steht in Verbindung mit der im 16. Jahrhundert in Deutschland verbreiteten Vanitas-Darstellung, die ein auf einem Totenkopf schlafendes Kind zeigt– was in Motiv und Haltung dem Jesusknaben auf dem Gemälde Baldungs gleicht. Ein Beispiel hierfür ist der kleinformatige Kupferstich von Barthel Beham (1502–1540), den der Nürnberger Künstler 1525 angefertigt hat. Das Motiv diente dazu, dem Betrachter seinen wie jedem anderen Menschen bevorstehenden Tod vor Augen zu halten. Diese Vanitas-Bilder waren als Mahnung gedacht, „stets eingedenk des Todes zu sein und den Sinn des Lebens in der Bewährung vor Gott zu sehen“ (Weber am Bach 2006, S. 106). Oft wurden solche Darstellungen eines schlafenden Kindes mit Totenschädel oder einer Sanduhr mit entsprechenden Überschriften versehen wie „Hodie mihi cras tibi“ (Heute mir, morgen dir), „L’hora passa“ (Die Zeit verrinnt), „Nascentes morimur“ (Indem wir geboren werden, sterben wir), „Respice finem“ (Bedenke das Ende) oder „Da la cuna a la tomba è un breve passo“ (Von der Wiege bis zum Grabe ist ein kurzer Schritt).
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Barthel Beham: Schlafendes Kind mit Totenkopf (1515); Kupferstich |
Der Schlaf gilt seit der Antike als der „Bruder des Todes“ – und der Schlaf des Jesuskindes, wie bereits gesagt, als Verweis auf seinen Kreuzestod. Aber: Aus diesem Todesschlaf wird der Gottessohn wieder erwachen und auferstehen. Das schlafende Jesuskind bedeutet daher auch „die Überwindung des Todes durch den Todesschlaf Jesu“ (Weber am Bach 2006, S. 106).
Baldung signierte das Gemälde oben links mit ligiertem Monogramm und versah es mit einer rätselhaften Datierung: 15IX. Die ungewöhnliche Kombination aus römischen und arabischen Zahlen lässt verschiedene Lesarten zu, nämlich 1509, 1520 (1510 + X) oder, falls das als X deutbare Zeichen eine gotische Vier meinte, 1514.
Glossar
Eine ligierte Signatur ist ineinander verschlungen oder wird als Bildmonogramm durch Zeichen und Symbole gebildet.
Literaturhinweise
Weber am Bach, Sibylle: Hans Baldung Grien (1484–1545). Marienbilder in der Reformation. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg2006, S. 100-107
Westheider, Ortun/Philipp, Michael: Zwischen Himmel und Hölle Kunst des Mittelalters von der Gotik bis Baldung Grien. Hirmer Verlag, München 2009, S. 231-233.
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