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| Rembrandt: Anbetung der Hirten (1657); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandts Nachtstücke
gehören ohne Frage zu der beeindruckendsten Gruppe seiner zahlreichen Radierungen.
Sie waren schon zu Lebzeiten des Künstlers bei Sammlern sehr gefragt. Gemeint sind
nächtliche Szenen mit meist biblischen Motiven, die nur durch Lichtquellen wie
Laternen, Fackeln oder Kerzen schwach erhellt werden. Rembrandt setzte bei
diesen Grafiken die Kaltnadeltechnik ein, um einen tiefen, satten Schwarzton zu
erzielen. Zwei dieser Arbeiten will ich hier näher vorstellen, weitere sollen
folgen.
Auf der Anbetung der Hirten
von 1657 sind die in einem nicht näher bestimmbaren Raum verteilten Personen nur
schemenhaft zu erkennen. Allein eine Laterne im Bildzentrum spendet Licht. Da
und dort beleuchtet sie eine Hand, lässt ein Gesicht oder den Kopf eines Tieres
erkennen. Rembrandt gelingt es, durch die extreme Verdichtung der Schraffen überzeugend
die nächtliche Atmosphäre eines abgeschlossenen Raumes wiederzugeben. Wir
müssen als Betrachtende dicht an seine Radierung heranrücken, quasi zum
Geschehen hinzutreten, um wenigstens einige Details ausmachen zu können.
Die
entscheidende Szene
wird jedoch nicht vom Schein der Laterne erfasst. Am rechten Bildrand
erkennen
wir zwischen Stoffen und Stroh den Kopf Mariens und das Antlitz des
schlafenden
Jesusknaben. Dies ist nur dank einer separaten Lichtquelle möglich, die
sich
außerhalb des Bildes befindet – wohl eine zweite Laterne, die Joseph
nutzt, um in einem aufgeschlagenen Buch zu lesen. Der im verlorenen
Profil gezeigte Nährvater Jesu sitzt unmittelbar am rechten Bildrand und
blickt von seiner Lektüre auf, als sich die Figuren auf der linken
Bildhälfte nähern. Auch Maria schiebt die Decken, in die sie eingehüllt ist, beiseite, um zu sehen, wer da kommt.
Es handelt sich um die herbeigeeilten Hirten aus dem
Lukas-Evangelium (2,16; LUT); sie haben sich andächtig dem ruhenden Paar
zugewandt und versuchen trotz des undurchdringlichen Dunkels, einen Blick auf
die friedvolle Szene zu erhaschen. Selbst das Vieh wendet sich der rechten
Bildhälfte zu. Entgegen der Bildtradition zeigt Rembrandt jedoch nicht Ochs und
Esel, sondern nur drei Rinder, deren mächtige Häupter vage im Dunkeln
auszumachen sind. Der Anführer der Hirten mit der Laterne in der Hand lüftet
ehrfürchtig seinen Hut.
Die beschienenen Köpfe
zwischen Stroh und Decken lassen sich zwar als Frau und Kind identifizieren,
doch kennzeichnet Rembrandt sie weder durch einen Heiligenschein noch durch ein
inneres Leuchten. Die Mutter schirmt ihr Kind gegen die Kälte der Nacht und
alle äußeren Einflüsse mit ihrem gesamten Körper ab, auch der Schein der
Laterne schreckt den Knaben nicht aus seinem Schlaf. Allein das sanfte Licht
von außerhalb beleuchtet das direkte Umfeld des Kindes und lässt es erst für
uns sichtbar werden.
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| Gerrit van Honthorst: Anbetung der Hirten (1622), Greifswald, Pommersches Landesmuseum |
Die Anbetung der Hirten als
Nachtszene darzustellen war in den Niederlanden spätestens seit den Werken des
Utrechter Caravaggisten Gerrit van Honthorst (1592–1656) gängig. Anders als bei
seinen Zeitgenossen geht bei Rembrandt das Leuchten aber nicht vom Christuskind
selbst aus, was der Szene ihre religiöse Überhöhung nimmt. „So steht nicht
zuerst die theologische Aussage der Menschwerdung Gottes im Vordergrund, sondern
das alltägliche Motiv einer von der Geburt erschöpften Mutter, die zufrieden
über den Schlaf ihres Neugeborenen wacht“ (Kayser 2017, S. 152). In dieser
Momentaufnahme ist das von allen angebetete Christuskind zuerst „wahrer Mensch“
und erst danach „wahrer Gott“.
