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Luca Signorellis gewaltiges Endzeitdrama in ihren verschiedenen Phasen und Schauplätzen
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In den Jahren 1499 bis 1502
schuf der italienische Maler Luca Signorelli (1441–1523) in der Cappella Nova
des Doms von Orvieto einen der beeindruckendsten Freskenzyklen der
italienischen Renaissance. Niemals zuvor war eine so große Fläche in so kurzer
Zeit von einem einzigen Meister bemalt worden. Signorelli hatte damit einen Rekord aufgestellt, der erst von
Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle übertroffen wurde. Dies gilt auch für
die handwerkliche und künstlerische Qualität seiner Fresken. „Obwohl er hier –
wie bei Aufträgen dieses Umfangs üblich – mit Sicherheit von Gehilfen
unterstützt wurde, trägt die gesamte Ausmalung so sehr den Stempel seines
markanten und zeichnerisch brillanten Stils, daß die Anteile der Werkstatt kaum
auszumachen sind“ (Roettgen 1997, S. 388). Eine derart umfangreiche, in die
verschiedenen Phasen und Schauplätze des biblischen Endzeitdramas zerlegte
Darstellung hatte es in der Malerei zuvor nicht gegeben.
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Der Dom von Orvieto – für sich schon ein Hingucker ersten Ranges
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Die Cappella Nova
wurde zwischen 1408 und 1444 am nordöstlichen Ende des Doms als Anbau über
einem rechteckigen, fast quadratischen Grundriss errichtet. Der Besucher
betritt den Kapellenraum durch ein Rundbogentor und sieht sich überaus prächtig
geschmückten Wänden gegenüber. Über einer umlaufenden Sockelzone, die etwa die
Hälfte der Wandfläche einnimmt und ornamentreiche Architektur in Malerei
vortäuscht, blickt er auf die in das Gewölbe hineinragenden Lünetten mit den
figurenreichen Malereien Signorellis. Die Bildfelder werden von den
Mittelrippen der Gewölbe eingefasst, die zunächst vollplastisch und dann als
illusionistisch gemalte Säulen fortgeführt werden. Weitere Malereien
Signorellis überziehen die in jeweils vier Segmente unterteilten Gewölbe. Vom
Eingang fällt der Blick zunächst auf die Südwand der Kapelle, wo sich über dem
von zwei Rundbogenfenstern flankierten Hochaltar noch ein Spitzbogenfenster
befindet. Während in der Hälfte der Kapelle, in der sich der Eingang befindet,
die letzten Tage der Menschheit und die Auferstehung der Toten geschildert
werden, stellte Signorelli im Altarbereich das Jüngste Gericht dar, über dem
Christus als Weltenherrscher thront.
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Luca Signorelli: Die Taten des Antichrist (für die Großansicht einfach anklicken)
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Der Freskenzyklus
beginnt mit den Taten des Antichrist auf der vorderen Hälfte der
Ostwand. Der Antichrist ist dem biblischen Buch der Offenbarung zufolge der in
der Endzeit als Zeichen für die Wiederkunft Christi und das Weltgericht
auftretende Mensch, der als Werkzeug Satans durch Scheinwunder einen gewaltigen
Glaubensabfall verursachen, aber von Christus vernichtet werden wird.
Signorelli hat dieser Figur christusähnliche Züge verliehen, „die ihn als
Parodie des Heilands erscheinen lassen und ihm eine eigentümlich diabolische
Wirkung verleihen“ (Bokern 1999, S. 17). Auf den zweiten Blick erkennt man,
dass sich unter seinen Haaren lange, spitze Ohren verbergen. Der Antichrist
steht auf einem Sockel im Vordergrund, und Satan, der neben ihm steht, flüstert
ihm die Predigt direkt ins Ohr. Die beiden Figuren verschmelzen miteinander,
zumal Satan keinen Unterleib hat und sich kaum bestimmen lässt, ob der linke
Arm dem Antichrist oder seinem Einflüsterer gehört. Um ihn herum hat sich seine
Anhängerschaft versammelt, die wertvolle Gaben zu seinen Füßen abgelegt hat.
