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Albrecht Dürer: Bildnis einer jungen Frau mit offenem Haar (1497); Frankfurt, Städel Museum (für die Großansicht einfach anklicken)
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Zu Albrecht Dürers
bekanntesten Bildnissen gehören die beiden Tüchleinmalereien mit halbfigurigen
Porträts zweier junger Frauen im Frankfurter Städel und in der Berliner
Gemäldegalerie. Die beiden Bildnisse sind offensichtlich als Gegenstücke
konzipiert worden und bis 1830 vermutlich nie voneinander getrennt gewesen.
Auf dem Frankfurter Bild präsentiert
Dürer den Oberkörper einer jungen Frau etwa von der Hüfte an und leicht nach
rechts gewandt Die Hände sind auf Brusthöhe erhoben und zum Gebet gefaltet. Die
Figur ist eng an den vorderen Bildrand geschoben, reagiert aber in keiner Weise
auf den Betrachter: Vor blaugrünem neutralen Hintergrund neigt sie den Kopf
nach vorne und leicht nach rechts und schlägt dabei die Augen nieder, die nur
einen Spalt breit geöffnet sind. Ganz in sich gekehrt, scheint sie von ihrem Gebet
völlig in Anspruch genommen.
Das auffälligste Merkmal
der jungen Frau ist ihr hüftlanges, in der Mitte sorgsam gescheiteltes
goldblondes Haar, das in gleichmäßigen Locken über Schultern und Oberarme fällt
und diese vollständig bedeckt. Ein schwarzes, mit Perlen besetztes Schapel ist
um die Stirn gelegt und bändigt die Haarfülle, die auf der Schädelkalotte glatt
anliegt. Die Dargestellte trägt einen dunkelgrünen, rot gefütterten Rock,
dessen Ausschnitt und Mittelsaum mit einer bräunlich-roten Borte besetzt ist.
Ein in den Ausschnitt gestecktes weißes Brusttuch, am oberen Rand mit einer
Nadel gesichert, verhüllt ihr Dekolleté. Von der linken Hand hängt vermutlich
eine zwischen Daumen und Zeigefinger gehaltene Paternoster-Schnur herab, bei
der auf jeweils zehn rote Perlen eine etwas größere aus Silberfiligran gelötete
Kugel folgt.
Dürer hat das Porträt auf
einer extrem dünnen Leinwand ausgeführt, das in der Vergangenheit leider
ausgedehnt retuschiert wurde, vor allem im Gesicht, in den Händen und im
Brusttuch. „Darüber hinaus ist die ursprüngliche Tüchleinmalerei mit
Wasserfarben unter großflächiger Übermalung mit Ölfarbe und mehreren Firnissen
nur noch zu erahnen“ (Brinkmann 2005, S. 273). Damit nicht genug, wurde dem
Bild 1976 bei einem Diebstahlsversuch 1977 weiterer Schaden zugefügt: Die Täter
schnitten die Leinwand aus dem Rahmen und versteckten sie nach Alarmauslösung
hinter einem der Flügel von Stefan Lochners Apostelmartyrien, wo sie
unmittelbar darauf aufgefunden wurde.
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Albrecht Dürer: Bildnis einer jungen Frau mit geflochtenem Haar (1497); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)
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Das Berliner Bildnis zeigt
dieselbe junge Frau oder eine ihr sehr ähnlich sehende enge Verwandte im
gleichen Figurenausschnitt, doch ist der Eindruck ein ganz anderer: Wo die
Frankfurterin ins Gebet versunken ist, blickt ihr Berliner Gegenstück dem
Betrachter ebenso selbstbewusst wie prüfend ins Gesicht. Spiegelbildlich, nun
nach links orientiert, erscheint die Halbfigur hinter einer steinernen Brüstung
und im Winkel eines Innenraumes. Die linke Seitenwand ist durchfenstert und
gibt jenseits einer gemauerten Hofeinfassung den Blick frei auf eine ferne Landschaft.
