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Jean-Auguste-Dominique Ingres: Der Tod des Leonardo (1818); Paris, Petit Palais (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der Tod des Leonardo des französischen Malers Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780–1867) ist ein Beispiel für die sogenannte „Troubadour“-Malerei des frühen 19. Jahrhunderts. Gemeint sind damit Genrebilder französischer Künstler mit historischen, anekdotenhaften Inhalten, die vor allem geschichtliche und literarische Themen des Mittelalters und der Renaissance zum Gegenstand haben. Sie zeichnen sich formal durch eher kleine Formate, ein buntfarbiges Kolorit und eine kleinteilige Gestaltung aus. Diese Werke kommen gegen Ende der napoleonischen Herrschaft in Mode und florieren während der gesamten bourbonischen Restauration (also bis zur Julirevolution von 1830). Ihnen allen gemeinsam ist der nostalgisch-sentimentale Blick auf eine vorrevolutionäre Welt. Dabei wird versucht, „durch eine Psychologisierung der handelnden Personen den Menschen hinter der Rolle des Helden zu entdecken“ (Fleckner 2000, S. 68). Damit wandelt die „Troubadour“-Malerei erkennbar die traditionelle Ausrichtung der Historienmalerei und ihrer Bildhelden ab.
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Jean-Auguste-Dominique Ingres: Heinrich IV. spielt mit seinen Kindern (1817); Paris, Petit Palais (für die Großansicht einfach anklicen |
Der Tod des Leonardo (1818) war als Pendant zu einem Bild gedacht, das Ingres ein Jahr zuvor angefertigt hatte; beide Gemälde zeigen die französischen Könige Franz I. (1494–1547) und Heinrich IV. (1553–1610) in betont anrührenden Szenen: Franz I. steht dem sterbenden Künstler Leonardo da Vinci in seinen letzten Minuten bei, und Heinrich IV. lässt einen spanischen Gesandten warten, um mit seinen Kindern zu spielen. Die Anregung zu Der Tod des Leonardo erhielten Auftraggeber, Ingres’ Mäzen Graf de Blacas, und Maler aus den „Vite de‘ piu eccellenti architetti, pittori ed scultori italieni“ des Künstlerbiografen Giorgio Vasari (1511–1574), die er 1550 und dann nochmals in zweiter Fassung 1568 veröffentlichte. Dort heißt es über Leonardo:
„Schließlich alt geworden, lag er mehrere Monate krank darnieder, und als er sich dem Tod nahe sah, wandte er sich voller Eifer den Grundsätzen des katholischen Glaubens, des rechten Pfades und der heiligen christlichen Religion zu. Nachdem er unter vielen Tränen gebeichtet und seine Reue gezeigt hatte, wollte er aus Frömmigkeit das Heilige Sakrament nicht im Bett empfangen und stützte sich auf die Arme seiner Freunde und Diener, da er sich selbst nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Schließlich traf auch der König ein, der ihm oftmals liebevolle Besuche abzustatten pflegte. Leonardo, der sich ehrfurchtsvoll in seinem Bett aufgerichtet hatte, berichtet ihm von seinen Vergehen und ihren Auswirkungen und gestand, wie sehr er sich gegen Gott und die Menschen versündigt hatte, indem er seine Kunst nicht so ausgeübt hatte, wie er es hätte tun sollen. Dann überkam ihn ein Anfall, ein Vorbote des Todes, und damit er ihm helfen und Beistand leisten könne, erhob sich der König und hielt Leonardos Kopf, um seinen Schmerz zu lindern und ihm seine Gunst zu erweisen. Im Bewußtsein der großen Ehre, die ihm hier widerfuhr, verschied dieser göttlich Inspirierte in seinem fünfundsiebzigsten Lebensjahr in den Armen des Königs“ (Vasari 2006, S.45-46). Es handelt sich hierbei allerdings ohne Zweifel um eine der zahlreichen Künstlerlegenden, die von Vasari in seinen Biografien immer wieder eingestreut werden.
Das von dunklen Rottönen dominierte Bild ist friesartig aufgebaut: Leonardo liegt in einem großen, von einem hohen Stoffbaldachin bekrönten Bett; König Franz I. beugt sich, halb stehend, halb auf der Bettkante sitzend, über ihn und umfängt dessen Haupt mit der rechten Hand und den Oberkörper mit seiner Linken. Der Profilkopf des Königs ähnelt Tizians Porträt Franz I. im Pariser Louvre. In der rechten Bildhälfte am Fußende des Bettes und hinter dem davor stehenden Sessel des Königs wohnen vier Personen dem Geschehen bei: Besonders hervorgehoben ist ein mit einer schwarzen Jacke und einem schwarzen Barett bekleideter junger Mann, der mit ausgestreckten Armen auf Leonardo und Franz I. weist und sich dabei mit schmerzvoller Miene den hinter ihm Stehenden zuwendet. Hinter dem Bett, halb verdeckt von dem rechten Vorhang des Baldachins, befindet sich eine weitere männliche Gestalt. Am linken Bildrand, hinter dem kleinen Tisch im Vordergrund, kniet ein Mönch, die Hände zum Gebet emporgehoben, hinter ihm steht eine ebenfalls betende Frau.Pierre-Nolasque Bergeret: Ehrungen Raffaels nach seinem Tod (1806); Rueil-Malmaison, Chateaux de Malmaison et Bois-Préau |
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Jean-Auguste-Dominique Ingres: Raffael und La Fornarina (1814); Cambridge, Fogg Art Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
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Raffael: Bildnis des Bindo Altoviti (um 1515), Washington D.C., National Gallery of Art |
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Raffael: La Fornarina (1518/20); Rom, Palazzo Barberini |
Die „Troubadour“-Malerei bot Ingres die Möglichkeit, Meister der Vergangenheit in den Mittelpunkt zu stellen und auf so auf die eigenen künstlerischen Vorbilder hinzuweisen. So hat Ingres hat neben dem Tod des Leonardo mehrere Fassungen des Themas Raffael und La Fornarina geschaffen, in denen sich seine besondere Verehrung für den Renaissancemaler ausdrückt. Die Version im Fogg Art Museum (Cambridge) zeigt Raffael und seine Braut in einem prächtig ausgestatten Atelier. Im Hintergrund erkennt der Betrachter Raffaels Madonna della Sedia von 1513/14 – ein Gemälde, das Ingres als ideales kompositorisches Vorbild galt und das er in nicht wenigen seiner Werke zitiert hat, etwa im Porträt Philibert Rivière (siehe meinen Post „Virtuose Stofflichkeit“) wie auch in Heinrich IV. spielt mit seinen Kindern. Die Gestalt Raffaels wiederum ist dessen Porträt des Bindo Altoviti angenähert und die der Fornarina natürlich ihrem Bildnis in der Galleria Barberini in Rom (siehe meinen Post „Raffaels schöne Bäckerstochter“).
Literaturhinweise
Fleckner, Uwe: Jean-Auguste-Dominique Ingres 1780–1867. Könemann Verlagsgesellschaft 2000;
Mai, Ekkehard/Repp-Eckert, Anke (Hrsg.): Triumph und Tod des Helden. Europäische Historienmalerei von Rubens bis Manet. Electa Spa, Milano 1987, S. 233-235;
Vasari, Giorgio: Das Leben des Leonardo da Vinci. Neu übersetzt und kommentiert. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006;
Vigne, Georges: Jean-August-Dominique Ingres. Hirmer Verlag, München 1995, S. 119-134.
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