Zur Linken des Antichrist erwürgt ein mit einer gestreiften Hose bekleideter
Scherge einen Gegner des falschen Christus, während daneben ein Jude in
kostbaren Gewändern einer Frau Geld aus seiner Börse überreicht. Die den
Antichrist umgebenden Zuhörer setzen sich aus Menschen aller Schichten und
Alter zusammen; es sollen aber auch zahlreiche historische Porträts unter den
Zuschauern zu identifizieren sein.
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Der Antichrist mit dem einflüsternden Satan |
Ausgehend von der
zentralen Szene, wird der Blick des Betrachters in einer Kreisbewegung nach
rechts um das eigentümlich leere Zentrum des Freskos herum durch das Bild
geleitet. Direkt hinter der Figur des Antichrist erblicken wir eine Gruppe
glaubenstreuer Mönche, deren Anführer bereits gen Himmel auf das kommende Ende
des falschen Christus durch das Schwert des Erzengels Michael hinweist. Rechts
hinter den Mönchen ist die Ermordung zweier Widersacher des Antichrist von dem
Tempel Salomos zu beobachten, bei denen es sich vermutlich um die biblischen
Propheten Enoch und Elias handelt – jene zwei Zeugen aus der
Johannes-Offenbarung, die der Überlieferung zufolge von den Anhängern des
Antichrist erschlagen werden. Der Tempel Salomos, das traditionelle Sinnbild
der Kirche, wird von mit Lanzen bewehrten Soldaten gestürmt. Von hier aus wird
der Blick des Betrachters nach links gelenkt, wo eine der falschen Wundertaten
des Antichrist zu sehen ist, der in Nachahmung Christi einen Toten zum Leben
erweckt.
Die letzte
dargestellte Episode schildert die Niederlage des Antichrist und der Armeen von
Gog und Magog gegen den Erzengel Michael, der den falschen Propheten mit einem
Schwert niederschlägt, als dieser versucht, die hochmütigste seiner Taten zu
begehen, nämlich in den Himmel aufzufahren. Der in extremer Verkürzung
dargestellte, von einer Strahlenaureole umhüllte Erzengel stürzt mit einem Hieb
seines Schwertes den Frevler direkt in das Heer seiner grausamen Helfer hinab,
die nun vom göttlichen Strafgericht ereilt werden. Als stiller Beobachter der
Szenerie hat Signorelli unten links ein Selbstporträt eingefügt, ebenso das
eines Dominikanermönches, bei dem es sich vermutlich um Fra Angelico (1395–1455)
handelt. Fra Angelico war im Juni 1447 mit der Ausmalung des Gewölbes
beauftragt worden und hatte den thronenden Christus als Weltenrichter
geschaffen, der umgeben wird von Engelschören und Propheten. Nach 1449 waren
dann keine Maler mehr in der Kapelle tätig, die Freskierung wurde dann erst
wieder 1499 von Signorelli fortgesetzt.
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Luca Signorelli: Das Ende der Welt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der Zyklus setzt sich mit
dem Ende der Welt fort, das zur Linken des Antichrist-Freskos um den
Eingang der Kapelle herum angeordnet ist. Den Übergang vom vorhergehenden
Fresko bilden die Figuren einer Sibylle, die in einem Buch mit ihren
Prophezeiungen blättert, sowie eines predigenden Propheten, der auf das
kommende Unheil weist, und einiger gebannter Zuhörer. Nach der Flut und dem Brand der Meere und Flüsse schwitzen Bäume und
Pflanzen Blut, stürzen die Gebäude ein (der Tempel Salomos liegt nun in
Ruinen), zerbrechen die Felsen. Dann
bebt die Erde und tut sich auf, Berge stürzen ein, die Menschen fliehen aus
ihren Unterschlüpfen, und die Erde spuckt die Toten aus.
Bevor
das Weltgericht beginnt, fallen die Sterne vom Himmel, stirbt alles Lebendige,
und Himmel und Erde brennen. Signorelli lässt diesen Schlussakt mit der
Verdunkelung von Sonne und Mond beginnen und mit einem vom Himmel fallenden
Blutregen. Besonders effektvoll sind die vier Feuerströme, die die geflügelten
Dämonen Im linken oberen Bereich des
Freskos auf die Menschenmenge
herabspeien (Offenbarung 8,7).