Die junge Frau ist, anders als ihr Frankfurter Pendant, aufwendig gekleidet und
hat die geflochtenen Haare kunstvoll hochgesteckt.
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Albrecht Dürer: Nürnberger Tanzkleid (1501); Basel Kupferstichmuseum
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Tracht und Frisur stimmen
mit jenem Kostüm überein, das Dürer selbst in einer heute in Basel aufbewahrten
Zeichnung festgehalten und als Nürnberger Tanzkleid bezeichnet hat. Zu
diesem gehört die festliche rote Farbe, das betonte Dekolleté und der auffällig
unauffällig inszenierte Schmuck, der, an einem schwarzen Band um den Hals
getragen, unsichtbar im Busen verborgen ist. „Der werbende, ja erotische
Charakter der Darstellung wird zusätzlich noch durch die beiden Pflanzen
unterstrichen, die die junge Schöne etwas geziert in ihrer Rechten präsentiert:
ein Stängel Sternkraut (Aster atticus) und zwei Stängel Stabwurz (Artemisium
abrovatum)“ (Sander 2013, S. 102). Dem Sternkraut wurde nachgesagt,
sinnenverwirrende Trugbilder hervorrufen zu können; die Stabwurz galt
ausdrücklich als Pflanze des Liebeszaubers.
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Albrecht Dürer: Bildnis Elsbeth Tucher (1499); Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister
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Die Platzierung der Figur
in einer Raumecke mit Fenster entspricht einem von zahlreichen Porträts dieser
Zeit wohlvertrauten Schema; Dürer selbst hat es wiederholt verwendet, wie ein
Blick auf das zwei Jahre später entstandene Bildnis der Elsbeth Tucher zeigt
(siehe meinen Post „Auf kleinem Format groß rauskommen“). Doch für den
damaligen Betrachter muss der direkt auf den Betrachter gerichtete Blick einer
unverheirateten jungen Frau irritierend gewesen sein: „Zusammen mit den
ostentativ präsentierten Pflanzen, die erotisches Verlangen und Liebeswerben
signalisierten, findet sich auch der selbstbewusste Blick eher in einer anderen
Bildgattung wieder, die allerdings ausschließlich Männern vorbehalten war – dem
Brautwerbebild“ (Sander 2013, S. 102). Eine Stängel Sternkraut hält Dürer
übrigens auch auf seinem 1493 datierten Selbstbildnis im Louvre, das wiederholt
mit seiner bevorstehenden Heirat mit Agnes Frey in Zusammenhang gebracht worden
ist.
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Albrecht Dürer: Selbstbildnis (1493); Paris, Louvre
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Auch das Frankfurter
Porträt wirft Fragen auf: Zwar war ein betender Stifter seit dem 15.
Jahrhundert ein gewohnter Anblick, doch wandte sich die fromme Andacht bei
diesem Bildnistypus Christus oder der Madonna selbst zu – nicht aber einer
weiteren Porträtfigur. So wie die Frankfurter Beterin ins Bild gesetzt ist,
ließ sie den Betrachter des 16. Jahrhunderts eher an eine Verkündigungsmaria,
eine Maria in Anbetung ihres Kindes oder auch – wegen ihrer langen Haare – an
eine Darstellung einer Maria Magdalena denken als an die Porträtdarstellung
einer Zeitgenossin. Man könnte hier also durchaus von einem „Rollenporträt“
sprechen.
Traditionell wurde das
Frankfurter Bildnis als „Fürlegerin“ bezeichnet, also als weibliches Mitglied
der Nürnberger Familie Fürleger. Gleiches gilt für das Berliner Porträt. Doch
die entsprechenden Wappen auf der Rückseite der beiden Tüchlein sind
nachträglich angebracht worden, und es lassen sich auch keine weiblichen
Mitglieder dieser Familie nachweisen, die zur Entstehungszeit der „Tüchlein“
das Alter der porträtierten Frauen gehabt hätten. Denkbar wäre, dass die
Bildnisse erst lange nach ihrer Herstellung in den Besitz der Fürleger
gelangten und gar keine Angehörigen dieser Familie zeigen. Bodo Brinkmann hat
vorgeschlagen, in dem Doppelbildnis Arbeiten zu sehen, die Dürer ohne Auftrag
ausgeführt und in denen er möglichweise zwei seiner Schwestern, Agnes (geb.
