Freitag, 2. Mai 2025

Melancholische Zärtlichkeit – Albrecht Dürers „Maria mit dem Kind am Baum“

Albrecht Dürer: Maria mit dem Kind am Baum (1513); Kupferstich
(für die Großansicht einfach anklicken)

Die Marienverehrung nahm in der spätmittelalterlichen Frömmigkeit breiten Raum ein – entsprechend beliebt waren grafische Darstellung der Gottesmutter mit ihrem Sohn für die private Andacht. Albrecht Dürer (1471–1528) hat eine ganze Reihe von Kupferstichen mit ganz unterschiedlichen Marienbildern angefertigt, die ich in loser Folge vorstellen möchte. Nach seiner Maria mit der Meerkatze (siehe meinen Post „Italian Style“) und der Maria mit dem Kind an der Mauer (siehe meinen Post „Traurige Gelassenheit“) schaue ich hier die Maria mit dem Kind am Baum von 1513 etwas genauer an.

Dürer griff bei seiner Maria mit dem Kind am Baum auf eine alte Bildtradition zurück, deren Wurzeln in der byzantinischen Ostkirche zu finden sind: Seine Darstellung folgt dem Typus der Eleusa („Die Barmherzige“), ein in Byzanz seit dem 11. Jahrhundert eingeführter marianischer Ehrentitel, bei dessen bildlicher Umsetzung die Köpfe von Mutter und Kind sich kosend berühren. Zärtlich, doch mit melancholischer Miene hält Dürers Maria ihren Sohn, wobei das Kind auf ihrem rechten Arm sitzt, während ihre Linke behutsam seine Taille umgreift. Der Knabe wiederum hat den Kopf zum Betrachter umgewendet, den er ernst, beinahe vorwurfsvoll anblickt. Sein praller kindlicher Körper betont die Leiblichkeit und damit das Menschsein des Gottessohns. Dürer hat, dem Gesichtsausdruck der beiden Figuren entsprechend, Hinweise auf Kreuzestod und Auferstehung Christi in die Darstellung eingearbeitet: So sind die Stangen der hölzernen Umzäunung in Kreuzform zusammengebunden, und die ausgehöhlte Rasenbank kann als Verweis auf das leere Grab verstanden werden – sie ruft das Ostergeschehen in Erinnerung, dem das Leiden Christi voranging.

Trotz dieser Passions- und Auferstehungssymbolik zeichnet sich der Kupferstich vor allem durch die Lebensnähe der innigen Mutter-Kind-Beziehung aus, die Dürer noch durch den Verzicht auf Heiligenscheine oder Glorienstrahlen verstärkt. Vom fränkischen Alltag hebt sich diese Frau dennoch durch den Maria vorbehaltenen, pelzbesetzten Mantel mit seiner gotischen Fältelung ab. Außerdem hat Dürer sie mit einem um ihr Haupt geschlungenen Perlendiadem versehen, das ihr als „Königin des Himmels“ zusteht.

Albrecht Dürer: Hl. Familie mit der Libelle (1495); Kupferstich
Albrecht Dürer: Maria mit der Meerkatze (1498); Kupferstich

Dürer macht bei der Maria mit dem Kind am Baum eine ganze Reihe von Anleihen bei seinen früheren Marien-Stichen: In der Grundstimmung wie in der Gewandbildung klingt die Heilige Familie mit der Libelle von 1495 an. Die aus Brettern und Pfosten gezimmerte Rasenbank findet sich vergleichbar bei der Maria mit der Meerkatze (1498). Den Zaun um den „Hortus conclusus“, der in der deutschen Malerei um 1400 als marianische Örtlichkeit aufkam, entnahm der Künstler seiner Stillenden Maria von 1503, und das Motiv des hinterfangenden Baumstamms setzte er schon bei der Maria mit der Birne (1511) ein.

Albrecht Dürer: Maria auf der Rasenbank (1503); Kupferstich
Albrecht Dürer: Maria mit der Birne (1511); Kupferstich

Solche Rückgriffe auf vertraute Bildelemente sind wahrscheinlich von Dürer gezielt publikumsfreundlich und verkaufsfördernd vorgenommen worden: „Gerade Dürers gestochene Marien verraten die Gültigkeit der von ihm in der Frühzeit entwickelten Bildformen. Konservatismus ist hier Marktstrategie“ (Mende 2000, S. 163). Die Formen der damaligen persönlichen Frömmigkeit und der privaten Andacht muss man sich als besonders beharrlich denken – das gilt besonders für einen kleinen, aber kunstverständigen Empfängerkreis: die Frauenklöster in Nürnberg und im Nürnberger Landgebiet.

Raffael: Madonna dei Tempi (1507); München, Alte Pinakothek

Die Zärtlichkeit, mit der Maria ihr Kind an sich drückt und sich die Gesichter berühren, und ebenso der Blick des Jesuskindes über die Schulter hin zum Betrachter erinnern an die Madonna dei Tempi von Raffael (1507). Allerdings gibt es keinen Beleg dafür, dass Dürer das italienische Gemälde, einen Nachstich oder eine wie auch immer geartete Kopie kannte.

Jan Gossaert: Maria mit dem Kind (1522); Kupferstich

Dürer nutzte seine niederländische Reise 1520/21 unter anderem dazu, seine Druckgrafik zu lancieren – mit beachtlichem finanziellem Erfolg, wie sich nachweisen lässt, denn der Nürnberger Meister führte Buch über seine Verkäufe. Ebenso erfolgreich verlief die zeitgleich einsetzende Rezeption durch niederländische Künstler. So schuf der Maler Jan Gossaert (1478–1532) 1522 einen Kupferstich, der sich ganz offenkundig an Dürers Maria mit dem Kind am Baum anlehnt – als unmissverständliches Dürer-Zitat hat die an einem Ast aufgehängte Inschriftentafel Hommage-artigen Charakter.

 

Literaturhinweise

Mende, Matthias: Maria mit dem Kinde am Baum. In: Matthias Mende u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 163-164;

Preising, Dagmar u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Apelles des Schwarz-Weiß. Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen 2004, S. 1192-193;

Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer als Erzähler. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Ludwig & Höhne, Schweinfurt 1995, S. 44.


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