Samstag, 24. Mai 2025

Harmonie von Farbe und Licht – „Die Mutter“ von Pieter de Hooch

Pieter de Hooch: Die Mutter (um 1662); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)

Eine Frau sitzt neben einer Korbwiege und hat wohl soeben ihr Kind gestillt, das wir allerdings nicht sehen. Aus heutiger Sicht setzen wir voraus, dass es sich um die Mutter handelt, aber das Bild ist um 1662 entstanden, und im 17. Jahrhundert war es nicht selbstverständlich, dass eine Mutter ihren Säugling selbst stillt, vor allem nicht in den höheren Gesellschaftsschichten. Das blieb häufig einer Amme überlassen. Auf unserem Bild von Pieter de Hooch (1629–1684), einem holländischen Genremaler, trägt die Mutter eine elegante schwarze Jacke mit Pelzbesatz und darunter ein rotweißes Schnürmieder. Die Wiege steht vor einem Alkoven, der von einem gestreiften Vorhang zur Hälfte verdeckt wird, daneben hängt ein glänzender Bettwärmer aus Messing und an der Seite an einem Garderobenhaken ein roter Mantel. Die Mutter beginnt, sich das zum Stillen geöffnete Mieder wieder zu schnüren, hält aber kurz inne, wendet sich nochmals ihrem Baby zu und nimmt liebevoll lächelnd Blickkontakt zu ihm auf; ihre ausgestreckte rechte Hand, in der sie die Miederschnur hält, unterstreicht ihre Blickrichtung.

Eine Tür auf der rechten Seite der Wohnung führt in ein von warmem Licht erhelltes Foyer oder vorhuis: Hier steht ein kleines Mädchen, im verlorenen Profil gezeigt, nahe der offenen Halbtür und blickt nach draußen ins Freie. Der untere Teil des hoch angesetzten Fensters am rechten Bildrand ist mit hölzernen Läden verschlossen; durch die obere Hälfte fällt mildes Tageslicht, das sich diagonal über die Szene ausbreitet. Unter dem Fenster steht an die Wand gerückt ein kleiner Tisch mit Kerzenleuchter und Keramikkrug; ein Hündchen verharrt dicht neben der Mutter auf dem gekachelten Fußboden, auf dem sich nicht nur das – virtuos gemalte – von der Haustür hereinströmende Licht, sondern auch die Hinterläufe des Tieres spiegeln.

Der ausgestreckte Arm der Mutter lenkt unseren Blick hin zum Säuling – den wir nicht sehen

Der vom halbdunklen Zimmer vorn abgesetzte lichterfüllte Flur dahinter verleiht den beiden Interieurteilen eindrucksvoll Raumtiefe. Perspektivisch äußerst genau hat de Hooch das Fliesenmuster wie auch die Zimmerdurchblicke konstruiert – sie wurden nachgerade zu einem Markenzeichen des Künstlers. De Hoochs Darstellungen des häuslichen Lebens sind stets von der Architektur des Innenraumes her erdacht und gestaltet. Mit malerischer Sorgfalt sind auf dem Berliner Bild auch die Farbakzente gesetzt: Das kostbare Funkeln des Messings von Wärmepfanne und Kerzenleuchter wie auch das intensive Rot von Wiegendecke, Mieder und Mantel leiten das Auge in sorgsam kalkulierter Abfolge hin zum sonnigen Licht des Vorraums. „Erst aus der Harmonie von Farbe und Licht entsteht jene anheimelnde Sphäre, die der dargestellten Situation angemessen ist“ (Kelch 1998, S. 274).

Die Schwelle, hinter der die Zukunft wartet
Die Mutter wird von de Hooch nicht nur als fürsorglich und liebevoll zugewandt charakterisiert – sie ist offensichtlich auch eine mustergültige Hausfrau, wie der glänzende Fußboden und die auffallende Ordnung des Raumes belegen. De Hooch schreibt in sein Bild auch den kindlichen Entwicklungsprozess mit ein: vom bedürftigen, noch ganz auf die Mutter angewiesenen Säugling hin zum Kleinkind, mit immer größerer Bewusstwerdung seiner selbst und der Außenwelt, für die das einfallende Sonnenlicht steht. Das junge Mädchen geht auf die Schwelle zu, hinter der seine Zukunft wartet: sich allmählich ablösen von der Mutter (von der sie sich ja schon behutsam abgewendet hat), hinaustreten, um das Draußen zu entdecken, und zunehmend eigenständiger werden als erwachsene Frau.

Pieter de Hooch: Das Schlafzimmer (1669); Washington D.C., National Gallery of Art
Pieter de Hooch: Junge Mutter und Dienerin (1664); Wien, Kunsthistorisches Museum
Nicolaes Maes: Der unartige Trommler (um 1655); Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza

Das Berliner Gemälde zeigt eine der schönsten und einfühlsamsten häuslichen Szenen, die de Hooch geschaffen hat, und es ist zugleich ganz und gar charakteristisch für seine Werke der 1660er Jahre, wie etwa Das Schlafzimmer aus Washington D.C. oder Junge Mutter und Dienerin in Wien. Es galt früher als ein Werk von Nicolaes Maes (1634–1693), dessen Frühwerk de Hoochs häusliche Szenen wahrscheinlich beeinflusst hat; als Beispiel sei hier Der unartige Trommler aus Madrid genannt (um 1655).

 

Literaturhinweise

Gemäldegalerie Berlin (Hrsg.): Von Frans Hals bis Vermeer Meisterwerke holländischer Genremalerei. Weidenfeld Kunstbuch GmbH, Berlin 1984, S. 196-198;

Giltaij, Jeroen (Hrsg.): Der Zauber des Alltäglichen. Holländische Malerei von Adriaen Brouwer bis Johannes Vermeer. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2005, S. 237-239;

Kelch, Jan: Pieter de Hooch, Die Mutter (um 1661/1663). In: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin 1998, S. 274.


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