Sonntag, 21. April 2013

Lachen bis zum Umfallen – Rembrandts Selbstbildnis als Zeuxis


Rembrandt: Selbstbildnis als Zeuxis (um 1662); Köln, Wallraf-Richartz-Museum
(für die Großansicht einfach anklicken)
Vor einem äußerst dunkel gehaltenen Hintergrund blickt uns ein lachender alter Mann entgegen. Es ist Rembrandt selbst (1606–1669). Sein Gesicht wird von starkem Schlaglicht erfasst, seine Stirn leuchtet hell. Auch Kopfbedeckung und der Schal (es könnte sich auch um eine Mantelschärpe handeln) schimmern im Schlaglicht golden. Durch die Lichtregie wirkt der alte Mann, als habe er sich gerade zu uns nach vorne gebeugt. So entsteht der Eindruck einer Momentaufnahme, der auch durch den lachenden Mund und die hochgezogenen Augenbrauen betont wird. Das breite goldene Tuch und die Kette um seinen Hals verleihen ihm eine gewisse Vornehmheit. Ein kleiner goldener Lichtreflex am Ohrläppchen deutet einen Ohrring an. Die pastose Malweise im Gesicht wirkt geradezu, als hätte Rembrandt Wange, Nase und Stirn aus Ton geformt. Die unebene Hautoberfläche, „die aus unvermalten fleckigen Farbsetzungen von grober Textur gebildet ist, wobei hart aufeinanderstoßende Licht- und Schattenpartien das Antlitz zerklüften, lässt das Inkarnat spröde und schuppig wirken“ (Suthor 2014, S. 179). Ebenso wirkt die stoffliche Beschaffenheit des Schals aufgelöst: Die Farbe scheint zu einer zähflüssigen Materie zu gerinnen, die nach unten zieht, sich ausdünnt und im Dunkel versackt“ (Suthor 2014,S. 180). Erst nach und nach erkennen wir, dass die Gestalt einen Malstock in der Hand hält und vor einer Leinwand steht, auf der eine ältere weibliche Person mit Goldschmuck um den Hals dargestellt ist. Sie wird vom linken Bildrand überschnitten, sodass von ihrem Gesicht nur wenig mehr als eine Hakennase und ein vorstehendes Kinn erkennbar sind.
Lange Zeit hat man in diesem Selbstbildnis ein Rollenporträt erkennen wollen: Rembrandt habe sich als den lachenden Philosophen Demokrit dargestellt (so z. B. Schama 2000, S. 677); mit der gemalten Person sei deswegen wahrscheinlich der dazugehörige Philosoph Heraklit gemeint. Heute ist man sich weitgehend darin einig, dass das Kölner Selbstbildnis eine Episode aus dem Leben des antiken Malers Zeuxis erzählt. Der habe in hohem Alter eine alte hässliche Frau gemalt, was ihn so heftig habe lachen lassen, dass er dabei gestorben sei. Der griechische Künstler Zeuxis, der in Athen gegen Ende des 5. Jahrhunderts v.Chr. lebte und arbeitete, wurde von den Kunsttheoretikern der Antike für seine außergewöhnlichen Fähigkeiten als Maler gepriesen. Als er z. B. den Auftrag erhielt, ein Bild mit dem Thema der Helena von Troja zu malen, ließ Zeuxis die fünf schönsten Mädchen aus der Nachbarschaft Modell stehen. Von jeder wählte er die schönsten Körperteile und kombinierte sie zur Darstellung einer idealen Schönheit.
Arent de Gelder: Selbstbildnis als Zeuxis (um 685); Frankfurt, StädelMuseum
Arent de Gelder (1645–1727), ein Schüler Rembrandts, hat die Anekdote vom kuriosen Tod des Zeuxis in einem um 1685 entstandenen Gemälde aufgegriffen und mit einem Selbstporträt verknüpft. Der Maler sitzt an einer Staffelei und blickt breit grinsend über seine Schulter. Ganz links posiert die runzlige alte Frau mit einem Apfel oder einer Orange in der Hand, der in der klassischen Mythologie an Venus als der schönsten Göttin überreicht wird. De Gelders Gemälde hat wesentlich dazu beigetragen, das tatsächliche Thema von Rembrandts Selbstbildnis zu identifizieren, denn es gibt auffallende Übereinstimmungen zwischen den beiden Bildern. Von keinem anderen Maler gibt es eine Darstellung der Zeuxis-Episode, nur Rembrandt und Arent de Gelder haben sie zum Bildthema gemacht. Möglicherweise hatte de Gelder das Gemälde seines Lehrers gesehen, als er zwischen 1662 und 1664 in dessen Amsterdamer Atelier arbeitete, und nahm es später zum Ausgangspunkt für sein eigenes Bild.
Dass Rembrandt nicht die alte Frau selber wiedergibt, sondern das Porträt, das Zeuxis von ihr anfertigt, wird am ehesten deutlich, wenn man vor dem Original im Kölner Wallraf-Richartz-Museum steht: Rechts von der weiblichen Figur befindet sich eine dunkle Fläche, deren Kontur sich als eine vertikale Linie gegen den etwas helleren Hintergrund abzeichnet. Damit ist wahrscheinlich der Rand der Leinwand angegeben, die vor dem Maler auf einer (unsichtbaren) Staffelei steht. Das „Rembrandt Research Project“ hat bei seiner Untersuchung des Bildes festgestellt, dass links wohl ein 10 cm breiter Streifen abgeschnitten wurde und an den anderen Seiten ebenfalls schmale Streifen fehlen. Das bedeutet, dass von der Figur links ursprünglich sehr viel mehr zu sehen war, als das heute der Fall ist.
Rembrandt: Homer (1663, Fragment); Den Haag, Mauritshuis
In seiner freien und pastosen Malweise ähnelt das Zeuxis-Selbstporträt Rembrandts Homer, einem Gemälde, an dem er in den Jahren 1661 bis 1663 gearbeitet hat (siehe meinen Post „Antikes Dreigestirn“). In beiden Fällen ist das goldglänzende Tuch mit langen Strichen und dicken, mit dem Palettenmesser aufgetragenen Höhungen gemalt. Ebenso vergleichbar ist die Wiedergabe der Köpfe, die mit kräftigen Bewegungen in die nasse Farbe modelliert sind.