Die Menschen kommen aus ihren Verstecken hervor – die Ausweglosigkeit ihres
Schicksals zeigt sich daran, dass sich überall das gleiche Verzweiflungsdrama
abspielt. Am deutlichsten wird dies an der explosiven Dynamik der Figuren im
Vordergrund, die, von dem längsten Feuerstrahl getroffen, zu Boden gestürzt
sind und von den Fliehenden zertreten werden.
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Luca Signorelli: Auferstehung der Toten (für die Großansicht einfach anklicken)
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Die aus dem linken Bildrand
flüchtenden Figuren leiten über zur Darstellung der Auferstehung der Toten,
die sich direkt gegenüber der Taten des Antichrist befindet. Im oberen
Teil dieses Freskos präsentieren sich dem Betrachter zwei große apokalyptische
Engel, die auf Posaunen blasen, von denen Fahnen mit dem Kreuz der Auferstehung
wehen. Es ist der Auftakt zur Auferstehung der Toten, die sich im unteren Teil
des Freskos ereignet. Die Skelette erheben sich aus der Erde, wie es in einer
Vision des alttestamentlichen Propheten Hesekiel vorhergesagt wird: „Des Herrn
Hand kam über mich, und er führte mich hinaus im Geist des Herrn und stellte
mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine. Und er führte
mich überall hindurch. Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld
hin, und siehe, sie waren ganz verdorrt. […] Und siehe, da rauschte es, als ich
weissagte, und siehe, es regte sich und die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu
Gebein. Und ich sah, und siehe, es wuchsen Sehnen und Fleisch darauf und sie
wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen. […] Da kam der
Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füße,
ein überaus großes Heer“ (Hesekiel 37,1-10; LUT). Die Körper sind in den
verschiedenen Stadien ihrer Fleischwerdung dargestellt: Während manche bereits
wieder wie lebendige Menschen aussehen, sind andere noch Skelette. Auf
traditionellen Darstellungen der Auferstehung stiegen die Toten aus ihren
geöffneten Gräbern und Särgen; Signorellis Auferstehende erheben sich dagegen
aus einer glatten, harten Fläche und blicken voller Hoffnung gen Himmel zu den
beiden von Putten begleiteten Engeln. Das
Fresko vermittelt den Eindruck zeitloser Ruhe vor dem tosenden Chaos des
Weltgerichts.
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Fra Angelico: Christus der Weltenrichter (für die Großansicht einfach anklicken) |
In der Gewölbekappe
über dem Altar thront der von anbetenden Engeln umgebene Christus als Weltenrichter
in einer aus Wolken gebildeten Mandorla. Seine Seitenwunde ist deutlich
sichtbar, und in der Linken hält er die von einem Kreuz bekrönte blaue
Himmelskugel, die ihn ebenso wie der Kreuznimbus als Herrscher über das All (Pantokrator)
ausweist. Christus gegenüber erscheinen die. Die erhobene Rechte Christi mit dem
Wundmal und sein Blick sind auf die Verdammten gerichtet, die zu seiner Linken
von Teufeln zum Eingang der Hölle getrieben werden. Getrennt durch das Fenster,
ist zur Rechten Christi (d. h. auf der linken Altarwand) die Berufung der
Erwählten dargestellt. Diese auf der Altarwand vollzogene Scheidung zwischen
Gut und Böse, Himmel und Hölle, findet ihre inhaltliche Ergänzung auf den
jeweils anschließenden Bildfeldern der Seitenwände.
In den Kappen der
Wölbung sind Gruppen von Propheten, Patriarchen, Aposteln, Märtyrern und
Jungfrauen dargestellt, die den Weltenrichter umgeben. Sie werden in der
Johannes-Offenbarung beschrieben und vertreten das Reich Gottes, was sich daran
zeigt, dass diese Felder mit einem geschlossenen Goldgrund hinterlegt sind. Um
ihre Identifizierung zu erleichtern, hat Signorelli sie mit lateinischen
Inschriften versehen. Maria ist der Gewölbekappe zur Rechten Christi mit den
zwölf Aposteln zugeordnet, die Petrus und Paulus als Beisitzer des Weltgerichts
anführen, während Johannes der Täufer in dem noch von Fra Angelico gemalten
gegenüberliegen Feld mit den 16 Propheten erscheint. Maria und Johannes
verweisen durch ihre herausgehobene Position zu Seiten Christi auf das für das
Jüngste Gericht entscheidende Motiv der Fürbitte. In der vierten Gewölbekappe
dieses Joches sind zehn Engel mit den Arma Christi zu sehen, also den
auf die Passion Christi verweisenden Leidenswerkzeuge. Die kompakte Darstellung
der Figurengruppen ist eine bedeutsame ikonographische und formale Neuerung in
der Kunst des 15. Jahrhunderts. Fra Angelico hat mit seinen Fresken den
„Prototypus des Allerheiligenhimmels geschaffen, der insbesondere nach der
Gegenreformation in der Ausmalung von Kuppeln barocker Kirchen zu einem
dominierenden Thema wurde“ (Roettgen 1997, S. 390). In den Zwickeln der
Gewölbekappen steht je eine Posaune blasender Engel – sie verweisen auf die
Auferstehung der Toten aus ihren Gräbern. Signorelli hat sie auf der rechten Wand
dann nochmals wiederholt.
