Samstag, 3. Mai 2025

Auch du schaust zu – Albrecht Dürers Holzschnitt „Die Schaustellung Christi“

Albrecht Dürer: Die Schaustellung Christi (um 1498); Holzschnitt
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Albrecht Dürer (1471–1528) veröffentlichte 1511 in Buchform eine zwölfteilige, heute Große Passion genannte Holzschnitt-Folge, die mit lateinischen Hexameter-Versen von Benedictus Chelidonius versehen war. In großen Bänden konnte man diese Passionserzählung auch vereint mit seinen beiden anderen bedeutenden Holzschnitt-Serien, dem Marienleben (siehe meinen Post „Ein Buch für die Himmelskönigin“) und der Apokalypse (siehe meinen Post „Kunstvoller Weltuntergang“), erwerben. Etwa zur gleichen Zeit entstanden die besonders ausführliche Kleine Passion mit 37 Holzschnitten (1509/10, 1511 gedruckt) und die 15-teilige Kupferstich-Passion (1507–1512; siehe meinen Post „Ruhender Pol im Tumult“). Dürers Druckgrafik belegt eindrücklich, dass sich der Künstler in allen Stadien seines Schaffens intensiv mit der neutestamentlichen Heilsgeschichte beschäftigt hat.

Die Große Passion gilt als inhomogene Grafik-Folge, da sich die einzelnen Blätter stilistisch erkennbar voneinander unterscheiden. Dies lässt sich durch den langen Zeitraum erklären, in dem die Holzschnitte entstanden sind: Die frühesten sind um 1496 angefertigt und die letzten um 1510 hinzugefügt worden. Ähnlich wie in Dürers Apokalypse zeichnen sich die zwischen 1496 und 1500 entstandenen Blätter besonders durch ihre szenische Dramatik aus. Die um 1498 datierbare Schaustellung Christi, um die es hier gehen soll, gehört zu diesen frühen Blättern der Großen Passion, die Dürer auch als Einzeldrucke vertreiben ließ.

Albrecht Dürer: Geißelung Christi (1496/97); Holzschnitt
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Nach seiner Geißelung wird Christus, jetzt angetan mit einem Spottmantel und der Dornenkrone, die in dem vorhergehenden Holzschnitt rechts unten bereitliegt, von Pilatus der schaulustigen Menge vorgeführt. Die Szene wird allein im Johannes-Evangelium geschildert (Johannes 19,5-6). Christus steht links oben auf dem Treppenabsatz vor dem Palast des römischen Präfekten, der durch die Skulptur eines bocksbeinigen Sartyrs als Haus eines Heiden charakterisiert ist.

Albrecht Dürer: Die Marter des Evangelisten Johannes (1496/97); Holzschnitt
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Wie in der Marter des Evangelisten Johannes aus Dürers Apokalypse ist der heidnische Herrscher als Türke wiedergegeben. Damit stellt der Künstler einen deutlichen Zeitbezug her: Die Herrschergestalt verweist auf die türkische Gefahr, die der Christenheit in der damaligen Zeit drohte; ebenso aktualisiert bzw. ganz zeitgenössisch ist auch die Bekleidung der mit Lanzen bewaffneten Menge. Ein Mittel der Aktualisierung sind auch die gotischen Architekturelemente des Palastes und die Fachwerkhäuser des Hintergrundes, die dem Betrachter helfen sollen, das Geschehen als heutig zu empfinden.

Die nach unten weisenden Arme des Pilatus, das Treppengeländer und das Schwert des Ritters am rechten Rand bilden eine Diagonale von links oben nach rechts unten. Damit wird der Betrachter bereits auf die Bewegung nach unten vorbereitet, die Christus auf dem nächsten Blatt auch tatsächlich ausführen wird. Dieser Linie folgend, steht Jesus unterhalb der Stufen ein Pharisäer mit weitem Mantel gegenüber, der mit Blick und Gebärde am deutlichsten zu ihm in Beziehung tritt. Die Diagonale von links oben nach rechts unten wird von einer zweiten geschnitten, die von links unten nach rechts oben verläuft und den Bildraum teilt: Sie wird durch die fluchtenden Treppenstufen gebildet und lenkt den Blick auf die gebirgige Landschaft hinter dem mittelalterlichen fränkischen Städtchen.