Literaturhinweise
Białostocki, Jan: Rembrandts Terminus. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 28 (1966), S. 49-60;
Blankert, Albert: Rembrandt, Zeuxis and Ideal Beauty. In: Josua Bruyn u.a. (Hrsg.), Album Amicorum J.G. Van Gelder. Den Haag 1973, S. 32-39;
Giltaij, Jeroen: Rembrandt Rembrandt. Ausstellungskatalog Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main 2003. Edition Minerva, Wolfratshausen 2003, S. 208-210;
Mai, Ekkegard: Rembrandt – Selbstbildnis als Zeuxis. Ein Werk aus dem Wallraf-Richartz-Museum – Fondation  Corboud. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2002;
Müller, Jürgen: Rembrandt Harmensz van Rijn, Selbstbildnis als Zeuxis, um 1633. In: Ulrich Pfisterer/Valeska von Rosen (Hrsg.), Der Künstler als Kunstwerk. Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Philipp Reclam, Stuttgart 2005, S. 92;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000;
Sevcik, Anja K. (Hrsg.): Inside Rembrandt 1606 – 1669. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 326-329;
Suthor, Nicola: Rembrandts Rauheit. Eine phänomenologische Untersuchung. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014, S. 173-181;
White, Christopher/Buvelot, Quentin (Hrsg.): Rembrandts Selbstbildnisse. Belser Verlag, Stuttgart 1999, S. 216-219.

(zuletzt bearbeitet am 3. März 2021)

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