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Luca Signorelli: Eintritt der Seligen in den Himmel (für die Großansicht einfach anklicken)
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Zu beiden Seiten
Christi werden an den Wänden die Ereignisse geschildert, die dem Jüngsten
Gericht folgen: An der Ostwand, zur rechten Jesu, zeigt Signorelli die Krönung
der Auserwählten, auf der östlichen Hälfte der Altarwand den Eintritt
der Seligen in den Himmel. Wie die Auferstehenden sind auch die die nahezu
unbekleideten Seligen Auserwählten alle im idealen Alter von etwa dreißig
Jahren dargestellt. Auffallende viel Menschenpaare stehen beieinander, die an
Adam und Eva erinnern, jedoch anonym bleiben. Einige von ihnen werden von den
Engeln gekrönt, musikalisch begleitet von einem auf Wolken thronenden
Engelorchester mit Saiteninstrumenten. Auch auf dem schmalen Wandfeld der
Altarwand werden die Erwählten von musizierenden Engeln empfangen. Überhaupt spielen
Engel in diesem Freskenzyklus eine beherrschende Rolle. „Diese betonte Rolle
der Engel entspricht der Offenbarung des Johannes, die als Grundlage der
bildlichen Darstellungen des Jüngsten Gerichts anzusehen ist“ (Roettgen 1997,
S. 392). Engel schützen und betreuen nicht nur die Auserwählten, sie
überantworten auch die verdammten ihrem Schicksal. Nie zuvor sind sie jedoch in
so martialischer Aufmachung dargestellt werden – ganz in Eisen gerüstet,
erfüllen die Heerscharen des Weltenrichters ihre Aufgabe.
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Luca Signorelli: Die Verdammten (für die Großansicht einfach anklicken) |
Zur Linken Christi sind
dagegen an der Seitenwand Die Verdammten zu sehen, die von Dämonen
grausam gequält und ins Höllenfeuer geworfen werden, Drei im Himmel stehende Engel überwachen das höllische Chaos und halten
sich mit ihren Schwertern zudringliche Teufel vom Leib. Zwei nackte Leiber
stürzen von oben rücklings in das Flammenmeer des Höllenschlundes, der sich auf
der linken Seite auftut, während ein anderer Teufel eine junge Frau auf seinem
Rücken gefesselt hat und mit ihr durch die Luft fliegt. An der Altarwand
findet der ebenfalls von zwei großen Engeln bewachte Eintritt der Verdammten in
die Hölle statt, bei dem im Vordergrund ein Dämon einen Verdammten mit der
Linken an den Haaren reißt und mit der Rechten auf ihn einschlägt.
Signorellis
Teufel haben bis auf ihre grellen Farben und ihre wilden Gesichter ein geradezu
menschliches Aussehen, wodurch sie zwar den Schrecken des Dämonischen und
Phantastischen verlieren, aber umso unheimlicher wirken. Das Neuartige an
diesen Höllenwesen ist ihre körperliche Vollkommenheit: „Satan und seine Diener
treten als faszinierende Verführer auf, die noch eine Ahnung davon vermitteln,
daß sie einst Engel waren“ (Roettgen 1997, S. 393). Ebenso wohlgestaltet sind
ihre Opfer: Ihre wohlproportionierten und muskulösen Körper weisen keinerlei
Anzeichen der ihnen angetanen Qualen auf. Lediglich ihr Gesichtsausdruck gibt
eine Vorstellung von ihren körperlichen Leiden. Der Boden, auf dem die Menschen
stehen, ist im Höllenbild in starker Aufsicht wiedergegeben, die eine
Staffelung der dicht gedrängten Figurengruppen bis in den Mittelgrund
ermöglicht. Die riesigen, frei in der Luft stehenden Engel erscheinen
frontalansichtig, die herabstürzenden Teufel und Menschen dagegen in starker
Untersicht.