1479) und Katharina (geb. 1482), porträtiert habe. Ähnlich wie seine gemalten
Selbstbildnisse hätten dann auch diese Gemälde potenziellen Interessenten beim
Besuch der Dürerschen Werkstatt die Bandbreite seiner künstlerischen
Möglichkeiten vor Augen führen können (siehe meinen Post „Seht her, ich bin ein Künstler!“).
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Giovanni Bellini: Sacra Conversazione (um 1490); Vendig, Galleria Dell'Accademia
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Albrecht Dürer: Nürnbergerin und Venezianerin (um 1495); Frankfurt, Städel Museum
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Auffällig bei Dürers Porträt-Pendants
ist der Gegensatz zwischen spätgotischer (Berlin) und italienisierender
Figurenbildung (Frankfurt). Die Hände der Frankfurterin sind wahrscheinlich
eine Übernahme aus einer halbfigurigen Sacra Conversazione von Giovanni Bellini
(1430–1516): Dürer hat das Gemälde auf seiner ersten Italienreise 1494/95 in
Venedig studieren können und dabei vor allem die hl. Katharina links genauer in
Augenschein genommen. Die Gegenüberstellung dieser Stillagen könnte von Dürer sehr
gezielt vorgenommen worden sein. „Eine bewußte Konfrontation zwischen Fremdem und
Heimatlichem, die sich nicht nur auf das Kostüm beschränkt, sondern auch die
Bewegung der Figuren mit einbezieht, sucht Dürer jedenfalls auf der bekannten Zeichnung
mit der Nürnbergerin und der Venezianerin“ (Brinkmann 2005, S. 285).
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Albrecht Dürer: Selbstbildnis (1498); Madrid, Museo del Prado
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Albrecht Dürer: Bildnis Albrecht Dürer d.Ä. (1497); London, National Gallery
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Wenn die Vermutung richtig
ist, dass Dürers Madrider Selbstbildnis (1498) und das Porträt seines Vaters (1497)
vom Künstler selbst zu einem Diptychon zusammenfasst wurden, dann bestünde
damit eine enge Parallele zu den sog. Fürlegerinnen: Auch das Bildnispaar von Vater
und Sohn vereint ja ein Porträt vor neutralem Grund mit dem Typus „Fensterausblick“,
kontrastiert einen betont schlicht gekleideten mit einem aufwendig
ausstaffierten Mann.
Glossar
Die Paternoster-Schnur
ist der Vorläufer des im Spätmittelalter entstandenen Rosenkranzes.
Das Schapel ist ein
im 12. Jahrhundert aufgekommener reifenförmiger Kopfschmuck für Männer und
Frauen.
Literaturhinweise
Brinkmann, Bodo: Albrecht Dürer, Bildnis einer jungen Frau mit
offenem Haar. In: Bodo Brinkmann/Stephan Kemperdick (Hrsg.), Deutsche Gemälde
im Städel 1500–1550. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2005, S. 273-287;
Brinkmann, Bodo: Albrecht Dürer: Zwei Schwestern. Städel Museum,
Frankfurt am Main 2006;
Hirschfelder, Dagmar: Dürers Gemälde auf Leinwand. In: Daniel
Hess/Thomas Eser (Hrsg.), Der früher Dürer. Germanisches Nationalmuseum,
Nürnberg 2012, S. 356-357;
Sander, Jochen (Hrsg.): Dürer. Kunst – Künstler – Kontext.
Städel Museum, Frankfurt am Main 2013, S. 102-103.