Albrecht Dürer: Kreuztragung Christi (1498/99); Holzschnitt
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Der Ritter, der leicht erhöht auf einem bewachsenen Felsen am rechten Bildrand steht, hat dem Betrachter den Rücken zugekehrt. „Seine ruhige Körperhaltung mit Stand- und Spielbein sowie mit aufgestützter Hand zeigt einen am Tumult weniger Beteiligten, dessen Standpunkt der Betrachter gedanklich einnehmen kann“ (Fröhlich 2002, S. 194). Eine solche Rückenfigur, die dem Betrachter ermöglicht, am Bildgeschehen Anteil zu nehmen, setzt Dürer dann auch im folgenden Holzschnitt, der Kreuztragung Christi, ein. Am Platz des Ritters steht dort gleichfalls ein Soldat mit aufgerichteter Hellebarde.

Der römische Statthalter hat sich über eine mit Kissen belegte Brüstung gelehnt und wendet sich Christus zu, den er mit im Matthäus-Evangelium überlieferten Worten anzusprechen scheint: „Hörst du nicht, was sie alles gegen dich vorbringen? Und er antwortete ihm nicht auf ein einziges Wort, sodass sich der Statthalter sehr verwunderte“ (Matthäus 27,13-14; LUT). Die Aufforderung des Pilatus an die Zuschauer: „Sehet, welch ein Mensch!“ (Johannes 19,5; LUT) wird von dem im Schatten des Palasteingangs stehenden Gerichtsdiener, der den „Krönungsmantel“ Christi zurückschlägt, wiederholt. Den Betrachter anblickend, fordert er uns zur compassio auf, zum Mitleiden mit dem gemarterten Erlöser. Die Geste des Präfekten verbindet die aufgebrachte Menge mit Christus und macht sinnfällig, dass dessen Schicksal nicht in seinen, sondern ihren Händen liegt – die seinen daher „sauber“ bleiben. Die Schaulustigen wiederum betrachten Christus innerhalb des Bildes so wie wir als Betrachter von außerhalb. Wir werden so zu einem Teil dieser Volksmenge, die durch ihre Schreie „Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn!“ (Johannes 19,15; LUT) schuldig wird an seinem Kreuzestod. Dieser wird auch durch das Kreuz an der Brüstung vor Pilatus angekündigt.

Martin Schongauer: Ecce Homo (um 1475); Kupferstich
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Albrecht Dürer: Ecce Homo (1512); Kupferstich
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Noch ist es Dürer kein Anliegen, die perspektivische Konstruktion seiner Darstellung konsequent durchzuhalten. So ist etwa das Ziegelmuster der Wand isometrisch dargestellt, der Verlauf der Treppe folgt jedoch schon der Zentralperspektive, die dann im Marienleben von 1513 mustergültig umgesetzt wird. Kompositionelle Anregungen zur Schaustellung Christi lieferte die entsprechende Darstellung aus der Kupferstich-Passion von Martin Schongauer (um 1440–1491; siehe meinen Post „Kunstvoll gestochenes Leiden“), die auch in der später entstandenen Kupferstich-Passion Dürers noch einmal anklingt. Von Schongauers Ecce Homo-Darstellung dürfte auch die Anregung zu der verwachsenen Gestalt am Fuß der Treppe stammen: Bei Schongauer ist ein Hund dargestellt, der vor dem tief in den Bildraum hineingezogenen Treppenabsatz liegt: Wie bei Dürer das Männlein, blickt Schongauers Hund ins Bild hinein.

Albrecht Dürer: Das babylonische Weib (1496/97); Holzschnitt
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Dürers Holzschnitt ist wahrscheinlich im unmittelbaren Anschluss an die Apokalypse entstanden. Auch dort – beispielsweise beim Babylonischen Weib – stehen sich die Gegenspieler in diagonal angelegten Blöcken im Bild gegenüber.

 

Literaturhinweise

Fröhlich, Anke: Die Schaustellung Christi. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte. Prestel Verlag, München 2002, S. 194-196;

Preising, Dagmar u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Apelles des Schwarz-Weiß. Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen 2004, S. 47-49;

Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Die Kunst aus der Natur zu „reyssenn“. Welt, Natur und Raum in der Druckgraphik. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1997, S. 172;

Schröder, Klaus Albrecht/Sternath, Maria Luise (Hrsg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung in der Albertina Wien. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, S. 304-310;

LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

 

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