Mittwoch, 3. April 2013

Die Bäckerfamilie von nebenan – Goya malt das spanische Königshaus


Francisco de Goya: Karl IV. und seine Familie (1800); Madrid, Museo del Prado
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Francisco de Goya (1746–1828) war gerade erst von Karl IV. zum primez pintor de cámara ernannt worden, als er im April 1800 den Auftrag erhielt, ein Porträt der königlichen Familie zu malen. Auch wenn das Bild wirken mag, so das berühmte Diktum von Théophile Gautier, als zeige es „das Bäcker-Ehepaar von nebenan nach einem Lotteriegewinn“, so ist Goya doch den Konventionen dynastischer Familienporträts weitgehend treu geblieben. Dem Gruppenbildnis (280 x 336 cm) gingen zudem zehn Porträtskizzen voraus, die offensichtlich die Zustimmung der Dargestellten fanden, „weshalb kein Anlaß besteht, das Gemälde als insgeheime subversive Respektlosigkeit aufzufassen“ (Hofmann 2003, S. 164). Man missversteht das Gemälde gründlich, wenn man Goya unterstellt, er habe heimlich das königliche Image untergraben wollen. „Seine Aufgabe und seine Absicht waren vielmehr das Gegenteil: Es sollte der Öffentlichkeit das Bild einer starken Familienstruktur, das unerbittliche Funktionieren eines monolithischen Organismus vermittelt werden“ (Stoichita 2001, S. 149).
Stolz und selbstbewusst posiert die königliche Familie, von Goya in Lebensgröße abgebildet. Der 52-jährige Karl IV., in Galauniform, macht einen Schritt nach vorn; auf seiner gewölbten Brust finden sich die höchsten Orden des Landes, beinahe wie Sterne funkelnd. Die 49-jährige Königin María Luisa ist an zentraler Stelle im Bild postiert – Goya würdigt auf diese Weise ihre Rolle als Prinzenmutter und Schoß der Dynastie. Dennoch nimmt die Königin im Verhältnis zum Vordergrund erkennbar zurückgezogen Aufstellung. Nicht sie, sondern ihr 16-jähriger Sohn links im Vordergrund, der Fürst von Asturien und künftige Ferdinand VII., wird nach dem König an hervorgehobener Position gezeigt. Zur Hälfte im Schatten stehend, korrespondiert sein Schritt nach vorn mit dem des Vaters und „bezeichnet seinen zweiten Platz im komplizierten Ballett der Etikette und der dynastischen Abfolge, welche das Gemälde in Szene setzt“ (Stoichita 2001, S. 147).
Hinter Don Ferdinand befindet sich der Infant Don Carlos María Isidro, damals zwölfjährig. Goya präsentiert ihn als „drittes Glied“ in der strengen Linie des Blutrechts (nach dem König und dem Prinz von Asturien). Zwischen seinem Vater und seiner Mutter wird der sechsjährige Francisco de Paula sozusagen als „dynastische Reserve“ (falls benötigt) vorgeführt. Goya lässt also durch die Positionierung der Figuren die Rangordnung des Hofes und der Thronfolge anschaulich werden. Im Vordergrund, der Bildebene des Königs, sind die drei Söhne dargestellt, während der Bruder des Königs, der Infant Don Antonio Pascual, hinter den aufgereihten Töchtern seinen Platz findet. „Demnach illustriert die königliche Parade die alte kastilische Ordung der successio promiscua, nach der die Söhne und deren männliche Nachkommenschaft den ersten Anspruch auf den Thron anmeldeten, vor den Töchtern, die ihrerseits samt Nachkommen wiederum vor den Brüdern des Königs rangierten“ (Beyer 2002, S. 284).
Velázquez: Las Meninas (1656); Madrid, Museo del Prado
Zur Rechten der Königin ist die elfjährige Infantin Doña María Isabel zu sehen, die 1802 Franz I., König beider Sizilien, heiraten sollte. Im verschatteten linken Bildhintergrund wiederum hat sich der Maler selbst dargestellt; er arbeitet an einer Staffelei, die – wie in Velázquez’ Las Meninas – nur im Ausschnitt und nur von hinten dargestellt wird. Vor der Staffelei stehen neben den schon genannten Infanten Don Carlos María Isidro und Don Ferndinand eine zunächst nicht weiter identifizierbare Prinzessin mit abgewandtem Gesicht sowie dazwischen die 56-jährige Schwester des Königs, Infantin Doña María Josefa. Dass von Don Antonio Pascual nur der Kopf hinter der Schulter des Königs zum Vorschein kommt, verdeutlicht, dass er den letzten Rang in der Repräsentation der Königsfamilie einnimmt, dass er „nichts weiter ist als ein komischer Kopf auf einem unsichtbaren Körper“ (Stoichita 2001, S. 150). Rechts neben dem Bruder des Königs ist der Profilkopf der Infantin Doña Carlota Joaquina zu erkennen, älteste Tochter des Königspaares, seitlich davon der 27-jährige Don Luis de Borbón, Fürst von Parma und späterer König von Etrurien, und seine Frau, die 18-jährige Infantin Doña María Luisa Josefina mit ihrem nur wenige Monate alten Sohn Carlos Luis. Alle männlichen Familienmitglieder, einschließlich des Säuglings, tragen die Schärpe des Ordens Karls III., alle weiblichen die mit dem Orden der María Luisa.
In der Prinzessin, die den Kopf abwendet und auf diese Weise unerkannt bleibt, ist die zwei Jahre zuvor verstorbene Infantin Maa Amalia vermutet worden, „deren postume Abbildung sie gemäß dem monarchischen Bildnis-Brauch im Sinne der lückenlosen bildlichen Repräsentation hier unter den Hinterbliebenen einreiht“ (Beyer 2002, S. 284). Werner Hofmann deutet die Prinzessin mit verlorenem Profil allerdings anders: „Sie ist gleichsam die Hohlform der noch nicht gewählten zukünftigen Gattin eines Infanten“ (Hofmann 2003, S. 170).
Goyas Selbstporträt im Bild verdeutlicht, dass der Künstler als Mitglied der Hoffamilie betrachtet wurde. Dass der Akt des Malens dargestellt wird, verweist auf die Bedeutung der Kunst im Dienst der höfischen Repräsentation. Ohne Zweifel ist die Gruppe wie bei Las Meninas vor einem Spiegel aufgereiht worden, was erklärt, warum der Maler hinter den Personen steht, die er von vorne wiedergibt. Und es gibt noch weitere Bildzitate aus den Meninas: Nicht nur im Selbstporträt, sondern etwa auch in den Bildern an der Rückwand oder in der sehr vergleichbaren Kopfwendung von Infantin und Königin weist Goya explizit auf sein Vorbild hin.

Literaturhinweise
Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei. Hirmer Verlag, München 2002, S. 282-284;
Hofmann, Werner: Goya. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle. Verlag C.H. Beck, München 2003;
Olszewski, Edward J.: Exorcising Goyas The Family of Charles IV. In: artibus et historiae 40 (1999), S. 169-185;
Stoichita, Victor I.: Goya: Die Familie Karls IV. In: Reinhard Brandt (Hrsg.), Meisterwerke der Malerei. Von Rogier van der Weyden bis Andy Warhol. Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 141-170;
Traeger, Jörg: Goyas Königliche Familie. Hofkunst und Bürgerblick. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst XLI (1990), S. 147-181;
Traeger, Jörg: Goya. Die Kunst der Freiheit. Verlag C.H. Beck, München 2000, S. 85-91.

(zuletzt bearbeitet am 4. Mai 2020)

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