Sonntag, 21. Juni 2020

Das Porträt im österreichischen Expressionismus (4): Egon Schiele malt Eduard Kosmack

Egon Schiele: Bildnis Eduard Kosmack (1910); Wien, Österreichische Galerie Belvedere
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Dieses Porträt des 30-jährigen Wiener Verlegers Eduard Kosmack (1880–1947), in dessen Verlag die Zeitschriften „Der Architekt“ und „Das Interieur“ erscheinen, gehört zu einer Reihe eindrucksvoller Bildnisse, die Egon Schiele (1890–1918) 1910 geschaffen hat. Das Schiele-Porträt von Arthur Roessler wurde von mir bereits vorgestellt (siehe meinen Post „Das Porträt im österreichischen Expressionismus“). Seit 1910 war Roessler Redaktionsleiter von „Das Interieur“; auf Roessler geht angeblich auch der Kontakt zwischen Kosmack und Schiele zurück, und er regte auch den Auftrag zu Kosmacks Bildnis an.
Egon Schiele: Bildnis Arthur Roessler (1910); Wien, Historisches Museum
Während sich Roessler auf seinem Porträt vom Betrachter abwendet, sitzt Kosmack in streng frontaler und symmtrischer Haltung vor uns. Der ihn umgebende Bildraum ist gänzlich leer. Von dem farblich horizontal in zwei Zonen geteilten, weißlich-grauen Hintergrund hebt sich die leicht aus der Mittelachse gerückte Gestalt mit scharfen kantigen Konturen ab. Austariert wird sie durch die Signatur Schieles („S·10·“) am rechten Oberarm und eine am linken Bein Kosmacks bzw. am unteren Bildrand platzierte Sonnenblume. Der Verlegers wirkt angespannt in seiner Sitzposition, die Schultern sind leicht nach vorn gezogen; die auf dem Roessler-Bildnis expressiv vorgezeigten Hände sind hier zwischen die Knie geklemmt, ja, sie werden regelrecht in die Zwinge genommen, als ob Kosmack an sich halten und sich zügeln müsste. Auch die Arme sind krampfhaft an den Leib gedrückt. „Alles an diesem Mann drückt Zwang und Gepreßtheit aus“ (Schröder 1995, S. 83). Durch den beidseitig konkaven Umriss wirkt der Körper „wie von einer unsichtbaren Macht“ (Jurkovič 1997, S. 110) zusammengedrückt, während die weit aufgerissenen Augen den Betrachter mit einem starren Blick aus großen, hellen Augen fixieren. In diesem Blick, der den Betrachter mehr als alles andere anzieht und den Eindruck einer kaum gebändigten Unruhe vermittelt, „kulminiert das Bild“ (Natter 2017, S. 485).
Schiele greift in seiner Bilderfindung auf Elemente zurück, die dem symbolistischen Figurenbild entstammen. Frontalität und Symmetrie, die das Porträt Kosmacks auszeichnen, lassen sich aus Ferdinand Hodlers Gemälde Die Lebensmüden von 1892 ableiten. Schiele kannte es aus eigener Anschauung, da es sich damals im Besitz seines Mäzens und Freundes Carl Reininghaus befand. Der Körperumriss und die bedrohliche Atmosphäre wiederum erinnern an Edvard Munchs Pubertät (1893), während sich die stechenden Augen mit dem „dämonischen“ Blick diabolischer Gestalten wie etwa Franz von Stucks Luzifer (um 1890) vergleichen lassen. 
Ferdinand Hodler: Die Lebensmüden (1892); München, Neue Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken)
Edvard Munch: Pubertät (1893); Oslo, Nationalgalerie
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Franz von Stuck: Luzifer (um 1890); Sofia, National Gallery for Foreign Art
Die Pose des Porträtierten und seine beinahe aggressive Fixierung auf den Betrachter lassen die Komposition trotz ihrer äußerlichen Statik zum Zerreißen gespannt erscheinen. Dass Schiele in diesem Bildnis auch bzw. vor allem seine eigene Situation als junger, rebellischer, von der Gesellschaft ignorierter und isolierter Künstler anklingen lässt, dürfte auch Kosmack nicht entgangen sein, der als „stiller, feiner, zurückgezogener Mensch“ beschrieben wird (Nebehay 1989, S. 124). Kosmack hat das Bild, obwohl ein Auftragswerk, zwar besessen, aber offensichtlich nie bezahlt. Der Beziehung der beiden Männer scheint dies aber kaum Abbruch getan zu haben. Nach dem Ersten Weltkrieg, als Kosmack im Zuge von Inflation und Weltwirtschaftskrise sein Vermögen verlor, musste der ehemalige Verleger als Angestellter in den Wiener Kunsthandel wechseln. Ab 1927 leitete er den Bayerischen Kunstgewerbeverein in München, wo er 1947 starb.

Literaturhinweise
Jurkovič, Harald: Egon Schiele, Edard Kosmack. In: Edwin Becker/Sabine Grabner, Wien 1900. Der Blick nach innen. Waanders Uitgevers, Zwolle 1997, S. 110-113;
Nebehay, Christian M.: Egon Schiele. Von der Skizze zum Bild. Die Skizzenbücher. Brandstätter Verlag, Wien 1989;
Schröder, Klaus Albrecht: Egon Schiele. Eros und Passion. Prestel-Verlag, München 21998.

1 Kommentar:

  1. Sehr geerter Herr Schnabel!
    Immer wieder schaue ich mit großem Vergnügen als Kunststudent nach Ihren Posts, die immer einen umfassenden Überblick zu einzelnen Kunstwerken mit ausgezeichneter Literaturangabe dankenswerterweise bieten.
    Velleicht kümmern Sie sich gelegentlich um Giorgio de Chririco?
    Mit freundlichem Dank, Ihr
    W. Adelssen

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