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Signorelli übernimmt Motive aus Dantes Divina Commedia |
Im Zentrum des
Eintritts in die Hölle ist der Fährmann Charon dargestellt, der im Inferno von
Dantes Divina Commedia die Schatten der Toten über den Fluss in die
Unterwelt geleitet. Bei der Gruppe der Verzweifelten auf dem rechten Ufer des
Flusses handelt es sich um die Niederträchtigen, die dazu verdammt sind, ewig
umherzuirren und die noch nicht einmal in der Hölle Aufnahme finden. Den
Vordergrund nimmt eine höchst dramatische Szene ein, in der ein Teufel einen
wehrlos auf dem Boden liegenden Mann massakriert. Hinter ihm erkennt man den
Grimassen schneidenden Minos, nach Dante der Wächter des Höllentores und
Richter der Sünder, an dem mehrfach um seinen Leib gewundenen Schwanz. Szenen
aus der Divina Commedia in die christliche Ikonografie des Jüngsten Gerichts
einzubeziehen, ist eine der erstaunlichsten Neuerungen, die Signorelli seinen Fresken
hinzufügte. An der östlichen Seiten- und an der Altarwand finden sich weitere elf
Szenen aus Dantes Werk, nun in Grisaille-Malerei ausgeführt. Sie illustrieren
das Purgatorio, Dantes Fegefeuer, das die Vorstufe zum Himmelreich und
damit einen Ort des Übergangs zwischen Leben und Tod bildet.
In der Sockelzone der
Kapelle hat Signorelli sechs Dichter porträtiert, darunter auch Dante, der hier
als einziger neuzeitlicher Autor zwischen antiken Poeten erscheint. Beinahe
alle Dichter sitzen an schreibpultartigen Fenstersimsen und sind von Büchern
umgeben; ihre Bildnisse werden von Grotesken, aber auch von Grisaille-Szenen
umfangen, die Werke des jeweiligen Autors verbildlichen. Die Identifikation der
einzelnen Dichterporträts ist allerdings äußerst umstritten.
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Luca Signorelli: Dante |
Die Fresken an den
Seitenwänden des Eingangsbereichs sind, beginnend mit den Taten des
Antichrist, in ihrer historisch-dramatischen Abfolge horizontal im
Uhrzeigersinn zu betrachten. Mit dem Ende der Geschichte endet auch die
Chronologie der Fresken: Im Altarbereich der Kapelle, dessen Szenarien im
Gegensatz zur irdischen Umgebung nun in eine himmlische Sphäre versetzt sind,
gibt es keine zeitliche Ordnung, das Zentrum ist Christus. „Es entsteht so ein
Kontrast zwischen Welt und Geschichte gegenüber Jenseits und Ewigkeit“ (Bokern
1999, S. 20). Die auf den Fresken
gezeigten Szenen sollen als simultan ablaufende Ereignisse des
Weltgerichtsdramas betrachtet werden. Daraus erklärt sich der ähnliche
kompositionelle Aufbau der beiden einander gegenüberstehenden Bildfelder mit
den Freuden der Erwählten und den Qualen der Verdammten: Der Harmonie des
Paradieses steht das Chaos der Hölle gegenüber, jeweils überfangen von dem
himmlischen Aktionsfeld der Engel, formal verbunden durch die parallele
Anordnung der gedrängten Masse nackter Leiber.