Ein Nachtstück ist auch die
1654 entstandene Radierung der Kreuzabnahme Christi. Die einzige
Lichtquelle bildet eine Fackel am linken Bildrand. Der Leichnam Christi ist mit
Hilfe eines weißen Tuches gerade behutsam vom Kreuz herabgenommen worden und liegt in
den Armen eines Helfers. Ein weiterer Helfer, der unterhalb des Erdhügels
steht, streckt die Arme aus, um den Toten in Empfang zu nehmen. Im Vordergrund
legt Joseph von Arimathäa das Leichentuch über eine Bahre, auf der Christus zu
seinem Grab getragen werden soll.
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Rembrandt: Kreuzabnahme Christi bei Fackelschein (1654); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
In bildlichen Darstellungen
der Kreuzabnahme Christi wurde seit dem Mittelalter der anwesende Personenkreis
vor allem um Maria und eine Gruppe von Trauernden erweitert. Gerade die
Mariengruppe nimmt häufig einen wichtigen Platz im Bildgeschehen ein; auf Rembrandts
Radierung aber ist sie in den Hintergrund gerückt und in der Dunkelheit kaum
noch wahrzunehmen. Auch in einem anderen Punkt weicht Rembrandt von der
Bildtradition ab: Das Kreuz bildet nicht mehr den Mittelpunkt der Komposition,
sondern ist fragmentarisch an den linken Rand versetzt. Der seitwärts liegende Leichnam
Christi erinnert in dieser Haltung an mittelalterliche Pietà-Szenen. Der Tote und die Helfer am Kreuz werden durch die horizontale Linie des Erdhügels und die
vertikalen Linien des Kreuzstammes links sowie des Gebäudes im Hintergrund
rechts isoliert und bilden beinahe eine eigene Darstellung innerhalb des
Bildganzen; auch die helle Beleuchtung trägt dazu bei. „Man möchte bald meinen,
daß die Personen hier in einem eigenen Kastenschrein agieren, was zur
kontemplativen Betrachtung dieser Szene auffordert“ (Bevers 1991, S. 272).
Die untere Bildhälfte wird
ganz von den Vorbereitungen zur Grablegung Christi eingenommen. Das Leichentuch
ist nicht nur so hell beschienen wie der Körper Christi und das Tuch am Kreuz,
sondern bildet kompositorisch eine deutliche Parallele zum Leichnam. Rembrandt
zeigt uns nicht den Augenblick, in dem dieser in das Tuch gebettet wird,
sondern die einzelnen Handlungsabläufe, die darauf hinführen. Die Handgriffe
der Freunde erfolgen wie in stillem Einverständnis: Während ein Helfer, dem man
die schwere Last anmerkt, den Leichnam in Händen trägt – es muss ja noch ein
Nagel aus dem Fuß entfernt werden –, streckt ein anderer Begleiter schon die
Hände aus, um den Leib entgegenzunehmen, und breitet Joseph von Arimathäa das
Tuch aus. Dabei wird die vom Licht der Fackel beleuchtete, sich aus der
Dunkelheit heraushebende einzelne Hand zum Sinnbild anteilnehmender Fürsorge,
zum Emblem für den letzten Liebesdienst an dem Ermordeten.
Glossar
Bei der Kaltnadelradierung
wird die Zeichnung unter Kraftaufwand mit einer in Holz gefassten Stahlnadel
oder einer aus massivem Stahl bestehenden, etwas schwereren Radiernadel direkt
in eingeritzt. Dabei bewirkt ein stärkerer Druck der Nadel auch eine stärkere
Linie. Rembrandt kombinierte die Kaltnadel mit der Ätzradiertechnik und
verbreiterte und verband auf diese Weise meisterhaft das Tonwertspektrum beider
Drucktechniken.
Schraffen sind in der Kunst eine zeichnerische Technik, um
durch parallele Linien Schattierungen oder Tonwerte zu erzeugen.
Literaturhinweise
Bevers, Holm u.a. (Hrsg.): Rembrandt. Der Meister und seine
Werkstatt. Zeichnungen und Radierungen. Schirmer/Mosel, München 1991, S. 272;
Hinterding, Erik: Licht. In: Bikker, Jonathan/Weber, Gregor J.M. (Hrsg.), Der späte Rembrandt. Hirmer Verlag, München 2014, S. 177-185;
Kayser, Florian: Die Die Anbetung der Hirten (Nachtstück), um
1657. In: Jürgen Müller und Jan-David Mentzel (Hrsg.), Rembrandt. Von der Macht
und Ohnmacht des Leibes. 100 Radierungen. Michael Imhof Verlag, Petersberg
2017, S. 152;
Schröder, Klaus Albrecht/Bisanz-Prakken, Marian (Hrsg.):
Rembrandt. Edition Minerva, Wolfratshausen 2004, S. 266;
von Berswordt-Wallrabe, Kornelia (Hrsg.): Rembrandt fecit. 165
Rembrandt-Radierungen aus der Sammlung des Staatlichen Museums Schwerin. St.
Gertrude GmbH, Hamburg 1995, S. 86.