Caravaggio: Auferweckung des Lazarus (1609); Messina, Museo Regionale (für die Großansicht einfach ankllicken) |
Die Auferweckung des Lazarus wird im Johannes-Evangelium ausführlich beschrieben
(11,1-45). Caravaggio (1577–1610) hat das biblische Ereignis auf einem monumentalen Gemälde (3,80 x 2,75 m),
das 1609 im sizilianischen Messina entstanden ist und zu seinen letzten Altarbildern
zählt, in die Grabeshöhle selbst verlegt. Im Johannes-Evangelium spielt sich die Erweckungsszene vor dem Grab ab. Es handelt sich dabei auch nicht um „eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war“ (Johannes 11,38; EÜ), sondern um eine Kulisse, wie sie bereits in einem früheren Bild des Künstlers begegnet: Die in weiten Teilen freie Bildfläche und die beiden zentral im Vordergrund platzierten Männer mit um den Runpf gewickelten weißen Tüchern erinnern deutlich an das mit 408 x 300 cm noch größer angelegte Begräbnis der hl. Lucia – das erste der sizilianischen Werke Caravaggios, das er nach seiner Landung auf der Insel 1608 für die Kirche Santa Lucia al Sepolcro schuf. Beide Gemälde haben nicht nur eine trostlose Atmosphäre gemein, sondern auch die beinah monochromatische Farbgebung und den Verzicht auf periphere Bilddetails.
Caravaggio: Begräbnis der hl. Lucia (1608); Syrakus, Santa Lucia al Sepolcro |
Unterhalb von Lazarus liegen ein Totenschädel und
Knochen am Boden, die den Ort als Begräbnisstätte kennzeichnen. „Die Steifheit
des Körpers mit den weit ausgebreiteten Armen und dem zurückgesunkenen Kopf
macht anschaulich, dass Lazarus gerade erst im Begriff ist, aus seiner
Totenstarre zu erwachen“ (Schütze 2009, S. 215). Die pathetisch im
Gegenlicht erhobene Hand scheint er der Quelle des Lichts
entgegenzustrecken. Lazarus empfängt das Heil mit kreuzförmig
ausgebreiteten Armen – und weist damit voraus auf die durch den Kreuzestod Jesu
erwirkte Erlösung und die mit ihr verbundene Auferstehung von den Toten.
Caravaggio hat seine Komposition friesartig
aufgebaut. Am rechten Bildrand stehen dicht hinter ihrem Bruder Martha und
Maria; die eine der Schwestern hat sich zu Lazarus hinuntergebeugt
und hält seinen Kopf liebkosend umfangen – sie scheint ihren Bruder regelrecht
wachzuküssen. Das ist durchaus ungewöhnlich, denn in der Bildtradition halten die
beiden Frauen oder ihre Begleiter sich oft die Nasen zu, um dem Leichengeruch
zu entgehen (Johannes 11,39).
Auf der linken Seite steht eine Gruppe aus
Jüngern und den im Evangelium erwähnten Juden, die Christus zur Grabeshöhle
gefolgt waren. Während die dicht gedrängt unmittelbar hinter Jesus stehenden
Männer auf das zentrale Ereignis der Auferweckung blicken, haben sich die drei
hintereinander gestaffelten Personen, die zwischen Christus und Lazarus stehen,
in Gegenrichtung dem Licht zugewandt. Der Eingang der Grabeshöhle liegt außerhalb des Bildes; der durch ihn
einfallende Lichtstrahl lenkt den Blick auf die Gestalt
des Lazarus und veranschaulicht so, dass göttliche Gnade seine Auferweckung bewirkt
hat. Caravaggio
hat die Hand des Lazarus isoliert in die Mitte der Figurenkomposition
gesetzt; das Licht, von dem sie getroffen wird, ist Sinnbild des
wiederkehrenden Lebens. Ganz ähnlich werden auch die Hände des Saulus in
Caravaggios Bekehrung des Saulus (siehe meinen Post „Paulus am Boden“) und die erhobene Hand des Apostels im
Martyrium des Matthäus (siehe meinen Post „Mord am Altar“) von göttlichem Licht erfasst.
Caravaggio: Bekehrung des Saulus (1600/1601); Rom, Santa Maria del Popolo |
Caravaggio: Berufung des Matthäus (1599/1600); Florenz, San Luigi dei Francesi |
Lorenzo Pericolo hat darauf hingewiesen, dass die zentrale Figurengruppe um Lazarus und seine Schwestern wie eine Beweinungsszene aufgebaut ist: „Lazarus’s body replaces Christ’s, whereas Martha’s leaning figure and caressing face stand for those of the bereaved Virgin“ (Pericolo 2011, S. 441). Damit wären in der Auferstehung des Lazarus auch die Kreuzabnahme und Marienklage vorgebildet. Jesus, der von keiner der anderen Personen wirklich wahrgenommen und beachtet wird, erkennt in dem toten Lazarus sein eigenes, ihm von seinem himmlischen Vater vorbestimmtes Schicksal. „In Christ’s separteness thus lie the tragic undertones of The Resurrection of Lazarus“ (Pericolo 2011, S. 445).
Caravaggio hat übrigens in seiner Auferweckung des Lazarus – wie schon in der Gefangennahme Christi (siehe meinen Post „Malerei mit dem Scheinwerfer“) – ein Selbstporträt untergebracht: im Hintergrund, genau über der Hand Christi und ins Profil gewandt, mit zum Gebet gefalteten Händen, dem Erlösung bringenden Licht entgegenblickend.
Caravaggio hat übrigens in seiner Auferweckung des Lazarus – wie schon in der Gefangennahme Christi (siehe meinen Post „Malerei mit dem Scheinwerfer“) – ein Selbstporträt untergebracht: im Hintergrund, genau über der Hand Christi und ins Profil gewandt, mit zum Gebet gefalteten Händen, dem Erlösung bringenden Licht entgegenblickend.
Literaturhinweise
Cassani, Silvia/Sapio, Maria
(Hrsg.): Caravaggio. The Final Years. Electa Napoli, Neapel 2005, S. 125-126;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 192-195;
Halliger, Stephanie: Im Raum zwischen „kanonisch“ und „parabiblisch“. Caravaggios Auferweckung des Lazarus (1609). In: Zeitschrift für Neues Testament 51 (2023), S. 107-130;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 192-195;
Halliger, Stephanie: Im Raum zwischen „kanonisch“ und „parabiblisch“. Caravaggios Auferweckung des Lazarus (1609). In: Zeitschrift für Neues Testament 51 (2023), S. 107-130;
Pericolo, Lorenzo: Narratives
of the Non-Finito: On Caravaggio’s Denial of Saint Peter, The Burial of Saint Lucy, and The Resurrection of Lazarus. In: Lorenzo
Pericolo, Caravaggio and Pictoral Narrative. Dislocating the Istoria in Early
Modern Painting. Harvey Miller Publishers, Turnhout 2011, S. 415-445;
Röttgen, Herwarth: Kreuz und Auferstehung –
Caravaggios Auferweckung des Lazarus. In: Carla Heussler/Sigrid Genischen
(Hrsg.), Das Kreuz. Darstellung und Verehrung in der Frühen Neuzeit. Verlag
Schnell & Steiner, Regensburg 2013, S. 96-113;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige
Werk. Taschen Verlag, Köln 2009, S. 212/215;
EÜ = Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart;
EÜ = Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984,
durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 26. Dezember 2024)
(zuletzt bearbeitet am 26. Dezember 2024)