Signorelli hat
unterschiedliche Goldgründe verwendet, um zwischen den verschiedenen
Realitätsebenen zu differenzieren: Das Gewölbe und die Gerichtswand sowie die
Szene mit den Erwählten haben einen einheitlichen Goldgrund. In der Szene mit
der Auferstehung der Toten stehen die riesigen, Posaune blasenden Engel vor
einem „gepunzten“ Goldgrund, während die untere Zone ebenso wie die Szene mit
dem Antichrist und des Weltuntergangs von einem weißgrundigen Wolkenhimmel
hinterfangen wird. „Der bleierne Himmel, der über den Taten des Antichrist
liegt, ist ein Attribut des Irdischen, desgleichen die Gebäude und die
Landschaft, die den Mittel- und Hintergrund dieser Szene und des Weltendes auf
der Eingangswand einnehmen“ (Roettgen 1997, S. 391). Während also die Szenen
mit Goldgrund letztlich eine Vision vor Augen stellen, ist hier ein Ausblick in
die diesseitige Welt gemeint.
Ein wichtiger
Ausgangspunkt für den Zuschnitt der Fresken in der Cappella Nova dürfte die
Wandgliederung der Sixtinischen Kapelle gewesen sein, an deren Ausmalung
Signorelli mitgearbeitet hatte. Die enorme Höhe der Kapelle – mit 13,90 Metern
bleibt sie nur wenig unter der Sixtina – hat Signorelli dadurch bewältigt, dass
er der Sockelzone eine sonst nicht übliche Höhe und Gestaltung gab. Indem er
außerdem die Lünetten über die Konsolen der Gewölbedienste hinaus nach unten
zog, wurden aus den Bogenfüllungen großflächige Wandfelder. Die Gliederung des
Raumes in zwei Joche setzt sich in der Wandgliederung fort, indem die
Gewölbekonsolen auf gemalte Kleeblattpfeiler gestellt sind, die bis zur
Fußleiste der Bildfelder bzw. bis zur Oberkante des gemalten Gesimses reichen.
Es trennt die beiden Bildregister voneinander und schafft einen horizontalen
Ausgleich zur Höhe des Raumes. Die seitlichen Rahmungen der Bildfelder sind wie
Fensterlaibungen in perspektivischer Untersicht gegeben, wobei die fiktiven
Öffnungen so gestaltet sind, dass sie sich hinter den real vorhandenen
Gewölberippen zu befinden scheinen. Somit ergibt sich zwischen den
Bogenöffnungen und der vordersten Bildebene eine Bühne, auf der einige Figuren
besonders weit in den Vordergrund rücken. Der Boden, auf dem die Figuren stehen
bzw. liegen, reicht teilweise bis an die vorderste Kante des Gesimses heran,
das die Sockelzone abschließt. Signorelli stellt hier seine meisterhafte
Beherrschung der Perspektivmalerei unter Beweis.
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Michael Wolgemut Predigt des Antichrist (1493); Holzschnitt
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Michelangelo übernimmt in seinem Jüngsten Gericht die Figuren Charon und Minos von Signorelli |
Die
Thematik des Antichrist war im 15. Jahrhundert sehr populär und wurde
insbesondere in der Druckgrafik des Nordens häufig dargestellt. Als mögliches
Vorbild für Signorelli Fresko wurde mehrfach auf den Holzschnitt von Michael
Wolgemut (1434–1519) hingewiesen, der in der sehr verbreiteten Weltchronik
von Hartmann Schedel enthalten ist. Michelangelo wiederum fand bei Signorelli
Anregungen für sein Jüngstes Gericht in der Sixtina: So hat er etwa das
Motiv der helfenden Hände für die aufsteigenden Erlösten übernommen, die
auferstehenden Skelette, den Verdammten als Rückenlast des Teufels und
schließlich auch den konzeptionellen Gedanken, die biblische Hölle mit Elementen aus Dantes Inferno auszustatten, wie etwa den Charonnachen und den Höllenwächter Minos.
Literaturhinweise
Bokern, Anneke: »Nun wird keine
Zeit mehr sein«. Luca Signorellis Fresken in Orvieto, der Millenniarismus und
das Jahr 1500. In: Anneke Bokern/Petra Gördüren, Die letzten Dinge.
Jahrhundertwende und Jahrhundertende in der Bildenden Kunst um 1500 und 2000.
Gebr. Mann Verlag, Berlin 1999, S. 15-49;
Roettgen, Steffi: Wandmalerei der
Frührenaissance in Italien. Band II: Die Blütezeit 1470–1510. Hirmer Verlag,
München 1997, S. 384-421;
LUT = Die Bibel nach Martin
Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft,
Stuttgart.